Das Deuteron ist kleiner als gedacht
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Paul Scherrer Instituts astronews.com
12. August 2016
Das Deuteron, einer der einfachsten Atomkerne, ist deutlich
kleiner als bislang gedacht. Zu diesem Ergebnis kommt jetzt eine internationale
Forschungsgruppe, die vor einigen Jahren bereits das Proton vermessen hatte -
auch dieses war kleiner als erwartet. Die neuen Ergebnisse könnten dazu führen,
dass eine fundamentale Naturkonstante leicht korrigiert werden muss.

Teil der Laseranlage, die für das Experiment
zur Bestimmung der Deuterongröße benötigt wird.
Hier werden unsichtbare infrarote Laserpulse in
grünes Laserlicht umgewandelt.
Bild: Paul Scherrer Institut/A. Antognini
und F. Reiser [Großansicht] |
Das Deuteron ist kleiner, als bisherige Messungen ergeben haben. Ein Deuteron
ist ein sehr einfacher Atomkern, bestehend nur aus einem Proton und einem
Neutron, also je einem der beiden Bausteine von Atomkernen. Eine internationale
Kooperation von Forschenden hat am Paul Scherrer Institut PSI das Deuteron
genauer vermessen als je zuvor. Der Radius des Deuterons, den sie erhielten,
deckt sich jedoch nicht mit den Werten anderer Forschungsgruppen, sondern zeigt
einen deutlich kleineren Wert.
Trotz dieses Widerspruchs gibt es auch eine Übereinstimmung: Bereits 2010 hatte
die gleiche Forschungsgruppe am PSI von der Vermessung einzelner Protonen mit
derselben Methode berichtet. Auch damals zeigte sich deutlich: Das Proton ist
kleiner als bis dato angenommen. Das Rätsel um den Protonradius nennt die
Forschungsgemeinde seither diesen Umstand. Eine weitere Auswertung von
Protonen-Daten aus dem PSI bestätigte im Jahr 2013 denselben kleinen Wert.
Nun also auch das Deuteron. "Dass aber unsere Methode, die Laserspektroskopie,
fehlerhaft ist, glaubt inzwischen niemand mehr aus der Community", stellt der
PSI-Physiker Aldo Antognini klar. Und sein Forschungspartner Randolf Pohl, der
inzwischen an der Universität Mainz forscht, ergänzt: "Nachdem 2010 unsere erste
Studie herausgekommen war, fürchtete ich, dass sich ein altgedienter Physiker
melden und uns auf einen groben Schnitzer hinweisen würde. Aber die Jahre sind
vergangen und bis heute ist nichts dergleichen passiert. Und nun bestätigt auch
die neue Studie – die Vermessung des Deuterons – das Rätsel um den Protonradius.
Man könnte sagen: Das Rätsel hat sich jetzt doppelt bestätigt", so Pohl.
Das neue Forschungsergebnis ist mehr als eine Verdopplung des alten Rätsels um
den Protonradius: Es kann darüber hinaus der Suche nach der Wahrheit dienen.
"Natürlich kann es nicht sein, dass das Deuteron – genauso wenig wie das Proton
– zwei verschiedene Größen hat", stellt Antognini klar. Also sucht die
Wissenschaftsgemeinde nach Erklärungen, die die unterschiedlichen Werte wieder
miteinander in Einklang bringt.
Eine mögliche Erklärung ist, dass eine bislang unbekannte physikalische Kraft am
Werk ist. Das ist für die Wissenschaftler ein aufregendes Szenario, es ist
jedoch sehr unwahrscheinlich. Die näherliegende Erklärung ist eine
experimentelle Ungenauigkeit. "Tatsächlich ließe sich das Rätsel sehr leicht
lösen, wenn wir von einem minimalen experimentellen Problem bei der
Wasserstoffspektroskopie ausgehen", erklärt Antognini. Auf dieser Methode
basiert ein Teil der früheren Messungen sowohl der Protongröße als auch der
Deuterongröße.
