Grenzen für Dunkle-Materie-Modelle
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Technischen Universität Darmstadt astronews.com
6. November 2017
Was genau ist die Dunkle Materie? Eine Antwort auf diese
Frage würde den beteiligten Forschern vermutlich den Physik-Nobelpreis
einbringen. Doch so weit ist man noch nicht: Jetzt konnten Theoretiker aber
zumindest die Unsicherheiten bei Experimenten zur Suche nach Partikeln der
Dunklen Materie weiter verringern. Sie hoffen, Modelle zur Dunklen Materie
dadurch besser eingrenzen zu können.

Das Universum besteht zum großen Teil aus
Dunkler Materie. Um was es sich dabei handelt,
weiß man bislang nicht.
Bild: NASA, ESA, H. Teplitz und M. Rafelski
(IPAC/Caltech), A. Koekemoer (STScI), R.
Windhorst (Arizona State University) und Z. Levay
(STScI) [Großansicht] |
Aus einer Vielzahl astrophysikalischer Beobachtungen ist bekannt, dass die
sichtbare Materie nur einen kleinen Teil der gesamten Materie des Universums
ausmacht. Die verbleibenden 80 Prozent werden als "Dunkle Materie" bezeichnet,
da sie sich einer direkten Beobachtung bis heute entziehen. Trotzdem gibt es
eine Vielzahl von Modellen für Dunkle Materie, die man in Laborexperimenten
überprüfen kann, da dort die direkte Wechselwirkung zwischen Dunkler und
gewöhnlicher Materie Spuren hinterlassen sollte.
Ein solches Experiment ist beispielsweise das XENON1T Experiment in Gran
Sasso in Italien, in dem in einem Untergrundlabor, gut abgeschirmt von
kosmischer Hintergrundstrahlung, nach den Teilchen der Dunklen Materie gesucht
wird. Dabei versucht man in Detektoren, die mit dem flüssigen Edelgas Xenon
gefüllt sind, Zusammenstöße von Dunkle-Materie-Teilchen mit Xenon-Atomkernen
aufzuspüren. Bisher konnte kein solches Teilchen nachgewiesen werden, jedoch
grenzen die Ergebnisse der Experimente die mögliche Stärke dieser
Wechselwirkungen ein.
Für bestimmte Dunkle-Materie-Modelle, in denen angenommen wird, dass die
Wechselwirkung über den Austausch eines schnell zerfallenden Elementarteilchens
– des Higgs-Bosons – stattfindet, gibt es eine unabhängige, indirekte Methode,
um die Wechselwirkungsstärke einzugrenzen. Nach diesen Modellen erwartet man,
dass das Higgs-Boson in Dunkle Materie zerfällt. Diese Zerfallsprozesse,
sogenannte unsichtbare Higgs-Zerfälle, lassen sich im Prinzip in
Beschleunigerexperimenten wie dem Large Hadron Collider (LHC) am CERN
beobachten.
Die dabei erzeugten Dunkle-Materie-Teilchen, sogenannte WIMPs, würden anders
als gewöhnliche Materie keine Signatur im Detektor hinterlassen. Untersucht man
das Ausbleiben solcher Zerfälle, wie es am LHC beobachtet wurde, lässt sich die
Wechselwirkungsstärke von Dunkler Materie komplementär zu den Einschränkungen
aus den Untergrundexperimenten eingrenzen. In der Vergangenheit war der
Vergleich der Ergebnisse beider Methoden mit einer großen Unsicherheit behaftet,
da die Wechselwirkung des Higgs-Bosons mit den Atomkernen in
Untergrundexperimenten nur unzureichend bekannt war.
In einer Zusammenarbeit von theoretischen Physikern an den Universitäten
Darmstadt, Seattle und Toki ist es gelungen, diese Unsicherheiten deutlich zu
reduzieren. Die Forscher kombinierten dazu die neuesten Ergebnisse aus
kernphysikalischen Experimenten mit Ergebnissen aus modernen numerischen
Simulationen der sogenannten Gitter-QCD, um die Kopplung des Higgs-Bosons an ein
Proton oder Neutron, also an ein Nukleon, genauer zu bestimmen.
Außerdem wurden zum ersten Mal Effekte einbezogen, die sich aus der
Wechselwirkung von Nukleonen innerhalb eines gebundenen Atomkerns ergeben. Diese
erlauben es dem Higgs-Boson, mit zwei Nukleonen zu interagieren. Dies führt zu
kleinen, aber nicht vernachlässigbaren Korrekturen. Zusammengenommen konnte so
für verschiedene Modelle die mögliche Stärke der Wechselwirkung zwischen
Dunkle-Materie-Teilchen und Nukleonen deutlich präziser eingegrenzt werden.
Die Einbeziehung der Wechselwirkung von Nukleonen im Atomkern kann auch in
Zukunft helfen, andere Dunkle-Materie-Modelle besser einzugrenzen. Dieses Ziel
verfolgen die beteiligten Wissenschaftler in enger Zusammenarbeit mit
experimentellen Gruppen.
Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler in einem Fachartikel, der
in den Physical Review Letters erschienen ist.
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