Erlebnisse im Wunderland
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
15. Oktober 2018
Ende der vergangenen Woche haben die Verantwortlichen des
Asteroidenlanders MASCOT weitere Details über die rund 17-stündigen Mission des
kleinen Landers auf der Oberfläche des Asteroiden Ryugu vorgestellt. Unter
anderem präsentierten sie eine genaue Rekonstruktion seines Wegs auf
der Oberfläche. Ryugu selbst scheint eine Welt mit viel Geröll, vielen Steinen,
aber ohne Staub zu sein.

Dieses Bild des am DLR entwickelten
MASCAM-Aufnahmesystems entstand kurz nach dem
ersten Bodenkontakt aus wenigen Metern Höhe über
der Oberfläche von Ryugu.
Bild: MASCOT / DLR / JAXA [Großansicht] |
Sechs Minuten freier Fall, sanfter Aufprall auf einem Stein und dann elf
Minuten wiederholtes abprallen bis zur ersten Ruhelage. So begann die Reise des
Asteroidenlanders MASCOT am frühen Morgen des 3. Oktober 2018 auf Asteroid Ryugu,
einem Land voller Überraschungen, Geheimnissen und Herausforderungen. Nach
diesem ersten Weg auf dem knapp 900 Meter großen Asteroiden folgten rund 17
Stunden intensiver wissenschaftlicher Erkundung. Hierzu wurde die Landesonde vom
MASCOT-Kontrollraum am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln
in Anwesenheit von Wissenschaftlerteams aus Deutschland, Frankreich und Japan
kommandiert und gesteuert.
MASCOT übertraf alle Erwartungen und führte seine vier Experimente an
mehreren Stellen auf dem Asteroiden aus. Noch nie zuvor in der Geschichte der
Raumfahrt wurde ein Körper des Sonnensystems auf diese Art und Weise erforscht.
Der Weg, den MASCOT dabei auf der Oberfläche zurücklegte, konnte nun anhand von
Bilddaten der japanischen Sonde Hayabusa2 sowie der Bilder und Daten
von MASCOT genau nachvollzogen werden.
"Robotische Spitzentechnologie, eine langfristige Planung in vielen Details
und eine intensive internationale Kooperation zwischen den Wissenschaftlern und
Ingenieuren der drei Raumfahrtnationen Japan, Frankreich und Deutschland haben
diesen Erfolg erst möglich gemacht", sagt Prof. Hansjörg Dittus, DLR-Vorstand
für Raumfahrtforschung und -technologie über diesen Meilenstein der Erforschung
des Sonnensystems. "Wir sind stolz darauf, wie MASCOT seinen Weg auf dem
Asteroiden Ryugu über Geröll und Steine gemeistert hat und dabei so viele Daten
über die Zusammensetzung zur Erde zurücksenden konnte", freut sich die
DLR-Vorstandsvorsitzende Prof. Pascale Ehrenfreund.
MASCOT hat kein Antriebssystem und landete im freien Fall. Sechs Minuten nach
dem Abtrennen von Hayabusa2 berührte das Landemodul am Ende einer
ballistischen Flugbahn zum ersten Mal den Boden des Asteroiden Ryugu. Auf der
Oberfläche bewegte sich MASCOT mit einer Schwungmasse aus Wolfram am Ende eines
eingebauten rotierenden Schwungarms fort. So konnte MASCOT auf die "richtige"
Seite gedreht werden und sogar Sprünge auf der Asteroidenoberfläche vollführen.
Ryugu hat nur ein 66.500stel der Anziehungskraft der Erde, sodass der kleine
Schwung hierfür ausreichte: Eine technische Innovation für eine ungewöhnliche
Form der Mobilität auf einer Asteroidenoberfläche, die im Rahmen der Mission
Hayabusa2 zum ersten Mal in der Geschichte der Raumfahrt zum Einsatz kam.
Um den Weg von MASCOT über die Oberfläche von Ryugu rekonstruieren zu können,
waren die Augen der Kameras an Bord der Muttersonde Hayabusa2 auf den
Asteroiden gerichtet. Die Optical Navigation Camera (ONC) hielt den
freien Fall von MASCOT in mehreren Bildern fest, sah den Schatten, den das
Experimentpaket während der Flugphase auf den Boden warf und identifizierte den
ruhenden MASCOT schließlich in mehreren Bildern direkt auf der Oberfläche. Das
Muster der unzähligen auf der Oberfläche verteilten Blöcke war auch in
Schrägaufnahmen der Kamera MASCAM aus der Landesonde heraus in Richtung des
jeweiligen Horizonts zu erkennen.
