Galaxienhaufen auf kosmischer Materiestraße
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Bonn astronews.com
2. Juli 2021
Vor einigen Monaten wurde mit dem Röntgenteleskop eROSITA
ein langer intergalaktischer Gasfaden entdeckt. Nun haben sich Forschende auf
eine interessante Struktur in dem Faden konzentriert, den nördlichen Klumpen.
Offenbar handelt es sich dabei um einen Galaxienhaufen. Dies unterstützt die
Vermutung, dass der Gasfaden so etwas wie eine kosmische Materiestraße ist.
Der nördliche Klumpen, wie er im
Röntgenlicht (blau, XMM-Newton Satellit), im
visuellen Licht (grün, DECam) und bei
Radiowellenlängen (rot, ASKAP/EMU) erscheint.
Bild: Veronica et al., Astronomy &
Astrophysics [Großansicht] |
Das Universum ähnelt einem Schweizer Käse - allerdings einem mit riesigen
Löchern: Große Bereiche im All sind absolut leer. Dazwischen tummeln sich auf
vergleichsweise engem Raum Tausende von Galaxien. Diese Cluster sind durch
Straßen aus dünnem Materiegas miteinander verbunden, wie durch die hauchdünnen
Fäden eines Spinnennetzes. So sagt es zumindest das Standardmodell der
Kosmologie voraus.
Ob es sich tatsächlich so verhält, war bis vor kurzem kaum zu belegen. Denn
die Materie in den Gasfäden ist so stark verdünnt, dass sie sich dem Blick
selbst der empfindlichsten Messinstrumente entzog: Die Fäden enthalten pro
Kubikmeter gerade einmal zehn Teilchen - das ist sehr viel weniger, als in dem
besten Vakuum vorhanden sind, das Menschen herstellen können. Entsprechend viel
Aufsehen erregte im letzten Winter eine Studie unter Federführung der
Universität Bonn. Die Forschenden hatten einen intergalaktischen Gasfaden von
mindestens 50 Millionen Lichtjahren Länge entdeckt, der von zwei riesigen
Galaxienhaufen ausgeht. "In diesem Faden gibt es einen weiteren Galaxienhaufen,
den nördlichen Klumpen", erklärt Prof. Dr. Thomas Reiprich vom Argelander-Institut
für Astronomie der Universität Bonn. "In der jetzt erschienenen Arbeit haben wir
ihn genauer unter die Lupe genommen."
Die Wissenschaftler kombinierten dazu Aufnahmen verschiedener Quellen
miteinander: der Satelliten SRG/eROSITA, XMM-Newton und Chandra
sowie der EMU-Durchmusterung mit dem ASKAP-Radioteleskop und optische DECam-Daten.
Auf diese Weise entstanden Bilder mit nie gesehenem Detailreichtum. "So können
wir im Mittelpunkt des nördlichen Klumpen eine große Galaxie ausmachen", sagt
Reiprichs Mitarbeiterin Angie Veronica. "In ihrem Zentrum wiederum befindet sich
ein supermassereiches Schwarzes Loch."
Von ihm gehen zwei sogenannte Materiejets aus, in denen sich die Teilchen mit
annähernd Lichtgeschwindigkeit vom Schwarzen Loch entfernen. Dabei entsteht
Synchrotronstrahlung, die sich in den Radioteleskop-Aufnahmen sichtbar machen
lässt. Darüber hinaus enthält der nördliche Klumpen sehr heißes Materiegas.
"Aufgrund seiner hohen Temperatur von 20 Millionen Grad emittiert es
Röntgenstrahlung, die wir in den eROSITA-Bildern sehen und mit dem
XMM-Newton-Satelliten nun sehr genau vermessen konnten", sagt Veronica.
Insgesamt zeigt die Kombination der Datenquellen, dass der nördliche Klumpen
sich wahrscheinlich mit hoher Geschwindigkeit bewegt. Die Materiejets, die vom
Schwarzen Loch ausgehen, weisen wie die Zöpfe eines rennenden Mädchens nach
hinten; vor dem Klumpen scheint das Gas zudem eine Art Bugwelle zu bilden.
"Zudem sehen wir hinter ihm einen Materieschweif", erklärt Reiprich. "Wir
interpretieren diese Beobachtung momentan so, dass der nördliche Klumpen bei
seiner Reise Materie verliert. Allerdings könnte es auch so sein, dass noch
kleinere Materieklumpen in der Straße auf den nördlichen Klumpen zufallen."
Insgesamt bestätigen die Beobachtungen die aus Theorien abgeleitete These,
dass es sich bei dem Gasfaden um eine intergalaktische Materiestraße handelt.
Der nördliche Klumpen bewegt sich auf dieser Straße mit hoher Geschwindigkeit
auf zwei weitere, sehr viel größere Galaxienhaufen namens Abell 3391 und Abell
3395 zu. "Er fällt sozusagen auf diese Haufen und wird sie weiter vergrößern -
ganz nach dem Prinzip: Wer hat, dem wird gegeben", erklärt Reiprich. "Was wir
sehen, ist eine Momentaufnahme dieses Falls."
Die Beobachtungen stimmen erstaunlich gut mit dem Ergebnis der Magneticum-Computersimulationen
überein, die von Forschern des eROSITA-Konsortiums entwickelt wurden. Sie lassen
sich daher auch als Argument dafür werten, dass die heute gültigen Annahmen über
die Entstehung und Entwicklung des Universums korrekt sind. Dazu zählt auch die
These, dass ein großer Teil der Materie für unsere Messinstrumente unsichtbar
ist. 85 Prozent unseres Universums sollen aus dieser Dunklen Materie bestehen.
Im Standardmodell der Kosmologie spielt sie unter anderem eine wichtige Rolle
als Kondensationskeim, der nach dem Urknall die Verdichtung der gasförmigen
Materie zu Galaxien bewirkte.
Über ihre Beobachtungen berichtet das Team in einem Fachartikel, der in
einer Sonderausgabe der Zeitschrift Astronomy & Astrophysics erscheinen
wird.
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