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Eine neue
Klasse von Gammastrahlenblitzen?
Redaktion
astronews.com
9. August 2004
Ein am 3. Dezember 2003 durch das ESA-Gammastrahlen-Observatorium Integral
entdeckter Gammablitz gehört zu den erdnächsten und zugleich den schwächsten
Ausbrüchen im Gammastrahlenbereich,
die man bisher beobachtet hat. Ist GRB 031203 am Ende nur einer von vielen
energiearmen Gammablitzen, die bislang der Beobachtung entgangen sind?
Himmelsregion um den Gammablitz GRB 031203, aufgenommen mit dem
IBIS-Instrument des "Integral"-Satelliten im
Röntgenstrahlen-Energiebereich zwischen 17 und 50 keV. Der
Gammablitz war etwa 40 Sekunden lang nachweisbar. Bild:
Max-Planck-Institut für Astrophysik |
Kosmische Gammablitze (gamma-ray bursts, GRB) sind Gammastrahlenausbrüche,
die weniger als eine Sekunde, aber auch viele Minuten dauern können. Sie können
in allen Himmelsrichtungen mit gleicher Wahrscheinlichkeit beobachtet werden.
Man vermutet, dass ein großer Teil von ihnen dadurch entsteht, dass sich ein
Schwarzes Loch im Zentrum eines sterbenden Sterns in einer weit entfernten
Galaxie bildet. Astronomen nehmen an, dass eine heiße Gasscheibe um das Schwarze
Loch riesige Energiemengen freisetzt, wenn das Gas ins Schwarze Loch fällt,
wodurch ein sehr energiereicher Strahl ("Jet") entlang der Rotationsachse des
sterbenden Sterns entsteht.
Bisherige Vorstellungen besagen, dass alle Gammablitze ähnliche Energiemengen
in Gammastrahlung freisetzen. Der Teil, der davon auf der Erde empfangen wird,
sollte demzufolge nur von der "Breite" (also dem Öffnungswinkel) des Strahls,
der Strahlrichtung sowie der Entfernung der Quelle von der Erde abhängen. Die
empfangene Energie wäre daher größer, wenn der Strahl eng ist und genau auf uns
zeigt, und kleiner, wenn der Strahl breit oder von uns weg gerichtet ist.
Die neuen Messungen, durchgeführt mit den Hochenergie-Observatorien "Integral"
und XMM-Newton der ESA, zeigen jedoch, dass dieses Bild zu einfach ist
und die Energie, die in Gammablitzen abgestrahlt wird, deutlich variieren kann.
"Die Idee, dass alle Gammablitze dieselbe Menge Gammastrahlung freisetzen oder,
wie wir sagen 'Standardkerzen' sind, wird durch die neuen Beobachtungen
widerlegt", sagt Dr. Sergey Sazonov, einer der Autoren der Studie und
Wissenschaftler am Space Research Institute der russischen Akademie der
Wissenschaften in Moskau und am Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching
bei München.
Sazonov und ein internationales Team von Wissenschaftlern haben den von
Integral am 3. Dezember 2003 gesichteten Gammablitz, dem man die Bezeichnung
GRB 031203 gegeben hatte, über Monate mit Hilfe einer ganzen Armada von
Observatorien auf der Erde und im Erdorbit intensiv untersucht. In
rekordverdächtigen 18 Sekunden nach dem Einsetzen des Blitzes hatte das
Blitz-Alarm System von Integral bereits die ungefähre Position von GRB
031203 am Himmel bestimmt und die Information an ein Netzwerk von Observatorien
rund um den Globus weitergeleitet. Wenige Stunden später konnte eines davon, der
XMM-Newton-Satellit der ESA, die Position viel genauer festlegen. XMM
entdeckte zugleich eine schnell schwächer werdende Quelle von Röntgenstrahlung,
die danach auch von optischen Teleskopen und Radioteleskopen auf der Erde
gesichtet wurde.
Diese eingehende Flut von Daten brachte dann die Information, dass GRB 031203
in einer "nur" 1,3 Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie aufgeleuchtet war
und damit einer der erdnächsten Gammablitze ist, die jemals gesichtet wurden.
