Wachstum in Schüben
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
16. Juli 2020
Wie es massereichen Sternembryos gelingt, durch Aufnahme von
Material aus der sie umgebenden Scheibe aus Gas und Staub weiter zu wachsen, war
lange Zeit ein Rätsel. Nun hat ein internationales Forschungsteam eine
verräterische Spiralstruktur in einer Scheibe entdeckt, in derem Zentrum ein
wachsender Stern von etwa zwölf Sonnenmassen eine dramatische Helligkeitszunahme
erfahren hat.
Künstlerische Darstellung der unmittelbaren
Umgebung des massereichen Protosterns G358-MM1.
Die Scheibe, die ihn umgibt, hat eine
Spiralstruktur ausgebildet, die durch
charakteristische Emissionen von Masern sichtbar
wird. Diese Struktur spricht für eine massereiche
Scheibe aus Gas und Staub, die unter ihrer
Eigengravitation instabil wird und zum Teil in
kompakte Pakete zerfällt, die den Protostern
häppchenweise speisen.
Bild: Xi Chen (Guangzhou University, China)
und Zhi-Yuan Ren (National Astronomical
Observatories, Chinese Academy of Science,
Peking, China) [Großansicht] |
Massereiche Sterne, also Sterne, deren Masse mindestens dem Achtfachen der
Sonne entspricht, unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von den massearmen
Sternen, zu denen auch unsere Sonne zählt. So konnten sich Astronomen lange Zeit
nicht befriedigend erklären, wie das Material, das die Protosterne – also die
noch jungen, unfertigen Sterne – wachsen lässt, den enormen Strahlungsdruck
überwinden kann. Eine aktuelle Untersuchung unter der Leitung von Xi Chen von
der Guangzhou University und dem Shanghai Astronomical Observatory in China und
Andrej Sobolev von der Ural Federal University in Russland, an der auch das
Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) in Heidelberg beteiligt ist, hat nun
einen wichtigen Schritt zur Klärung dieses Rätsels geschafft.
Als Teil der weltweit kooperierenden Maser Monitoring Organization (M2O)
entdeckten die Forscher in der Umgebung des 22.000 Lichtjahre entfernten
massereichen Protosterns G358-MM1 eine Spiralstruktur, die Teil einer Scheibe
aus Gas und Staub ist, die den Protostern umgibt. Wissenschaftler sagen dieses
Phänomen theoretisch für massereiche Scheiben vorher, von denen Astronomen
vermuten, dass sie sich bevorzugt bei der Entstehung von massereichen Sternen
bilden. Dabei fällt ständig neues Material aus einer weiter außen liegenden
Hülle aus Gas und Staub auf die Scheibe auf und lässt sie weiter wachsen.
Derzeit hat sie einen Durchmesser von 1340 Astronomischen Einheiten, wobei eine
Astronomische Einheit der mittleren Entfernung der Erde von der Sonne, also 49,6
Millionen Kilometer, entspricht.
Die Gravitationswirkung des zentralen Sterns beeinflusst solche massereichen
Scheiben nur zum Teil. Stattdessen wirkt die Gravitation der Scheibe selbst
maßgeblich auf ihre Stabilität ein, so dass die Materie auf Bahnen geleitet
wird, die zur Ausprägung einer Spirale führen. Eine weitere Konsequenz der
Instabilität ist, dass die Scheibe zum Teil in dichte, kompakte Pakete aus Gas
und Staub zerfällt. Diese überstehen den Sturz auf den leuchtstarken
massereichen Protostern trotz des immensen Strahlungsdrucks und führen so zu
einem schubweisen Wachstum.
Dieser Prozess, den Astronomen Akkretion nennen, lässt die Leuchtkraft des
Protosterns vorübergehend stark ansteigen. Wegen der dichten Scheibe ist die
Zunahme der Helligkeit jedoch nur schwer zu beobachten. Der Nachweis erfolgte
bei G358-MM1 einerseits durch die Messung von Fern-Infrarotstrahlung, die durch
das Aufheizen der Scheibe freigesetzt wird. Ein technisch einfacherer Nachweis
ist die Detektion von Maserstrahlung. Maser sind das Pendant zu Lasern, die
jedoch statt sichtbarem Licht Mikrowellenstrahlung – oder Radiostrahlung –
abgeben. Sie kommen in massereichen Sternentstehungsgebieten als natürliche,
sehr helle und kompakte Strahlungsquellen vor.
In einer früheren Studie hatten die Astronomen das vorübergehende Aufflammen
von Maseremission in G358-MM1 als Hinweis auf eine Hitzewelle identifiziert, die
durch die Scheibe lief. In der aktuellen Studie verriet sich die Spiralstruktur
ebenfalls durch Masersignale, die auch hier durch einen zeitweiligen starken
Anstieg der Strahlungsleistung verursacht wurde, hervorgerufen von einem
neuerlichen Akkretionsschub.
Die Wissenschaftler modellierten aus den Positionen und
Geschwindigkeitsinformationen der detektierten Maser nicht nur die Form der
zugrundliegenden Konfiguration, sondern folgerten, dass Materie entlang der
Spiralarme von den äußeren Bereichen der Scheibe nach innen strömt und von dort
allmählich den Protostern füttert, dessen Masse sie auf etwa zwölf Sonnenmassen
bestimmten.
"G358-MM1 ist damit das erste Exemplar eines massereichen Protosterns, dessen
kurzzeitiger Helligkeitsanstieg eindeutig mit der Ausprägung einer Spirale
zusammenfällt, einer Struktur, die für eine instabile, massereiche Scheibe
spricht", erläutert Xi Chen. In Verbindung mit theoretischen Modellen kann somit
erstmals ein direkter Zusammenhang zwischen der Variation der Leuchtkraft und
der Akkretion von einzelnen Materiepaketen aus einer instabilen, massereichen
Scheibe hergestellt werden. "Dieses Resultat legt nahe, dass die durch Scheiben
vermittelte Akkretion daher als ein üblicher Mechanismus der Sternentstehung von
massearmen bis massereichen Sternen angesehen werden könnte", stellt Xi Chen
fest.
Eine weitere Überraschung war die Art der Maser. Bislang fand man in den
Scheiben mit Akkretionstätigkeit hauptsächlich Maserstrahlung des
Methanolmoleküls, welches durch die erhöhte Infrarotstrahlung angeregt wird. Die
Maser in der Spirale waren jedoch etwas völlig Neues. Einerseits beruhte diese
Strahlung auf einer besonderen Form des Methanols, bei dem ein gewöhnliches
Kohlenstoffatom durch ein schwereres Kohlenstoff-Isotop ausgetauscht ist, das
ein Neutron mehr als üblich aufweist. Andererseits fanden die Wissenschaftler
dort Maseraktivität von schwerem Wasser. Dieses trägt statt eines
Wasserstoffatoms ein Deuteriumatom in sich. "Die genauen Ursachen für die
Anregung gerade dieser Moleküle wollen die Astronomen noch ermitteln", erklärt
Hendrik Linz vom MPIA, der an der Studie beteiligt war. "Allerdings zeigt dies,
dass die Bedingungen in diesen Spiralarmen und damit in den massereichen
Scheiben außergewöhnlich sein müssen."
Über die Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in Nature
Astronomy erschienen ist.
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