VERY LARGE TELESCOPE
Rasender
Stern um das zentrale Schwarze Loch
Redaktion
astronews.com
21. Oktober 2002
Dass sich im Zentrum unserer Milchstraße ein Schwarzes Loch
verbirgt, vermuten die Astronomen schon seit längerer Zeit. Der
überzeugendste Beweis für diese These gelang einem Forscherteam nun mit
Hilfe des Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte: Sie
beobachteten einen Stern, der das galaktische Schwerkraftzentrum innerhalb
von nur 15 Jahren umkreist und sich ihm dabei bis auf 17 Lichtstunden
annähert.
Blick ins Herz der Milchstraße: Das im Sommer 2002 mit NAOS /
CONICA am VLT gewonnene Infrarotbild zeigt einen rund ein
Lichtjahr großen Ausschnitt des galaktischen Zentrums. Heiße
Sterne erscheinen blau, kühle rot; der Schleier stammt von
interstellaren Staubwolken. Die beiden kleinen gelben Pfeile
markieren den Ort des vermeintlichen Schwarzen Lochs SgrA*.
Foto: ESO /Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik
Zoom auf das Schwarze Loch.
Foto/Grafik: ESO/ Max-Planck-Institut für
extraterrestrische Physik [Großbild] |
Die Milchstraße ist eine Spiralgalaxie und enthält mindestens 100 Milliarden
Sonnen sowie Staub- und Gaswolken. Der Mittelpunkt dieses diskusförmigen
Gebildes liegt - von der Erde aus gesehen - etwa 26.000 Lichtjahre entfernt im
Sternbild Schütze (lat. Sagittarius, abgekürzt Sgr). Aus diesem Gebiet
entspringt eine starke Radio- und Röntgenstrahlung. Die Quelle trägt die
Bezeichnung SgrA* (sprich: "Sagittarius A Stern"). Optische Teleskope enthüllen
in diesem Bereich Tausende Sterne, die sich in einem Volumen von nur einem
Lichtjahr drängen - also innerhalb von rund 9,46 Billionen Kilometern. Doch
stehen die Sterne dort nicht still: So, wie die Planeten die Sonne umrunden,
laufen sie auf mehr oder weniger elliptischen Bahnen um ein unsichtbares
Gravitationszentrum. Aus der Beobachtung dieser turbulenten Bewegungen haben die
Astronomen schon vor einigen Jahren auf die Masse des zentralen Objekts
geschlossen: Danach sollten innerhalb eines Raums von nur zehn Lichttagen
Durchmesser rund drei Millionen Sonnenmassen konzentriert sein.
Die meisten Astronomen halten SgrA* für ein Schwarzes Loch - ein Objekt also,
das auf engem Raum so dicht gepackt ist, dass nicht einmal Licht seinen
Schwerkraftfesseln entkommt. Schwarze Löcher dienen auch zur Erklärung der
Energieproduktion von Quasaren: Diese leuchtkräftigsten Objekte im Universum
erzeugen bis zu über eine Billiarde Mal mehr Energie als unsere Sonne. Der
Theorie zufolge speist sich die Strahlung eines Quasars aus dem "Absturz" von
Materie in ein gigantisches Schwarzes Loch mit einer Million bis zu mehreren
Milliarden Sonnenmassen. Dabei erhitzt sich das gasförmige Material stark und
sendet intensive Strahlung aus - quasi als "letzten Hilfeschrei", bevor es
hinter dem so genannten Ereignishorizont aus der Raumzeit verschwindet.
Existieren diese Schwerkraftfallen wirklich? Funktionieren sie in der
beschriebenen Weise? Um diese Fragen sicher zu beantworten, müssen die
Astronomen alle anderen Erklärungsmöglichkeiten für die zentralen
Massenanhäufungen ausschließen - so etwa ungewöhnliche Haufen aus sehr schweren
Sternen oder Ansammlungen von exotischen Elementarteilchen. Dabei kommt es
darauf an, die Form des Schwerkraftfelds möglichst nah an dem zentralen Objekt
zu bestimmen. Das aber ist beim heutigen Stand der Technik kaum möglich, denn
Quasare sind Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt, und das
Auflösungsvermögen der Teleskope reicht nicht aus, um Details dieser
Sternsysteme zu enthüllen.
Doch sollten theoretisch in den Herzen vieler anderer Galaxien ebenfalls
Schwarze Löcher stecken - so auch in unserer Milchstraße: Deren Zentrum liegt
mit 26.000 Lichtjahren vergleichsweise nah und lässt sich daher viel deutlicher
beobachten als alle anderen Sternsysteme. In den vergangenen Jahren konnten die
Wissenschaftler dank verbesserter Instrumente die Sternbewegungen um dieses
galaktische Gravitationszentrum immer genauer messen. "Um andere Modelle als das
des massereichen Schwarzen Lochs auszuschließen, benötigen wir jedoch
Beobachtungen mit noch höherer Auflösung", sagt Reinhard Genzel, Direktor am
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching bei München.
