ISS-Besatzung wieder komplett
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
23. Juli 2015
Nach einigen Wochen zu dritt ist die Besatzung der
Internationalen Raumstation ISS wieder komplett: Gestern Abend startete ein
russisches Sojus-Raumschiff mit drei neuen Crewmitgliedern an Bord ins
All und erreichte am frühen Morgen die Raumstation. An Bord war auch eine
neuartige Fernbedienung aus Deutschland, mit der ein Kosmonaut einen Roboterarm
auf der Erde steuern soll.

Start der
Sojus-Raumkapsel gestern Abend von Baikonur aus.
Bild:
NASA TV [Großansicht] |
Es ist ein kompaktes, überschaubares Gepäckstück, das die neue Besatzung der
Internationalen Raumstation ISS - Kosmonaut Oleg Kononenko, Astronaut Kimiya Yui
und Astronaut Kjell Lindgren – bei ihrem Start gestern um 23.02 Uhr MESZ mit an
Bord ihrer Sojus-Rakete haben: Der Kontur-2-Joystick des
Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) flog mit zu seinem neuen
Bestimmungsort. Von dort soll Oleg Kononenko dann mit ihm arbeiten - und im
August den Roboter ROKVISS im Labor des DLR-Instituts für Robotik und
Mechatronik ferngesteuert bewegen.
Das Besondere dabei: Der Kosmonaut wird nicht nur ein Kamerabild von dem
Roboter am Boden übermittelt bekommen, sondern wird währenddessen genau spüren,
was der Roboter in über 400 Kilometern Entfernung auf dem Erdboden berührt.
Kontur-2 meldet ihm nämlich zurück, ob und wie stark er beispielsweise mit
einem Objekt kollidiert. Das Telepräsenz-Experiment soll bei seinem Bediener den
Eindruck vermitteln, er sei vor Ort im Labor - und nicht in einer Umlaufbahn um
die Erde.
Dafür werden die Kontaktkräfte am Roboter mit speziellen Sensoren erfasst und
dem Kosmonauten durch die Motoren des kraftreflektierenden Joysticks
wiedergegeben. So könnten auch feinmotorische Aufgaben sicher durchgeführt
werden: Die kraftreflektierende Technologie soll es zukünftig Astronauten
ermöglichen, Roboter im Orbit oder auf Oberflächen von Himmelskörpern –
beispielsweise auf Mond oder Mars - für Montage- und Reparaturaufgaben zu
steuern, ohne die Raumstation zu verlassen.
Der Mensch wird schließlich auch noch geraume Zeit bei komplexen Aufgaben wie
dem Aufbau von Habitaten unersetzlich bleiben, weil er auch auf unvorhergesehene
Situationen reagieren kann. Steuert er per Fernbedienung - also telepräsent -
einen Roboter, kann er aber seine menschlichen Fähigkeiten einbringen und erhält
dabei Informationen über Kollisionen und Kontakte des Roboters.
Diese Fernbedienung vom All hin zur Erde ist allerdings anspruchsvoll, denn
die Internationale Raumstation fliegt mit etwa 28.000 Kilometern in der Stunde
über die DLR-Empfangsantenne hinweg, die Zeitverzögerung bei der
Datenübertragung beträgt teilweise bis zu 100 Millisekunden, und bei der
Verbindung zwischen ISS und Erde können auch Datenpakete verloren gehen. Dennoch
soll Kosmonaut Oleg Kononenko an seinem fliegenden Arbeitsplatz eine möglichst
realistische Rückmeldung über den Joystick erhalten.
"Wir wissen, dass die Sensomotorik der Astronauten in der Schwerelosigkeit
leidet und wollen nun herausfinden, wie groß genau diese Einbußen sind",
erläutert Dr. Bernhard Weber vom DLR-Institut für Robotik und Mechatronik. Das
Zusammenspiel von Körperbewegung und Wahrnehmung mit allen Sinnen muss
schließlich funktionieren, wenn Astronauten beispielsweise präzise
Docking-Manöver oder Arbeiten mit dem Roboterarm der ISS ausführen.
Noch können die Wissenschaftler nicht sagen, warum die Astronauten in ihrer
Sensomotorik eingeschränkt sind: "Die Körperwahrnehmung könnte im All anders
ablaufen oder das Gleichgewichtsorgan gestört sein - zurzeit gibt es noch
unterschiedliche Erklärungsansätze."
Zum Einsatz bei diesem Experiment kommt ein Veteran der Weltraumrobotik:
Roboterarm ROKVISS (Robotik-Komponenten-Verifikation auf der ISS) war ab 2005
für fünf Jahre an der Außenseite der Internationalen Raumstation installiert und
wurde vom DLR in Oberpfaffenhofen aus gesteuert. Der weltraumerfahrene
Roboterarm stand nach seiner Rückkehr aus dem All für das Kosmonautentraining
beim Projektpartner ZNII RTK (Russian State Scientific Center for Robotics and
Technical Cybernetics) in St. Petersburg, das baugleiche Qualifikationsmodell
von ROKVISS wartet im DLR darauf, dass es mit Befehlen aus dem All bewegt wird.
