Der erste Blick in die Sonne
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung astronews.com
29. Oktober 2021
Die Vorbereitungen für den Flug des Sonnenobservatoriums
Sunrise III, das im Frühsommer nächsten Jahres die Sonne an einem
Heliumballon hängend aus einer Höhe von 35 Kilometern beobachten soll, sind
gestern einen wichtigen Schritt vorangekommen: In Göttingen fand ein "Hangtest"
statt, bei dem das Teleskop mit seinen Instrumenten erstmals in die Sonne
blickte.
Sunrise III blickt in die Sonne.
Bild: MPS / M. Monecke [Großansicht] |
Gegen 10:45 Uhr öffnete sich gestern das neun Meter hohe Tor zur Ballonhalle
des Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) am Justus-von-Liebig-Weg
in Göttingen. Mithilfe des Hallenkrans hatten die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter zuvor die sieben Meter hohe Strebenkonstruktion, das in seiner
Flugkonfiguration Sonnenteleskop, wissenschaftliche Instrumente, ein System zur
Bildstabilisierung und die Bordelektronik enthält, im Innern der Halle bis kurz
vor die riesige Öffnung transportiert. Strahlender Sonnenschein; es konnte also
losgehen.
Etwa sieben Monate vor dem geplanten Start der Mission Sunrise III
sind die Vorbereitungen am MPS in vollem Gange. Fast alle Subsysteme sind
funktionsbereit: das Teleskop, das mit seinem 1-Meter-Hauptspiegel das Herzstück
von Sunrise III bildet; die Instrumente SUSI (Sunrise UV
Spectropolarimeter and Imager) und SCIP (Sunrise Chromospheric Infrared Spectro-Polarimeter),
die vom MPS sowie von einem japanischen Konsortium unter Leitung des
National Astronomical Observatory of Japan entwickelt und gebaut wurden;
das System zur Bildstabilisierung des Leibniz-Instituts für Sonnenphysik in
Freiburg; und die gesamte Bordelektronik. Die sieben Meter hohe Gondel wurde in
den vergangenen Wochen vom Applied Physics Laboratory der
amerikanischen Johns Hopkins Universität angeliefert, vor Ort in Göttingen
zusammengebaut und mit Teleskop und Instrumenten "verheiratet".
"Mit den aktuellen Tests prüfen wir, ob alle Systeme von Sunrise III
reibungslos zusammenarbeiten, und können gegebenenfalls noch nachbessern und
verfeinern", erklärt Dr. Andreas Lagg vom MPS, Sunrise-III-Projektmanager.
"So können wir bereits am Boden die Abläufe für die späteren Messungen während
des Fluges perfektionieren". Während Raumsonden typischerweise die lange Anreise
durchs All zur Inbetriebnahme der wissenschaftlichen Instrumente nutzen, muss
Sunrise III mit einem deutlich knapperen Zeitplan auskommen. "Der Flug
dauert nur wenige Tage. Nach dem Start wollen wir deshalb so schnell wie möglich
mit den wissenschaftlichen Messungen beginnen", so Dr. Achim Gandorfer,
Sunrise-III-Projektwissenschaftler.
In der Ballonhalle begann das Sunrise-III-Team nun mit dem ersten
Teil des Hangtests, dem sogenannten Pointing: Das Observatorium sollte sich –
wie während des Fluges erforderlich – selbsttätig zur Sonne ausrichten.
Überwacht und kontrolliert wurde dieser Vorgang aus 6000 Kilometer Entfernung
von Ingenieurinnen und Ingenieuren der Johns Hopkins Universität in den USA.
"Wegen der Corona-Pandemie konnten viele unserer internationalen Partner beim
Einbau ihrer Hardware-Beiträge nicht hier vor Ort sein und selbst Hand anlegen",
beschreibt Gandorfer die Arbeit der vergangenen Wochen und Monate. "Stattdessen
mussten wir ihren Rat und ihre Expertise per Videokonferenz einbeziehen. Beim
Hangtest gehen wir nun ähnlich vor."
