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GRAVITATIONSWELLEN
Ein Schwarzes Loch, das es nicht geben dürfte
Redaktion / Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik
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3. September 2020

Die Gravitationswellendetektoren LIGO und Virgo haben eine bemerkenswerte Entdeckung gemacht: Sie registrierten ein Ereignis, das auf die Verschmelzung von zwei vergleichsweise massereichen Schwarzen Löchern hindeutet und zur Entstehung eines Objekte mit der 142-fachen Masse der Sonne führte. Einer der Partner war dabei allerdings massereicher, als er eigentlich sein dürfte.

GW190521

Numerische Simulation von zwei Schwarzen Löchern, die sich umrunden, aufeinanderzufallen und verschmelzen und dabei Gravitationswellen abstrahlen.  Bild: N. Fischer, H. Pfeiffer, A. Buonanno (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik), Simulating eXtreme Spacetimes (SXS)  [Großansicht]

Gestern Nachmittag haben die LIGO-Scientific-Kollaboration und die Virgo-Kollaboration mit GW190521 einen ganz besonderen Fund präsentiert. GW190521 wurde von beiden LIGO-Detektoren und dem Virgo-Detektor am 21. Mai 2019 empfangen – am Anfang ihres dritten gemeinsamen Beobachtungslaufs O3, der am 1. April 2019 begann. "Von Anfang an stellte uns dieses gerade einmal eine Zehntelsekunde lange Signal vor Herausforderungen, als wir seine Quelle identifizieren wollten", erinnert sich Alessandra Buonanno, Direktorin am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut; AEI) in Potsdam und College-Park-Professorin an der University of Maryland.

"Aber trotz der kurzen Dauer konnten wir zeigen, dass das Signal einem entspricht, das wir – wie von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie vorhergesagt – von verschmelzenden Schwarzen Löchern erwarten. Uns wurde klar, dass wir erstmals Zeuge der Geburt eines mittelschweren Schwarzen Lochs waren, dessen einer Elternteil höchstwahrscheinlich selbst aus einer früheren Verschmelzung eines Doppelsystems hervorgegangen ist", so Buonanno weiter.

GW190521 ist das vierte Gravitationswellensignal aus O3, das veröffentlicht wurde, und es ist ziemlich kurz: Es dauerte etwa eine Zehntelsekunde und umfasst vier Gravitationswellenzyklen (entsprechend zwei gegenseitigen Umläufen der Schwarzen Löcher) im Frequenzband der Detektoren. Während dieser kurzen Zeit steigt die Frequenz von 30 Hertz auf 80 Hertz, bevor das Signal mit der Verschmelzung der beiden Schwarzen Löcher endet. GW190521 ist nicht nur diejenige Verschmelzung Schwarzer Löcher mit der höchsten bisher beobachteten Gesamtmasse, sondern auch die am weitesten entfernte.

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Aufgrund der großen Masse wurden sehr starke Gravitationswellen (dem Energieäquivalent der achtfachen Sonnenmasse entsprechend) ausgesendet. Dadurch wird das Signal laut und lässt sich auch über große kosmologische Entfernungen nachweisen. Die Verschmelzung von Schwarzen Löchern mit einer Gesamtmasse von fast 150 Sonnen fand vor etwa sieben Milliarden Jahren statt – damals war das Universum halb so alt wie heute.

Der Überrest von der Verschmelzung der beiden Schwarzen Löcher – eines mit 66 und das andere mit 85 Sonnenmassen – ist ein Schwarzes Loch mit 142 Sonnenmassen. Das ist massereicher als alle zuvor von LIGO und Virgo beobachteten Schwarzen Löcher und ist zudem die erste direkte Beobachtung der Geburt eines Schwarzen Lochs mittlerer Masse. Diese bisher postulierte und zuvor nur indirekt beobachtete Klasse Schwarzer Löcher zeichnet sich durch ihre Massen im Bereich von 100- bis 100.000-mal der unserer Sonne aus. Sie sind massereicher als die bekannten "leichteren" Schwarzen Löcher mit Sternmassen und weniger massereich als die "schwereren" extrem massereichen Schwarzen Löcher in den Zentren von Galaxien.

Noch erstaunlicher ist das massereichere Schwarze Loch in diesem Paar: Seine Masse vom 85-fachen der unserer Sonne passt nicht zu den Modellen der Sternentwicklung. "Nach unserem Verständnis davon, wie Sterne altern und sich entwickeln, erwarten wir, dass wir Schwarze Löcher mit entweder weniger als 65 Sonnenmassen oder mehr als 120 Sonnenmassen finden, aber keine dazwischen", erklärt Frank Ohme, Leiter einer Max-Planck-Forschungsgruppe am AEI Hannover. "Das Schwarze Loch mit 85 Sonnenmassen im Ursprungssystem von GW190521 fällt genau in diese Lücke, wo es nicht sein sollte! Das kann zwei Dinge bedeuten: Unser Verständnis der Sternentwicklung ist unvollständig oder hier hat sich etwas anderes ereignet."

