Suche nach Signal der Dunklen Materie
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Kernphysik astronews.com
11. November 2015
Im Universum muss es fünfmal mehr Dunkle Materie als die uns
bekannte sichtbare Materie geben. Es ist aber immer noch unbekannt, woraus diese
Dunkle Materie besteht. Heute wurde im Gran-Sasso-Untergrundlabor in Italien das
XENON1T-Instrument eingeweiht. Damit soll, so die beteiligten Forscher, bei der
Suche nach Dunkler Materie ein neues Kapitel aufgeschlagen werden.
XENON1T im Gran-Sasso-Untergrundlabor: rechts
das Gebäude, das die Xenon-Aufbereitung sowie die
Experimentsteuerung und Datenerfassung
beherbergt, links der große Wassertank, in dessen
Mitte der Detektor installiert ist.
Bild: XENON Collaboration [Großansicht] |
Dunkle Materie ist ein wesentlicher Bestandteil des Universums, und seit
Jahrzehnten wird mit Laborexperimenten danach gesucht. Allerdings konnte bis
heute Dunkle Materie nur indirekt beobachtet werden, nämlich über ihre
Schwerkraft, die alle Bewegungen von Sternen und Galaxien dominiert. Die
Indizien deuten darauf hin, dass Dunkle Materie aus einer unbekannten Art von
stabilen Elementarteilchen, sogenannten WIMPs besteht, die sich bisher der
Beobachtung entzogen haben.
WIMPs wären "Geisterteilchen" ähnlich wie Neutrinos, die ursprünglich auch auf
Grund von Indizien postuliert wurden. "Wir gehen davon aus, dass etwa
Hunderttausend Dunkle-Materie-Teilchen pro Sekunde die Fläche eines Daumennagels
durchströmen", sagt Prof. Manfred Lindner, Direktor am Max-Planck-Institut für
Kernphysik in Heidelberg. "Die Wahrscheinlichkeit, dass sie mit den Atomen in
unserem Detektor wechselwirken, muss aber äußerst gering sein - sonst hätten wir
sie schon gefunden. Der Bereich, in dem WIMPs sichtbar werden sollten, wurde
bisher aber auch noch nicht umfassend abgesucht. Deshalb brauchen wir XENON1T,
ein viel empfindlicheres Instrument, welches tief in den Bereich vordringt, in
dem die seltenen Signale erwartet werden."
Der Detektor wurde von der internationalen XENON-Kollaboration gebaut, der 21
Forschungsgruppen aus den USA, Deutschland, Italien, der Schweiz, Portugal,
Frankreich, den Niederlanden, Schweden, Israel und Abu Dhabi angehören, und die
heute die Einweihung ihres neuen XENON1T-Instruments gefeiert hat. Die Feier mit
Vertretern der geldgebenden Institutionen und Journalisten fand in den
Laboratori Nazionali del Gran Sasso (LNGS) in Italien, einem der größten
Untergrundlabors der Welt, statt.
Etwa 80 Gäste versammelten sich zur Zeremonie in der 110 Meter langen, 15 Meter
breiten und 15 Meter hohen Halle B des LNGS direkt beim XENON1T-Instrument.
"Unser Detektor befindet sich unter 1400 Meter Gestein, um ihn vor der
kosmischen Strahlung zu schützen", erklärt Prof. Uwe Oberlack von der
Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz den Standort des Instruments. "Selbst in
solcher Tiefe benötigen wir noch einen das Experiment umgebenden Schutz aus 750
Kubikmeter hochreinem Wasser, der verbleibende kosmische Strahlung durch winzige
Lichtblitze anzeigt und umgebende Radioaktivität abschirmt."
Als Detektor für Dunkle Materie verwendet XENON1T 3,5 Tonnen des Edelgases Xenon
als ultrareine Flüssigkeit bei –95 Grad Celsius. "Um die seltenen
Wechselwirkungen von Dunkle-Materie-Teilchen im Detektor zu finden, brauchen wir
eine große Menge Detektormaterial und eine extrem hohe radioaktive Reinheit",
erläutert Prof. Christian Weinheimer von der Westfälischen Wilhelms-Universität
Münster, "sonst hätten wir keine Chance, die echten Signale unter den
Störsignalen zu finden."
Deshalb haben die XENON-Wissenschaftler alle Materialien zum Bau des Instruments
sorgfältig auf ihren Gehalt an radioaktiven Verunreinigungen untersucht und die
reinsten ausgewählt. "Objekte völlig ohne Radioaktivität existieren nicht;
winzige Spuren von Radioaktivität sind überall vorhanden, in Metallen, in den
Wänden des Labors und selbst in unserem Körper. Wir setzen alles daran, diese
radioaktiven Verunreinigungen so weit wie möglich zu reduzieren", so Weinheimer.
Die XENON-Forscher messen extrem schwache Licht- und Ladungssignale, aus denen
sie den Ort der Wechselwirkung im Detektor rekonstruieren, außerdem die
freigesetzte Energie. Nur Signale aus der innersten einer Tonne des flüssigen
Xenons werden als möglicherweise von Dunkle-Materie-Teilchen verursacht
angesehen. Das Licht wird von 248 Lichtsensoren registriert, die so empfindlich
sind, dass sie einzelne Photonen nachweisen können. Sie befinden sich zusammen
mit dem tiefkalten flüssigen Xenon in einer Art riesiger Thermoskanne, dem
Kryostaten.
Reinigung und Verflüssigung des Xenon-Gases erfolgen in dem dreistöckigen
XENON-Gebäude neben dem großen Wassertank. Im Erdgeschoss steht eine riesige
Stahlkugel mit Rohrleitungen und Ventilen. "Dieses ReStoX genannte System kann
7,6 Tonnen Xenon sowohl gasförmig als auch flüssig aufnehmen", erläutert
Oberlack. "Das ist mehr als die für XENON1T benötigte Menge, aber wir wollen
darauf vorbereitet sein, in Zukunft erforderlichenfalls rasch die
Empfindlichkeit des Detektors durch eine Erweiterung mit einer größeren Menge
Xenon steigern zu können."
"Die Einweihung findet genau zur Fertigstellung des neuen Instruments statt",
freut sich Weinheimer, "und wir sind schon dabei, die Funktion der Komponenten
zu testen. In Betrieb ist XENON1T dann das weltweit empfindlichste Experiment
zur Suche nach der Dunklen Materie." Erste Ergebnisse werden schon im Frühjahr
2016 erwartet, weil XENON1T bereits nach einer Woche Messzeit alle bisherigen
Experimente übertreffen wird.
Nach zwei Jahren Messzeit wird die Leistungsfähigkeit des Instruments
ausgeschöpft sein, wie eine eben veröffentliche Studie ergeben hat. "Natürlich
wollen wir Dunkle Materie finden", so Lindner, "aber selbst wenn wir nach zwei
Jahren nur einige Hinweise gefunden haben, sind wir in einer ausgezeichneten
Position, weil wir das Instrument schnell auf XENONnT ausbauen können, um auch
die letzten Reste des WIMP-Bereichs abzudecken." Dafür reicht die bestehende
Infrastruktur großenteils aus.
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