Schwarzes Loch mit rätselhaftem Begleiter
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik astronews.com
24. Juni 2020
Mitte August des vergangenen Jahres registrierten die
Gravitationswellendetektoren Ligo und Virgo ein weiteres faszinierendes Signal:
Es stammt von der Verschmelzung eines Schwarzen Lochs mit 23 Sonnenmassen mit
einem 9-mal leichteren Objekt. Nun rätselt das Team, um was es sich dabei
handeln könnte: um einen sehr schweren Neutronenstern oder um ein sehr leichtes
Schwarzes Loch.
Visualisierung des Zusammenpralls zweier
Schwarzer Löcher, die einander umkreisen,
verschmelzen und dabei Gravitationswellen
aussenden. Das größere Schwarze Loch ist 9,2-mal
so massereich wie das kleinere. Beide Objekte
drehen sich nicht um sich selbst.
Bild: N. Fischer, S. Ossokine, H. Pfeiffer,
A. Buonanno (Max-Planck-Institut für
Gravitationsphysik), Simulating eXtreme
Spacetimes (SXS) Collaboration [Großansicht] |
"GW190814 ist eine unerwartete und wirklich aufregende Entdeckung",
sagt Abhirup Ghosh, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung
"Astrophysikalische und Kosmologische Relativitätstheorie" am
Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut; AEI) in
Potsdam. "Sie ist aufgrund zweier herausragender Merkmale einzigartig. Noch nie
zuvor haben wir eine Gravitationswelle von einem System gemessen, in dem die
Einzelmassen so unterschiedlich sind: Ein Schwarzes Loch mit der 23-fachen Masse
unserer Sonne verschmilzt mit einem Objekt, das nur die 2,6-fache Masse der
Sonne hat. Aber was es noch rätselhafter macht, ist, dass wir nicht genau
wissen, was das leichtere Objekt ist. Wenn es sich tatsächlich um ein Schwarzes
Loch handelt, ist es das leichteste bekannte, ist es hingegen ein
Neutronenstern, so ist dies der massereichste, den wir je in einem Doppelsystem
beobachtet haben."
Aufgrund der so unterschiedlichen Massen sind die "Fingerabdrücke" der
Gezeitenverformung des Neutronensterns, die seine Anwesenheit verraten würden,
in GW190814 schwer zu erkennen – und wurden auch nicht nachgewiesen. Daher
bleibt unklar, ob das leichtere Objekt ein Schwarzes Loch oder ein
Neutronenstern ist. Wenn es sich tatsächlich um einen Neutronenstern handelt,
wäre er außergewöhnlich schwer. Das würde das Verständnis davon, wie sich
Neutronenstern-Materie verhält und wie massereich diese Objekte sein können,
infrage stellen.
"Weil die Massen der Objekte so unterschiedlich sind, konnten wir das Brummen
einer höheren Harmonischen der Gravitationswelle, das den Obertönen von
Musikinstrumenten ähnelt, eindeutig identifizieren“, sagt Jonathan Gair,
Gruppenleiter in der Abteilung "Astrophysikalische und Kosmologische
Relativitätstheorie" am AEI in Potsdam. "Diese Harmonischen – in GW190814 erst
zum zweiten Mal überhaupt nachgewiesen – erlauben es uns, einige
astrophysikalische Eigenschaften des Doppelsystems genauer zu messen und
ermöglichen neue Tests von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie."
GW190814 wurde sowohl von den LIGO-Detektoren als auch vom Virgo-Detektor am
14. August 2019 während des dritten Beobachtungslaufs (O3) der Observatorien
beobachtet – auf den Tag genau zwei Jahre nach GW170814, dem ersten von allen
drei Instrumenten gemeinsam beobachteten Signal. "Durch den günstigen Umstand,
ein so lautes Signal mit ganz unterschiedlichen Komponentenmassen über eine
Dauer von etwa zehn Sekunden beobachtet zu haben, konnten wir die bisher
präziseste Messung der Eigenrotation eines Schwarzen Lochs mittels
Gravitationswellen durchführen", erklärt Alessandra Buonanno, Direktorin der
Abteilung "Astrophysikalische und Kosmologische Relativitätstheorie" am AEI in
Potsdam. "Das ist wichtig, weil die Eigenrotation eines Schwarzen Lochs
Informationen über dessen Entstehung und Entwicklung enthält. Wir fanden heraus,
dass sich dieses Schwarze Loch mit 23 Sonnenmassen ziemlich langsam dreht:
weniger als sieben Prozent der von der Allgemeinen Relativitätstheorie erlaubten
maximalen Eigenrotation."
"Es ist wirklich schwierig, etwas über die Umgebung, in der dieses
ungewöhnliche Doppelsystem geboren wurde, und über seine Entwicklung
herauszufinden. Es ist anders als die meisten solcher Systeme, die wir aus
Simulationen ihrer Population kennen", sagt Frank Ohme, Leiter einer
unabhängigen Max-Planck-Forschungsgruppe am AEI Hannover. "GW190814 und ähnliche
zukünftige Signale könnten uns helfen, diese unerwartete neue Art von
Doppelsystemen und die Prozesse, die zur Entstehung von schweren
Neutronensternen oder leichten Schwarzen Löchern führen, besser zu verstehen",
fügt er hinzu.
Nach Vermutung der Astronominnen und Astronomen hat sich das System mit
größter Wahrscheinlichkeit entweder in jungen, dichten Sternhaufen oder in der
Umgebung aktiver Galaxienkerne gebildet. Basierend auf ihren Schätzungen davon,
wie viele solcher Systeme im Universum existieren und wie oft sie verschmelzen,
geht das Team davon aus, dass sie in zukünftigen LIGO/Virgo-Beobachtungsläufen
noch weitere solcher Systeme beobachten werden.
Die sehr unterschiedlichen Massen prägen sich in das ausgesandte
Gravitationswellensignal ein, was wiederum den Forschenden ermöglicht, einige
astrophysikalische Eigenschaften, wie z. B. die Entfernung zum System, genauer
zu bestimmen. Detaillierte Analysen der LIGO- und Virgo-Daten zeigen, dass die
Verschmelzung in einer Entfernung von etwa 780 Millionen Lichtjahren von der
Erde stattfand. Die Richtung zum Signalursprung konnte auf eine Fläche in
Richtung des Sternbildes Bildhauer am Südhimmel eingegrenzt werden, die in etwa
der von 90 Vollmonden entspricht.
Die Forscherinnen und Forscher des AEI trugen sowohl zum Nachweis, als auch
zur Analyse von GW190814 bei. Sie stellten genaue Modelle der Gravitationswellen
von verschmelzenden Schwarzen Löchern bereit. Diese berücksichtigten erstmals
die Präzession der Eigenrotationen der Schwarzen Löcher, Multipolmomente
jenseits des dominanten Quadrupols sowie Gezeiteneffekte, die durch den
möglichen Neutronenstern-Begleiter hervorgerufen werden. Diese in die Wellenform
eingeprägten Merkmale sind entscheidend, um einzigartige Informationen über die
Eigenschaften der Quelle zu gewinnen und Tests der Allgemeinen
Relativitätstheorie durchzuführen. Die Hochleistungs-Computercluster "Minerva"
und "Hypatia" am AEI Potsdam wurden zur Entwicklung der für die Untersuchungen
verwendeten Wellenformmodelle eingesetzt.
Über die Entdeckung berichtet das Team in einem Fachartikel, der in den
Astrophysical Journal Letters erschienen ist.
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