Nach heutigem Verständnis explodieren die Sterne, aus denen Schwarze Löcher mit Massen zwischen 65 und 120 Sonnenmassen entstehen würden, nicht als Supernovae, und daher entstehen auch keine solchen Schwarzen Löcher. Vielmehr erleben die Sterne eine oder mehrere kurze instabile Episoden, in denen sie jeweils einen signifikanten Anteil ihrer Masse abstoßen, anstatt vollständig zu explodieren. Am Ende dieses Prozesses bleibt ein Stern zurück, der in einer Supernova explodiert und ein Schwarzes Loch mit weniger als 65 Sonnenmassen erzeugt.

Sterne, die Schwarze Löcher mit mehr als 120 Sonnenmassen bilden würden, sollten direkt ohne das begleitende Feuerwerk einer Supernova kollabieren. Die entstehende Lücke im Massenspektrum Schwarzer Löcher wird als "Paarinstabilitätslücke" bezeichnet. Sie ist nach dem physikalischen Prozess benannt, der die Episoden des Massenauswurfs verursacht.

Das Doppelsystem könnte also eventuell eine komplexere Entstehungsgeschichte gehabt haben. Zwar gibt es Unsicherheiten im Verständnis der Sternentwicklung, so dass möglicherweise doch Schwarze Löcher mit mehr als 65 Sonnenmassen aus Supernova-Explosionen entstehen könnten. Die Teams sind jedoch der Meinung, dass die wahrscheinlichste Erklärung für die Entstehung des Objekts mit 85 Sonnenmassen eine frühere Verschmelzung von zwei kleineren Schwarzen Löchern oder von zwei massereichen Sternen ist.

Auch wenn sich das Signal nach Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie gut als Verschmelzung Schwarzer Löcher beschreiben lässt, untersuchten die LIGO- und Virgo-Teams auch andere mögliche Erklärungen für ihre Beobachtung. Dass es von kosmischen Strings – hypothetischen Objekten, die sich im frühen Universum gebildet haben könnten – stammt, scheint unwahrscheinlich. Es ist ebenso unwahrscheinlich, dass das Signal von einer Kernkollaps-Supernova stammt, bei der auch elektromagnetische Strahlung oder Neutrinos auftreten müssten.

GW190521 könnte auch von einer Verschmelzung weniger massereicher Schwarzer Löcher in geringerer Entfernung zur Erde stammen, deren Gravitationswellen durch eine Gravitationslinse verzerrt wurden. Sie könnte auch von primordialen Schwarzen Löchern stammen, die sich im frühen Universum noch vor den ersten Sternen bildeten. LIGO- und Virgo-Forschende haben jedoch ermittelt, dass diese beiden Erklärungen im Vergleich zum normalen Verschmelzungsszenario sehr unwahrscheinlich sind.

Schließlich könnte das Signal durch eine Verschmelzung von zwei Schwarzen Löchern auf elliptischen Bahnen entstanden sein. Um dies zu überprüfen, müssen jedoch genaue Signalmodelle einschließlich der aus der Allgemeinen Relativitätstheorie abgeleiteten Einflüsse von elliptischen Bahnen auf die Wellenformen mit dem Signal verglichen werden. Doch noch gibt es diese Modelle nicht.

"Wir wissen noch nicht, ob GW190521, diese überraschende Entdeckung und erste Beobachtung eines mittelschweren Schwarzen Lochs, den Vertreter einer völlig neuen Klasse von Doppelsystemen Schwarzer Löcher darstellt oder nur das massereiche Ende des Spektrums, das wir bisher gesehen haben", sagt Karsten Danzmann, Direktor am AEI Hannover und Direktor des Instituts für Gravitationsphysik der Leibniz Universität Hannover. "Bald, wenn wir alle Verschmelzungen Schwarzer Löcher analysiert haben, die LIGO und Virgo in ihrem dritten Beobachtungslauf beobachtet haben, wissen wir hoffentlich mehr."

Über ihre Ergebnisse berichten die Teams in zwei Fachartikeln, die in den Physical Review Letters und den Astrophysical Journal Letters erschienen sind.

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siehe auch
Gravitationswellen: Schwarzes Loch mit rätselhaftem Begleiter - 24. Juni 2020
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Gravitationswellen: Weiteres Signal von Neutronensternen? - 1. März 2019
Gravitationswellen: Neuer Beobachtungslauf beginnt - 1. April 2019
Links im WWW
Preprint des Fachartikels in den Physical Review Letters
Fachartikel in den Astrophysical Journal Letters
Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik
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