Eine weitere Methode zur Bestimmung der Proton- und Deuterongröße nutzt
Elektronenstreuung. Die Deuterongröße, die via Elektronenstreuung gemessen
wurde, ist tatsächlich vereinbar mit dem neuen Wert der PSI-Forschungsgruppe,
hat jedoch insgesamt eine vergleichsweise große Ungenauigkeit. Um das Rätsel des
Protonradius zu knacken, haben mehrere Forschungsgruppen, die
Wasserstoffspektroskopie oder Elektronenstreuung betreiben, schon vor Jahren
begonnen, ihre Experimente aufzurüsten und in der Genauigkeit zu verbessern.
Darauf sind Antognini und Pohl stolz: "Hätte unser Wert mit den vorangegangenen
übereingestimmt, hätte es zwar nicht dieses verflixte Rätsel um den Protonradius
gegeben; aber es hätte auch niemals diese Welle gegeben, die mittlerweile
weltweit zu mehreren hochgenauen Messaufbauten geführt hat", sagt Pohl. Aktuell
sind Forschungsgruppen in München, Paris und Toronto dabei, genauere Werte via
Wasserstoffspektroskopie zu ermitteln. Deren Ergebnisse werden für die kommenden
Jahre erwartet.
"Sollte sich tatsächlich herausstellen, dass die Wasserstoffspektroskopie einen
falschen – also minimal verschobenen – Wert liefert, so würde das bedeuten, dass
die Rydbergkonstante minimal geändert werden muss", erklärt Antognini. Die
Rydbergkonstante und der Protonradius sind zwei stark aneinander gekoppelte
Größen. Auch ist die Rydbergkonstante unter allen physikalischen Konstanten
diejenige, die bislang mit der höchsten Genauigkeit bestimmt wurde: Selbst ihre
elfte Nachkommastelle ist schon bekannt. Dennoch könnte sich dank des Rätsels um
den Protonradius an diesen letzten Stellen hinter dem Komma noch etwas ändern.
Das hätte für viele Bereiche der Physik Konsequenzen und würde zu minimalen
Korrekturen weiterer Naturkonstanten führen.
Am PSI bestimmten die Forschenden die Größe des Deuterons, indem sie zunächst
künstliche Atome herstellten: myonisches Deuterium. Diese Atome haben als Kern
ein Deuteron, das von einem Myon umkreist wird. Die Myonenquelle des PSI ist die
weltweit leistungsstärkste ihrer Art. Dank dieser war es möglich, rund 300
Myonen pro Sekunde in die Experimentierkammer zu schleusen. Dort trafen sie auf
gasförmiges Deuterium, schleuderten dessen Elektronen heraus und nahmen deren
Platz ein. Das Ergebnis waren Atome von myonischem Deuterium.
Myonen sind negativ geladene Elementarteilchen, sie ähneln Elektronen stark,
sind jedoch rund 200 Mal schwerer als diese. Durch diese höhere Masse bewegen
sich die Myonen viel näher am Atomkern und die Eigenschaften ihrer Bahnen hängen
viel stärker von der Größe dieses Kerns ab. Dies nutzten die Forschenden aus:
Mit einem hochkomplexen gepulsten Lasersystem, das eigens für dieses Experiment
entwickelt worden war, regten sie das Myon im künstlichen Atomverbund an. Die
Wellenlänge des Lasers ließ sich stufenlos variieren.
Bei der exakt richtigen Wellenlänge wurde das Myon von einem energetischen
Zustand in einen anderen gehoben; von dort aus fiel es sofort wieder in einen
niedrigeren Zustand, wobei es ein Lichtteilchen im Röntgenbereich aussandte.
Diejenige eingestrahlte Wellenlänge, bei der ein Maximum an
Röntgen-Lichtteilchen erzeugt wurde, markierte den energetischen Abstand der
betreffenden Myonenbahnen um den Kern. Dieser energetische Abstand hängt stark
mit dem Radius des Deuterons zusammen; die Forschenden konnten also anhand ihrer
Messkurve die Größe des Deuterons bestimmen. Ganz analog hatten sie bei der
Studie aus dem Jahr 2010 die Grösse des Protons gemessen.
Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler jetzt in der Fachzeitschrift
Science.
|