Die Kombination dieser Informationen entschlüsselte den einzigartigen Pfad
der Landesonde. Nach dem ersten Auftreffen prallte MASCOT sanft von einem großen
Block ab, berührte noch etwa acht Mal den Boden und fand sich dann in einer
zunächst für die Messungen ungünstigen Ruhelage wieder. Nach der Kommandierung
und Ausführung eines eigens eingeleiteten Korrektur-Hüpfers kam MASCOT ein
zweites Mal zum Stillstand. Die genaue Position dieses zweiten Ortes wird
derzeit noch ermittelt. Dort wurden die ausführlichen Messungen über einen
Asteroidentag und eine Asteroidennacht hinweg absolviert.
Es folgte ein kleiner "Mini Move", um dem Spektrometer MicrOmega noch bessere
Bedingungen für die Messung der Zusammensetzung des Asteroidenmaterials zu
ermöglichen. Schließlich wurde MASCOT ein letztes Mal in Bewegung gesetzt für
einen größeren Sprung. Dort am letzten Ort führte er noch einige Messungen
durch, bevor die dritte Nacht anbrach und der Kontakt zu Hayabusa2
abbrach. Das Raumschiff hatte sich aus der Sichtlinie bewegt. Um 21.04 Uhr
erreichte das letzte Signal von MASCOT die Muttersonde Hayabusa2. Die
Mission war beendet.
"Wir rechneten wegen der kalten Nacht damit, dass es weniger als 16 Stunden
Batterielaufzeit werden würden", sagt MASCOT-Projektleiterin Dr. Tra-Mi Ho vom
DLR-Institut für Raumfahrtsysteme. "Schließlich konnten wir MASCOT aber sogar
bis zum einsetzenden Funkschatten mehr als eine Stunde länger betreiben, ein
toller Erfolg." MASCOT und das Landegebiet wurden von den Wissenschaftlern noch
während der Mission nach dem gleichnamigen Kinderbuch von Lewis Carroll (1832
bis 1898) als "Alice‘s Wonderland" getauft.
Nach der exakten Rekonstruktion und Lokalisierung der Ereignisse sind die
Wissenschaftler nun damit beschäftigt, erste Ergebnisse aus den Messdaten und
Bildern herauszulesen. "Was wir aus der Distanz gesehen haben, hat uns schon
eine Ahnung gegeben, wie es auf der Oberfläche aussehen könnte", berichtet Prof.
Ralf Jaumann vom DLR-Institut für Planetenforschung und wissenschaftlicher
Leiter der MASCOT-Mission. "Tatsächlich ist es am Boden aber noch viel
verrückter, als erwartet. Alles ist von groben Blöcken, und Geröll übersät. Wie
kompakt diese Blöcke sind und welche Zusammensetzung sie haben, das wissen wir
noch nicht. Vor allem aber: Fast nirgendwo sind größere Ansammlungen feinen
Materials zu sehen, und das haben wir gar nicht erwartet. Das müssen wir in den
nächsten Wochen noch ganz genau untersuchen, da die kosmische Verwitterung
eigentlich feines Material erzeugen müsste", so Jaumann weiter.
"MASCOT hat genau das gebracht, was wir uns an Daten erhofft haben: Eine
'Verlängerung' des Arms der Experimente auf der Raumsonde bis auf den Boden von
Ryugu und direkte Messungen vor Ort", sagt Dr. Tra-Mi Ho. Nun gibt es über die
ganze Skala von Teleskop-Lichtkurven von der Erde über die Fernerkundung mit
Hayabusa2 bis zum mikroskopischen Befund von MASCOT Messdaten. "Das wird
für die Charakterisierung dieser Klasse von Asteroiden von enormer Bedeutung
sein", unterstreicht Prof. Ralf Jaumann.
Ryugu ist ein sogenannter C-Klasse-Asteroid, ein als kohlenstoffreich
eingeschätzter Vertreter der ältesten Körper des viereinhalb Milliarden Jahre
alten Sonnensystems: ein "Urbaustein" der Planetenentstehung und in diesem Falle
auch einer von 17.000 bekannten erdbahnkreuzenden Asteroiden. Auf der Erde gibt
es einige Meteoriten, die eine Zusammensetzung haben, die auch für Ryugu
angenommen wird, beispielsweise gefunden in der Murchison Range in Australien.
Dr. Matthias Grott vom DLR-Institut für Planetenforschung und verantwortlich
für das Radiometerexperiment MARA ist jedoch skeptisch, ob diese Meteoriten
bezüglich ihrer physikalischen Eigenschaften tatsächlich repräsentativ für Ryugu
sind: "Meteoriten wie der in Murchison gefundene sind recht massiv. Unsere
MARA-Daten deuten allerdings darauf hin, dass wir es auf Ryugu eher mit etwas
poröserem Material zu tun haben. Die Untersuchungen stehen erst ganz am Anfang,
aber es ist plausibel anzunehmen, dass kleine Bruchstücke von Ryugu den Eintritt
in die Erdatmosphäre nicht intakt überstehen würden."
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