Gegen 11:05 Uhr war die kontinenteumfassende Aufgabe erfolgreich
abgeschlossen; Sunrise III schaute perfekt ausgerichtet in die Sonne.
Zum ersten Mal öffnete nun das Sunrise-III-Team die Abdeckung, die den
1-Meter-Hauptspiegel im Innern des Teleskops bisher geschützt hat. Sonnenlicht
fiel auf den empfindlichen Spiegel und wurde von dort erstmals zu den
wissenschaftlichen Instrumenten weitergeleitet, die oberhalb des Teleskops
angebracht sind. Nun begann der zweite Teil des Hangtests - die Inbetriebnahme
und das Kalibrieren der Instrumente. "Keine künstliche Lichtquelle kann das
Sonnenlicht für diese Messungen ersetzen", unterstreicht Lagg.
Bis zum Frühjahr nächsten Jahres bleibt dem wissenschaftlich-technischen
Teams für die weitere Inbetriebnahme Zeit. Wenn die Schneemassen jenseits des
Polarkreises langsam schmelzen, reist Sunrise III in Einzelteile
zerlegt und sicher in Kisten verpackt per Lastwagen zum Startplatz, der
Raketenbasis Esrange Space Center, im nordschwedischen Kiruna.
Startklar ist das Sonnenobservatorium am 1. Juni nächsten Jahres. Sobald die
Wind- und Wetterverhältnisse in Kiruna günstig sind, hebt der mit 850 Kilogramm
Helium gefüllte Ballon das sechs Tonnen schwere Observatorium auf eine Höhe von
35 Kilometern. Von dort trägt der Wind Sunrise III nach Westen; einen
eigenen Antrieb hat Sunrise III nicht. Gelandet wird nach mehrtägigem
Flug am Fallschirm im Norden Kanadas.
"Da wir zur Sommerzeit und jenseits des Polarkreise fliegen, kann Sunrise
III während des gesamten Fluges ununterbrochen auf die Sonne schauen",
beschreibt Missionsleiter Prof. Dr. Sami K. Solanki vom MPS einen der Vorzüge
der Mission. Auf 35 Kilometern Höhe hat das Observatorium den Großteil der
Erdatmosphäre zurückgelassen; Luftturbulenzen trüben den Blick kaum. "Anders als
erdgebundene Teleskope hat Sunrise III in dieser Höhe Zugang zur
ultravioletten Strahlung von der Sonne", erklärt Solanki weiter. Dieser Teil der
Sonnenstrahlung hat seinen Ursprung in erster Linie in der heißen Atmosphäre der
Sonne und enthält wertvolle Informationen aus dieser Region. Da die Ozonschicht
der Erdatmosphäre das ultraviolette Licht von der Sonne weitestgehend
absorbiert, steht es erdgebundenen Teleskopen nicht zur Verfügung.
Die Instrumente von Sunrise III sind auf verschiedene
Wellenlängenbereiche spezialisiert. Auf diese Weise blickt Sunrise III
gleichzeitig auf einen Bereich von mehr als 2000 Kilometer Höhe, der sich von
knapp unter der sichtbaren Oberfläche der Sonne bis in die obere Chromosphäre
erstreckt. Besser als bei jedem anderen Observatorium – ganz gleich ob im
Weltraum oder auf der Erde – lassen sich die Messdaten von Sunrise III aus
dieser Region einer genauen Höhe zuzuordnen.
Auf diese Weise lässt sich präzise verfolgen, wie beispielsweise kleinste
Strahlungsausbrüche, sogenannte Mikroflares, entstehen oder wie sich
wellenartige Phänomene in der Sonnenatmosphäre ausbreiten. "Sunrise III
kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten zu verstehen, wie es der Sonne
gelingt, ihre äußere Hülle auf unfassbare Temperaturen von mehr als eine Million
Grad Celsius aufzuheizen", so Solanki. "Um diese Frage zu beantworten, braucht
es einen ganz besonderen Blick auf die Sonne."
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