Dabei unterschied sich die Art und Weise, wie GRB 031203 mit der Zeit immer
schwächer wurde und wie sich seine Energie auf verschiedene Wellenlängen
verteilte, zunächst nicht von weiter entfernten Gammablitzen. Doch allmählich
wurde den Forschern klar, dass die Vorstellung von "Standardkerzen" bei diesem
Ausbruch möglicherweise nicht zutrifft. "Weil er so nah war, sollte GRB 031203
eigentlich sehr hell erscheinen, doch seine Energie in Gammastrahlung ist nach
Messungen von "Integral" etwa tausend mal geringer als wir es bei einem
Gammablitz normalerweise erwarten", sagt Sazonov.
Ein Gammablitz, der im Jahr 1998 in einer noch näheren Galaxie gesichtet
wurde, war zwar noch rund hundert mal weniger hell als GRB 031203, doch konnten
die Astronomen nicht eindeutig klären, ob es sich wirklich um einen echten
Gammablitz gehandelt hatte. Denn der größte Teil seiner Energie wurde in
Röntgenstrahlung und nicht in Gammastrahlung freigesetzt. Die Messungen von
Sazonov und seinem Team für GRB 031203 bedeuten nun, dass es tatsächlich
intrinsisch schwächere Gammablitze zu geben scheint.
US-Astronomen, geleitet von Alicia Soderberg vom California Institute of
Technology in Pasadena (USA), haben das "Nachglühen" von GRB 031203 genau
untersucht und weitere Belege für diese Schlussfolgerung gefunden. Das
Nachglühen, das entsteht, wenn die Explosionswelle des Gammablitzes das
verdünnte Gas in der Umgebung der Blitzquelle aufheizt, kann über Wochen oder
Monate andauern und wird dabei allmählich schwächer. Mit dem Chandra-Röntgenobservatorium
der NASA sahen Soderberg und ihre Mitarbeiter, dass die Helligkeit im
Röntgenlicht auch etwa tausend mal geringer war als bei typischen, weit
entfernten Gammablitzen. Beobachtungen der Forschergruppe mit dem Very Large
Array des National Radio Astronomy Observatory in Socorro (USA)
bestätigten auch im Radiowellenbereich eine Quelle, die nicht die übliche
Helligkeit erreichte.
Sazonov und Soderberg betonen, dass ihre Teams sorgfältig die Möglichkeit
überprüft haben, ob vielleicht der Hauptanteil der Energie von GRB 031203 der
Messung durch Integral entgangen sein könnte. Sazonov meint jedoch, dass
"die Tatsache, dass die meiste Energie, die wir gesehen haben, im Gammabereich
und nicht als Röntgenstrahlung abgegeben wurde, bedeutet, dass wir den Strahl
des Gammablitzes fast direkt auf seiner Achse beobachtet haben". Daher sei es
unwahrscheinlich, dass ein Großteil der freigesetzten Energie unsichtbar
geblieben ist.
Diese Entdeckung legt nahe, dass eine bisher unbekannte Population von
Gammablitzen existiert, welche viel näher, aber auch viel schwächer ist als die
Mehrzahl der bislang bekannten, sehr energiereichen und sehr weit entfernten
Blitze. Die dafür verantwortlichen Objekte könnten sehr zahlreich sein und daher
sogar noch häufiger durch Gammablitze aufleuchten.
Die meisten Ereignisse dieser Art sind bislang der Beobachtung entgangen, weil
sie sich an der unteren Grenze der Messbarkeit mit früheren und heutigen
Instrumenten befinden. "Integral" könnte gerade empfindlich genug sein, um in
den kommenden Jahren noch einige dieser Blitze zu registrieren. Diese wären
allerdings nur die Spitze eines Eisbergs. Erst Gamma-Observatorien der nächsten
Generation, wie die geplante Swift-Mission der NASA, sollten geeignet sein, die
Suche auf noch viel energieärmere Blitze auszudehnen, von denen man eine noch
größere Zahl vermutet. Die Forscher veröffentlichten ihre Ergebnisse in der
aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Nature.
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