Kritik aus Deutschland an Einstellung des Betriebs
von
Stefan Deiters astronews.com
4. Mai 2022
Die Erklärung, die das DLR zum Aus für das gemeinsam mit der amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA
betriebene Flugzeugteleskop SOFIA veröffentlicht hatte, klang nach einer
Entscheidung in gegenseitigem Einvernehmen. Eine Stellungnahme des Deutschen SOFIA-Instituts
vermittelt nun einen ganz anderen Eindruck und fordert einen Weiterbetrieb von
SOFIA für mindestens ein Jahr.

SOFIA, das "Stratosphären Observatorium für
Infrarot Astronomie".
Foto: NASA / Jim Ross [Großansicht] |
In der auf der Website des an der Universität Stuttgart angesiedelten
Deutschen SOFIA-Instituts (DSI) veröffentlichten Erklärung wird die Entscheidung
der SOFIA-Partner deutlich kritisiert. Die Überschrift lautet: "SOFIA – Das letzte Wort
ist noch nicht gesprochen" und in der Unterzeile heißt es: "DSI bleibt bereit
für den Betrieb von SOFIA über den 30. September 2022 hinaus".
In der letzten Woche hatte die Deutsche Raumfahrtagentur im DLR zusammen mit
der US-amerikanischen Weltraumbehörde NASA bekanntgegeben, dass sie den Betrieb
der gemeinsam betriebenen fliegenden Sternwarte SOFIA zum 30. September 2022
einstellen wollen (astronews.com berichtete). Das DSI, so heißt es in der
Stellungnahme, würde die Ankündigung zur Kenntnis nehmen, sich jedoch von der
Begründung für diese Entscheidung, die mit kritischen Bemerkungen zu SOFIA im
Decadal Survey Report "Pathways to Discovery in Astronomy and Astrophysics for
the 2020s" begründet wird, distanzieren.
Nach Aussage des DSI sei der Decadal Survey von seiner Anlage und
Aufgabe nicht darauf angelegt, gegenwärtig laufende Projekte zu beurteilen,
sondern soll vielmehr die wissenschaftlichen Potentiale künftiger Vorhaben
einschätzen, was ein deutlich anderer Prozess ist. Die Akademie sei allerdings
dennoch von der NASA gebeten worden, im Decadal Survey Report zu SOFIA
Stellung zu nehmen. Die daraus resultierende Beurteilung beruhte jedoch auf
zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung bereits seit zwei Jahren veralteten
Informationen. Gleichzeitig hätte die NASA mit Blick auf den Decadal Survey
den für März dieses Jahres vorbereiteten und vom NASA eigenen Astrophysics
Advisory Committee ausdrücklich empfohlenen "Senior Review" für SOFIA
kurzfristig abgesagt.
Ein solcher Senior Review, so das DSI, wäre als Standardverfahren
für solche Projekte in der Lage gewesen, SOFIA aktuell und in wissenschaftlich
angemessener Weise zu beurteilen. Für den Decadal Survey wurden dagegen
keine eigenen aktuellen Informationen erhoben, sondern es wurde auf vorhandenes
Material mit dem Stand 2019 zurückgegriffen.
Auch schon im Vorfeld scheint es Unstimmigkeiten zwischen der NASA und den
deutschen Partnern gegeben zu haben. So weist dass DSI darauf hin, dass die NASA
im September 2015 die vorgesehene 20-jährige Betriebsdauer von SOFIA ohne
weitere Konsultation mit dem Partner einseitig auf eine fünfjährige
Primär-Betriebsdauer verkürzt hat und seitdem nur noch von einer dreijährigen
"Extended Mission" spricht. Eine solche Ansicht würde aber, so das
DSI, weder den Absprachen noch dem Verständnis der SOFIA-Nutzergemeinschaft
entsprechen.
