Schwarzes Loch verschmäht manches Material
von Stefan Deiters astronews.com
2. September 2013
Das Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße verschlingt
offenbar nur einen Bruchteil des Materials, das in seinen Einflussbereich gerät.
Dies schlossen Astronomen jetzt aus neuen Beobachtungen mit dem Röntgenteleskop
Chandra. Die Entdeckung könnte erklären helfen, warum das Material rund
um das Schwarze Loch im Röntgenbereich so lichtschwach ist.
Blick ins Zentrum der Milchstraße. Für die
Aufnahme wurden Infrarotdaten (rot und gelb) und
Röntgendaten (blau) kombiniert. Der Ausschnitt
zeigt nur die Röntgendaten im Zentrum. Dieser
Bereich hat einen Durchmesser von einem halben
Lichtjahr.
Bild: NASA / UMass / D.Wang et al.
(Röntgen), NASA/STScI (Infrarot) [Großansicht] |
Die Ende der vergangenen Woche vorgestellten Ergebnisse basieren auf einer
der längsten Beobachtungskampagnen, die bislang mit dem Weltraumteleskop
Chandra durchgeführt wurden. Das Röntgenteleskop hatte im vergangenen Jahr
das Zentrum unserer Milchstraße insgesamt fünf Wochen lang anvisiert und auf
diese Weise ungewöhnlich detailreiche Röntgenbilder des heißen Gases gemacht,
das sich um das dortige supermassereiche Schwarze Loch bewegt.
Das zentrale Schwarze Loch der Milchstraße hat etwa die viermillionenfache
Masse unserer Sonne. Am Himmel befindet es sich im Sternbild Schütze und wird
mit einer Radioquelle in Verbindung gebracht, die den Namen Sagittarius A* (kurz
Sgr A*) trägt. Das Zentrum der Milchstraße ist etwa 26.000 Lichtjahre von der
Erde entfernt. Die neuen Chandra-Beobachtungen deuten nun darauf hin,
dass nur weniger als ein Prozent des Materials, das in den unmittelbaren
Einflussbereich des Schwarzen Lochs gerät, tatsächlich auch auf
Nimmerwiedersehen in diesem verschwindet.
"Wir glauben, dass sich in den Zentren der meisten großen Galaxien
supermassereiche Schwarze Löcher befinden, doch sind diese zu weit entfernt, um
die Bewegungen des Materials in ihrer unmittelbaren Umgebung im Detail
beobachten zu können", erläutert Q. Daniel Wang von der University of
Massachusetts die Bedeutung der Untersuchung, die von ihm geleitet wurde. "Sgr
A* ist eines der sehr wenigen Schwarzen Löcher, die uns nahe genug sind, um
tatsächlich Zeuge dieser Prozesse zu werden."
Die neuen Chandra-Röntgenbilder, so die Auswertung der Astronomen,
passen nicht zu theoretischen Modellen, die vor allem eine Ansammlung
masseärmerer Sterne rund um das Schwarze Loch für die beobachtete
Röntgenstrahlung verantwortlich machen. Stattdessen entdeckten sie Hinweise
dafür, dass das Gas rund um das Schwarze Loch von Winden stammt, die von jungen
massereichen Sternen ausgehen, die sich in einem scheibenförmigen Bereich rund
um das Schwarze Loch befinden.
"Das neue Chandra-Bild ist eines der coolsten, die ich je gesehen
habe", meint auch Sera Markoff von der Universität in Amsterdam. "Wir sehen, wie
Sgr A* heißes Gas von nahegelegenen Sternen einfängt und es in Richtung
Ereignishorizont leitet." Als Ereignishorizont bezeichnen Astronomen die Grenze
rund um ein Schwarzes Loch, nach deren Überschreiten es für kein Material mehr
ein Entkommen gibt - und auch für Licht nicht.
Damit Material, das von einem Schwarzen Loch eingefangen wird, aber den
Ereignishorizont überqueren kann, muss es Wärme und Impuls verlieren, was durch
das Ausstoßen von Materie möglich wäre. "Der größte Teil des Gases muss
hinausgeschleudert werden, so dass ein kleiner Bruchteil dann das Schwarze Loch
erreichen kann", erklärt Feng Yuan vom Shanghai Astronomical Observatory.
"Im Gegensatz zur allgemeinen Vorstellung, verschlingen Schwarze Löcher also
nicht alles, was sie anziehen. Sgr A* hält offenbar einen großen Teil seiner
Nahrung für zu schwer verdaulich."
Das Gas, was Sgr A* als "Nahrung" zur Verfügung steht, ist sehr diffus und
extrem heiß und kann deswegen von dem Schwarzen Loch nur schwer eingefangen und
verschluckt werden. Supermassereiche Schwarze Löcher in den Zentren weit
entfernter Quasare, von denen man eine extrem intensive Strahlung beobachtet,
können sich im Gegensatz dazu aus einem deutlich kühleren und dichteren
Gasreservoir in ihrer Umgebung bedienen.
Die neuen Daten dürften auch für Radioastronomen von Bedeutung sein: Ein
besseres Verständnis darüber wie Gaswolken und Sterne das Schwarze Loch
umkreisen und wie Material zum Schwarzen Loch oder von ihm weg strömt, sollte
nämlich helfen, ein faszinierendes Phänomen in dieser Region im Radiobereich zu
beobachten: den Schatten, den der Ereignishorizont hier auf die glühende Materie
rund um das Schwarze Loch wirft.
Über ihre Beobachtungen berichten die Astronomen in einem Fachartikel in der
Zeitschrift Science.
|