Biosignatur aus dem Hubschrauber gemessen
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Bern astronews.com
21. Juni 2021
Wie lässt die Existenz von Leben auf anderen Welten
nachweisen und dies am am besten aus der Ferne? Forschende beschäftigen sich
seit Jahren mit dieser Frage und nutzen dazu die Erde als Versuchsobjekt. Nun
ist es ihnen gelungen, aus einem mehrere Kilometer über dem Boden fliegenden
Hubschrauber eine zentrale molekulare Eigenschaft aller Lebewesen zu messen.
Das FlyPol-Instrument, mit dem Biosignaturen
aus der Luft gemessen werden konnten, an Bord des
Helikopters.
Bild: zvg Lucas Patty [Großansicht] |
Linke Hände und rechte Hände sind nahezu perfekte Spiegelbilder
voneinander. Aber egal, wie sie gedreht und gewendet werden, sie lassen sich
nicht deckungsgleich übereinander legen. Deshalb passt der linke Handschuh
einfach nicht so gut auf die rechte Hand wie auf die linke. In der Wissenschaft
wird diese Eigenschaft als "Chiralität" bezeichnet. Genau wie Hände chiral sind,
können auch Moleküle chiral sein. Tatsächlich sind die meisten Moleküle in den
Zellen lebender Organismen, wie zum Beispiel die DNA, chiral. Doch anders als
Hände, die meist in Paaren von links und rechts vorkommen, kommen die Moleküle
des Lebens fast ausschließlich entweder in ihrer "linkshändigen" oder ihrer
"rechtshändigen" Version vor. Sie sind homochiral, wie Forschende sagen. Warum
das so ist, ist noch unklar.
Diese molekulare Homochiralität ist jedoch eine charakteristische Eigenschaft
des Lebens, eine sogenannte Biosignatur. Im Rahmen des Projekts MERMOZ ist es
einem internationalen Forschungsteam unter der Leitung des Nationalen
Forschungsschwerpunkts NFS PlanetS und des Center for Space and Habitabilty
CSH der Universität Bern und der Universität Genf nun gelungen, diese Signatur
aus zwei Kilometern Entfernung und bei einer Geschwindigkeit von 70 Kilometern
pro Stunde nachzuweisen.
"Der bedeutende Fortschritt ist, dass diese Messungen auf einer Plattform
durchgeführt wurden, die sich bewegte und vibrierte, und dass wir diese
Biosignaturen trotzdem innerhalb von Sekunden nachweisen konnten", freut sich
Jonas Kühn, MERMOZ-Projektmanager vom CSH der Universität Bern. Lucas Patty,
MERMOZ-Postdoktorand an der Universität Bern und Mitglied des NFS PlanetS
erläutert das Verfahren: "Wenn Licht von biologischer Materie reflektiert wird,
bewegt sich ein Teil der elektromagnetischen Wellen des Lichts entweder im oder
gegen den Uhrzeigersinn spiralförmig. Dieses Phänomen wird zirkulare
Polarisation genannt und wird durch die Homochiralität der biologischen Materie
verursacht. Ähnliche Lichtspiralen werden von der abiotischen, nicht lebenden
Natur nicht erzeugt."
Diese zirkulare Polarisation zu messen, ist jedoch eine Herausforderung. Das
Signal ist recht schwach und macht normalerweise weniger als ein Prozent des
reflektierten Lichts aus. Um es zu messen, entwickelte das Team ein spezielles
Instrument, ein sogenanntes Spektropolarimeter. Es besteht aus einer Kamera mit
speziellen Linsen und Empfängern, die in der Lage sind, die zirkulare
Polarisation vom Rest des Lichts zu trennen. Doch selbst mit diesem aufwendigen
Instrument wären die neuen Ergebnisse bis vor kurzem unmöglich gewesen.
"Noch vor vier Jahren konnten wir das Signal nur aus einer sehr geringen
Entfernung, etwa 20 Zentimeter, detektieren und mussten dazu dieselbe Stelle
mehrere Minuten lang beobachten", erinnert sich Patty. Aber die Upgrades am
Instrument, die er und seine Kolleginnen und Kollegen vorgenommen haben,
ermöglichen eine viel schnellere und stabilere Detektion, und die Stärke der
Signatur in zirkularer Polarisation bleibt auch bei Entfernung erhalten. Das
machte das Instrument fit für die ersten zirkularen Polarisationsmessungen aus
der Luft.
Mit diesem aufgerüsteten Instrument, genannt FlyPol, demonstrierte das Team,
dass man durch nur wenige Sekunden lange Messungen aus einem schnell fliegenden
Hubschrauber heraus zwischen Grasflächen, Wäldern und städtischen Gebieten
unterscheiden kann. Die Messungen zeigen deutlich, dass lebende Materie die
charakteristischen Polarisationssignale aufweist, während zum Beispiel Straßen
keine signifikanten zirkularen Polarisationssignale zeigen.
Mit dem aktuellen Aufbau sind die Forschenden sogar in der Lage, Signale zu
erkennen, die von Algen in Seen stammen. Nach ihren erfolgreichen Tests wollen
die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun noch weiter gehen: "Der nächste
Schritt, den wir anstreben, ist die Durchführung ähnlicher Nachweise von der
Internationalen Raumstation (ISS) aus, die auf die Erde blickt. Das wird uns
erlauben, die Nachweisbarkeit von Biosignaturen im planetarischen Maßstab zu
beurteilen. Dieser Schritt wird entscheidend sein, um die Suche nach Leben in
und jenseits unseres Sonnensystems mithilfe der Polarisation zu ermöglichen", so
der MERMOZ-Projektleiter Brice-Olivier Demory, Professor für Astrophysik an der
Universität Bern.
Die Messung der zirkularen Polarisationssignale ist nicht nur für zukünftige
Weltraummissionen zur Erkennung von Leben wichtig. "Da das Signal in direktem
Zusammenhang mit der molekularen Zusammensetzung des Lebens und damit seiner
Funktionsweise steht, kann es auch wertvolle ergänzende Informationen in der
Erdfernerkundung bieten", unterstreicht Patty. So könnten beispielsweise aus der
Luft Abholzung oder Pflanzenkrankheiten festgestellt werden, und es könnte sogar
möglich sein, die zirkulare Polarisation bei der Überwachung von toxischen
Algenblüten, von Korallenriffen und den Auswirkungen der Versauerung darauf
einzusetzen.
Das MERMOZ-Projekt (Monitoring planEtary suRfaces with Modern pOlarimetric
characteriZation) zielt darauf ab, zu untersuchen, ob Leben auf der Erde vom
Weltraum aus identifiziert und charakterisiert werden kann, indem eine
Benchmark-Bibliothek von Oberflächenmerkmalen mit ferngesteuerter Spektro-Polarimetrie
aufgebaut wird. In diesem Rahmen wird die Erde als Stellvertreterin für andere
Körper des Sonnensystems und Exoplaneten betrachtet.
Über ihre Ergebnisse berichtete das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Astronomy & Astrophysics erscheint.
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