Die im Decadal Survey an SOFIA geäußerte Kritik, sei
mit dem Wissenstand von 2019 sicher angemessen gewesen. Allerdings hätte die
neue US-amerikanische wissenschaftliche Leitung von SOFIA in sehr proaktiver und
dynamischer Art und Weise innerhalb kürzester Zeit auf alle im Jahre 2019 im
Rahmen einer internen NASA-Begutachtung geäußerten Kritikpunkte reagiert: Die
Publikationsrate von auf SOFIA-Beobachtungen basierenden Fachartikeln sei
inzwischen doppelt so hoch wie vor drei Jahren, die Beobachtungseffizienz und
die Einsatzbereitschaft des Observatoriums seien signifikant angestiegen und die
Zahl der Publikationen pro Beobachtungsstunde läge inzwischen bei einem
angemessenen Wert, wenn man die erforderliche hohe technische Komplexität des
fern-infraroten Wellenbereichs berücksichtigt.
Diese Einschätzung würde auch der im März veröffentlichte aktuelle
SOFIA-Statusbericht "Future & Prospects" unterstützen, der zeigt, dass SOFIA
inzwischen auch auf US-amerikanischer Seite eine erfolgreiche Mission ist, was
in deutlichem Widerspruch zu den Bewertungen im Decadal Survey stehen würde.
Das DSI weist zudem darauf hin, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
von deutschen Instituten überproportional erfolgreich bei der Nutzung von SOFIA
und der damit verbundenen wissenschaftlichen Ausbeute sind. Auch die hohe
Nachfrage nach den beiden von Deutschland beigestellten wissenschaftlichen
Instrumenten sowie die im Vergleich sehr große Zahl von Doktorarbeiten würden
darauf hindeuten, dass SOFIA insbesondere aus deutscher Perspektive eine sehr
erfolgreiche Mission ist. So würde die Fortführung von SOFIA auch von der
deutschen Astronomie ausdrücklich empfohlen.
Die "German SOFIA Science Working Group" (GSSWG), das wissenschaftliche
Beratungsgremium der DLR-Raumfahrtagentur für SOFIA, hätte zudem darauf
hingewiesen, dass ein vorzeitiges Ende von SOFIA aus seiner Sicht einen nicht
vertretbaren Verlust bereits investierter finanzieller Mittel und des über die
vergangenen Jahrzehnte aufgebauten Know-Hows bedeuten würde.
"Das letzte Wort über die Weiterfinanzierung des Projektes hat auf
US-amerikanischer Seite der Kongress, der seinen Haushaltsvorschlag für das Jahr
2023 voraussichtlich erst im Juli vorlegen wird", so Alfred Krabbe, Leiter des
DSI, das auf deutscher Seite den Betrieb von SOFIA koordiniert. "In der
Vergangenheit hat der Kongress SOFIA stets unterstützt". Seine Hoffnung auf
wenigstens ein weiteres Betriebsjahr stützt Krabbe vor allem auf die hohen
Investitionskosten auf US-Seite, die sich nach bislang acht Jahren Betriebszeit
noch nicht amortisiert haben.
Außerdem gibt er zu bedenken, dass SOFIA gegenwärtig und für die nächsten 10
bis 15 Jahre das weltweit einzige Observatorium ist, dass den ferninfraroten
Wellenlängenbereich des elektromagnetischen Spektrums abdecken kann (derzeit bis
612 µm). Das gerade in Betrieb gegangene James-Webb-Weltraumteleskop (JWST) und SOFIA
ergänzen sich in idealer Weise. Für James Webb ist bei der Wellenlänge von 27 µm
Schluss; dort beginnt jedoch SOFIA erst richtig. "Das JWST kann SOFIA keineswegs
ersetzen", betont Krabbe.
Auch unter den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in den USA ist die
Entscheidung über die Einstellung des Beobachtungsbetriebs
nicht unumstritten: So hat sich das astrophysikalische Beratungsgremium der NASA
bereits in einem Schreiben vom 18. April von einem vorschnellen Ende der
SOFIA-Mission abgeraten und die Durchführung des Beobachtungszyklus 2023
gefordert. Am DSI will man nun die weiteren Entscheidungen in den USA abwarten
und ist vorbereitet, den Betrieb von SOFIA und des deutschen Teleskops auch über
den 30. September 2022 hinaus zu gewährleisten.
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