"Deshalb sind wir an ein Fernrohr der Acht-Meter-Klasse gegangen, nämlich an das
Very Large Telescope." Dort arbeitet seit etwa einem Jahr NAOS/CONICA.
Das Instrument entstand in Zusammenarbeit zwischen den Max-Planck-Instituten
für extraterrestrische Physik in Garching und für Astronomie in Heidelberg sowie
der Europäischen Südsternwarte und den französischen Observatorien in
Paris-Meudon und Grenoble. NAOS/CONICA ist eine Kombination aus einer
Infrarotkamera (CONICA) und einem Gerät (NAOS), das während der Belichtung
laufend die durch die Luftunruhe verursachte Bildunschärfe korrigiert. Das
schlagkräftige "Doppelpack" - montiert an einem der vier Fernrohre namens
Yepun - hat bereits Aufnahmen geliefert, die jene des Weltraumteleskops
Hubble an Detailreichtum weit übertreffen.
Und auch die Bilder des galaktischen Zentrums zeigten eine bis dahin
unerreichte Schärfe. Die Wissenschaftler kombinierten diese Infrarotaufnahmen
mit hoch aufgelösten Radiodaten und bestimmten daraus die exakten Positionen der
Sterne in Bezug auf die Radioquelle SgrA*. In einem weiteren Schritt
durchforsteten die Forscher bis zu zehn Jahre alte Bilder des galaktischen
Zentralbereichs. "Als wir im vergangenen Mai das Material analysierten, trauten
wir kaum unseren Augen: Der SgrA* zurzeit nächstgelegene Stern S2 hatte sich
offenbar mit unglaublich hoher Geschwindigkeit um die Radioquelle
herumgeschwungen", sagt Thomas Ott vom Garchinger Max-Planck-Institut für
extraterrestrische Physik. "Wir sahen also einen Stern, der das Schwarze Loch in
den vergangenen zehn Jahren fast einmal umkreist hat. Dies ist eine
außergewöhnliche Beobachtung."
S2 läuft auf einer stark elliptischen Bahn, in deren einem Brennpunkt SgrA*
steht. Das heißt: Der Stern umrundet das galaktische Zentrum in ähnlicher Weise
wie die Erde die Sonne. Im Frühjahr 2002 hatte S2 mit 17 Lichtstunden oder gut
18 Milliarden Kilometern Abstand den zentrumsnächsten Punkt erreicht. Die
Bahngeschwindigkeit betrug 5000 Kilometer pro Sekunde (18 Millionen Kilometer
pro Stunde); S2 läuft um SgrA* damit beinahe zweihundert Mal schneller als die
Erde auf ihrer Bahn um die Sonne. Die Analyse der Daten ergab außerdem, dass
sich der Stern bis zu zehn Lichttage von der zentralen Radioquelle entfernen
kann und für einen Umlauf etwa 15,2 Jahre benötigt. S2 ist vermutlich ein Stern
mit etwa der 15-fachen Masse und dem siebenfachen Durchmesser der Sonne.
"Die Messungen belegen, dass sich in SgrA* tatsächlich eine zentrale
unsichtbare Masse verbirgt. Noch wichtiger: Die knapp drei Millionen
Sonnenmassen ballen sich auf ein tausendfach kleineres Volumen als bisher
angenommen, was fast alle anderen Erklärungen als die eines Schwarzen Lochs
ausschließt", sagt Rainer Schödel vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische
Physik. Neueste Modellrechnungen ergeben für das Schwarze Loch jetzt eine Masse
von 2,6 Millionen Sonnenmassen. Und um ein solches exotisches Gebilde muss es
sich nach Ansicht der Forscher, die ihre Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe der
Zeitschrift Nature veröffentlichten, handeln: Kompakte Haufen von
Neutronensternen, kleineren Schwarzen Löchern oder vielen masseärmeren Sternen
scheiden aus. Nach den Worten von Reinhard Genzel wäre als einzige Alternative
ein hypothetischer Stern aus Kernbausteinen denkbar. "Doch der würde irgendwann
ebenfalls zu einem supermassiven Schwarzen Loch kollabieren", sagt Genzel.
Wie entstehen diese Schwarzen Löcher? Wann haben sie sich gebildet? Und weshalb
sitzt praktisch in jeder massiven Galaxie ein solches Massemonster? Diese Fragen
wollen die Wissenschaftler als Nächstes klären. Vielleicht gelingt ihnen eines
Tages mit Röntgen- und Radiobeobachtungen sogar der direkte Nachweis des
Ereignishorizonts.
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