Auf der ISS werden der Computer und die Antennenanlage von ROKVISS wieder für die
nächste Experiment-Generation eingesetzt und wurden mit neu entwickelter
Software auf das Kontur-2-Experiment vorbereitet. "Das DLR-Institut für
Robotik und Mechatronik hat bereits seit den 90er Jahren Erfahrung mit dieser
Art von Experimenten", betont Institutsleiter Prof. Alin Albu-Schäffer. So
fingen die DLR-Wissenschaftler 1993 mit ihrem Roboterarm ROTEX ferngesteuert
einen schwebenden Würfel im Space Shuttle ein - und steuerten so erstmals vom
Boden per Fernbedienung einen Roboter im All. "Mit ROKVISS waren wir 2005 auch
die ersten, die einen Roboter auf der ISS vom Boden aus mit Kraftrückkopplung
gesteuert haben. Nun stellen wir diese Technologie den Kosmonauten zur
Verfügung."
Für Kosmonaut Oleg Kononenko haben die DLR-Wissenschaftler ein ganzes
Aufgaben-Paket zusammengestellt, das er Mitte August in der Schwerelosigkeit mit
dem Kontur-2-Joystick absolvieren soll. Zunächst soll er beispielsweise
ein durch LED-Leuchten vorgegebenes Ziel mit dem irdischen Roboterarm ansteuern
und möglichst zügig erreichen.
Eine weitere Aufgabe wird sein, mit dem Metallfinger des Roboters eine Kontur
abzufahren und dabei kontinuierlich in leichtem Kontakt zu bleiben. "Daran
können wir feststellen, wie gut der Kosmonaut im All auf seinem Joystick eine
Rückmeldung über die Kontaktkräfte auf der Erde erhält", erläutert
DLR-Wissenschaftler Bernhard Weber. Außerdem soll der Kosmonaut einen an ROKVISS
angebrachten Federzug mit dem Joystick ansteuern und mit einer vorgegebenen
Kraft daran ziehen. Im Chat mit Oleg Kononenko können die Wissenschaftler des
DLR dem Kosmonauten dann weitere Anweisungen geben, die er mit dem Kontur-2-Joystick
ausführen soll.
Die Fernbedienung aus dem All ist aus technischer Sicht alles andere als
einfach: Taucht die ISS am Horizont auf, ist die Zeitverzögerung länger als in
dem Moment, in dem sie sich direkt über der DLR-Empfangsantenne in Weilheim
befindet. Die Bandbreite der Funkverbindung ist zudem limitiert – "aber
eigentlich benötigen wir eine hohe Taktung für unsere großen Datenmengen, um dem
Kosmonauten eine realistische Kräfte-Rückmeldung geben zu können", betont Dr.
Jordi Artigas, der für die Regelungstechnik im Projekt zuständig ist und
Lösungen für eben diese schwierigen Rahmenbedingungen finden musste.
Auch der Joystick für ein solches Experiment kann nicht aus dem Ladenregal
gekauft werden: "Es gibt etwa 30 bis 40 Tests, die unsere Hardware bestehen
musste, bevor sie überhaupt an Bord der Sojus-Rakete durfte", sagt
Cornelia Riecke vom DLR-Institut für Robotik und Mechatronik.
"Elektromagnetische Verträglichkeit, robust genug für die Vibrationen des
Starts, ohne brennbare Materialien oder Stoffe, die ausgasen könnten, und so
weiter…"
Die Anforderungen für die Weltraumtauglichkeit sind hoch, der Stapel der
erforderlichen Dokumentationen ebenfalls. Zwei Zusatzelemente braucht der
Kontur-2-Joystick zudem, damit die Kosmonauten mit ihm den Roboterarm am Boden
steuern können: Einen Haltegriff und eine Fixierung. "Sonst würden die
Kosmonauten beim Bedienen des Joysticks in der Schwerelosigkeit vielleicht
unabsichtlich wegdriften", sagt DLR-Wissenschaftler Bernhard Weber. "Und diese
Bewegung würde sich über den Joystick auch auf unseren Roboter ROKVISS
auswirken."
Die Sojus-Raumkapsel hat am frühen Morgen an die Internationale
Raumstation angedockt. Um 6.56 Uhr MESZ wurden die Verbindungsluken zu Station
geöffnet. Die Besatzung der ISS besteht damit wieder aus sechs Crewmitgliedern.
Der Flug der Sojus-Kapsel war nach Problemen mit dem vorletzten
Progress-Versorgungsflug um einige Zeit verschoben worden. Dadurch war die
Zeit, in der sich nur drei Personen auf der ISS befanden, länger als
normalerweise vorgesehen.
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