200 Terrabyte detaillierte Daten von der Sonne
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung astronews.com
19. Dezember 2024
Einen einzigartigen, etwa 200 Terabyte umfassenden Datensatz
von der Sonne hat das ballongetragene Sonnenobservatorium Sunrise III
im Juli dieses Jahres während seines sechseinhalbtägigen Stratosphärenfluges
eingefangen. Erste, sorgfältig aufbereitete Bilder hat das Team nun
veröffentlicht. Von der Qualität der Daten sind die Forschenden begeistert.
Das Sonnenobservatorium Sunrise III bildet
die sichtbare Oberfläche der Sonne und die untere Chromosphäre
in verschiedenen Wellenlängen ab. Mehr Details in der
Großansicht.
Bild: MPS / Sunrise III / Teams: SUSI, TuMag,
SCIP, CWS, Gondola [Großansicht] |
Sechseinhalb Tage lang ununterbrochene und ungestörte Sicht auf unseren Stern
– das bot der Forschungsflug des ballongetragenen Sonnenobservatoriums
Sunrise III im Sommer dieses Jahres (astronews.com berichtete). Nach dem
erfolgreichen Start am 10. Juli 2024 jenseits des Polarkreises in Schweden hob
ein Heliumballon Sunrise III auf eine Höhe von mehr als 35 Kilometern.
Für Sonnenforschende ist diese Beobachtungsposition optimal: Oberhalb der
irdischen Luftmassen trüben keine Luftturbulenzen die Sicht; zudem hat
Sunrise III von dort Zugang zur ultravioletten Strahlung von der Sonne. Da
der Flug im Sommer am Polarkreis stattfand, bot die Mitternachtssonne die
Möglichkeit, während der Reise ununterbrochen auf unseren Stern zu schauen.
Stratosphärenwinde trugen das Observatorium nach Westen bis zur abenteuerlichen
Landung in den kanadischen Nordwest-Territorien. Nur ein winziger Teil der
riesigen Datenmenge, die das Bergungsteam etwa zwei Wochen später aus der
Wildnis rettete, liegt bisher aufbereitet vor und kann bereits wissenschaftlich
genutzt werden.
Die Datenmenge ist überwältigend: Etwa 200 Terabyte an Daten hat Sunrise
III aufgenommen. Diese Flut Bild für Bild zu sichten, würde - die Bildrate
üblicher Videos von 25 Bildern pro Sekunde angenommen - etwa einen Monat dauern.
Um das volle Potential der Daten auszuschöpfen, müssen die Aufnahmen aufwändig
aufbereitet werden. "Um Strukturen von nur 50 Kilometern Größe auf der Sonne
sichtbar zu machen, treiben wir die Optik an die Grenzen des Machbaren. Das
empfindliche System muss im Flug auf Haaresbreite justiert gehalten werden",
erklärt Sunrise III-Projektwissenschaftler Dr. Achim Gandorfer vom
Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen. "Im Flug
korrigieren wir Abweichungen im Mikrometerbereich, hauptsächlich hervorgerufen
durch unvermeidbare Temperaturschwankungen, in Echtzeit. Den letzten Feinschliff
bekommen die Daten im Supercomputer." Und Dr. Tino Riethmüller, verantwortlicher
Wissenschaftler für die Software von Sunrise III, ergänzt:
"Ausgeklügelte Algorithmen und monatelange Rechenzeit auf dem
MPS-Hochleistungscluster sind notwendig, um alle störenden Effekte aus allen
Daten herauszurechnen."
Die ersten, so bereinigten Aufnahmen zeigen Ausschnitte der sichtbaren
Sonnenoberfläche und der darübergelegenen Chromosphäre wie nie zuvor. Das
Ultraviolett-Spektropolarimeter SUSI, das unter Leitung des MPS entwickelt und
gebaut wurde, fängt das für das menschliche Auge unsichtbare ultraviolette Licht
der Sonnenoberfläche ein. Neben Sonnenflecken und ihren feinstrukturierten
Rändern hat das Instrument das typische Muster auf- und absteigenden Plasmas,
der sogenannten Granulation, abgebildet. In den schmalen Grenzbereichen zwischen
einzelnen Granulen leuchten in den Aufnahmen winzige, helle Flecken auf. Sie
messen kaum mehr als 50 Kilometer im Durchmesser und gelten als die kleinsten
Bausteine des Sonnenmagnetfeldes. "Die Detailschärfe der Aufnahmen hat all
unsere Erwartungen übertroffen", so MPS-Wissenschaftler Dr. Alex Feller, Leiter
des SUSI-Teams. Auf alltäglichere Maßstäbe übertragen entspricht sie der
Fähigkeit, aus einer Entfernung von 50 Kilometern eine Ein-Euro-Münze
auszumachen. "Sunrise III schafft es, auch die Magnetfelder und deren
zeitliche Entwicklung über Stunden konstant mit dieser Detailgenauigkeit
sichtbar zu machen", so Feller.
Das gelingt vor allem dadurch, dass Sunrise III nicht durch die
wabernde Erdatmosphäre hindurch auf die Sonne blickt. Kein Teleskop auf der Erde
kann diese Detailschärfe über Stunden halten. Entscheidend für die hohe Qualität
der Sunrise-III-Daten waren auch das Bildstabilisierungssystem, das am Institut
für Sonnenphysik (KIS) in Freiburg entwickelt wurde, sowie die Fähigkeit der
Gondel, während des Fluges selbst kleinste Schwankungen selbsttätig
auszugleichen. Die Gondel ist der Beitrag des Applied Physics Laboratory
der Johns Hopkins University im US-Bundesstaat Maryland zur
Sunrise-III-Mission. Diese Eigenschaften führen zu einem weiteren
Alleinstellungsmerkmal von Sunrise III: punktgenauen und zeitgleichen
Beobachtungen vom ultravioletten bis zum infraroten Bereich des Sonnenspektrums.
"Sunrise III hat in weniger als einer Woche vermutlich den bisher
komplettesten Datensatz der Sonne aufgenommen", freut sich Dr. Andreas
Korpi-Lagg, Projektleiter von Sunrise III.
Die Sonne steuert derzeit auf ihr Aktivitätsmaximum zu und zeigte sich auch
während des Fluges von Sunrise III von ihrer temperamentvollen Seite.
So gelang es etwa, das Teleskop auf zwei Strahlungsausbrüche zu richten. Zudem
zeigen Aufnahmen des Instrumentes TuMag entstehende und vergehende Sonnenflecken
sowie Regionen, in denen die heißen Plasmaströme aus dem Innern der Sonne
Magnetfelder an die Oberfläche spülen. TuMag wurde von einem spanischen
Konsortium unter Leitung des Instituto de Astrofísica de Andalucía in
Granada zur Verfügung gestellt. Das Infrarot-Spektropolarimeter SCIP
spezialisiert sich auf die genaue Bestimmung der Plasmaströme und der
Magnetfelder in der Chromosphäre. Es wurde vom National Astronomical
Observatory Japans zur Mission beigesteuert. Oberhalb der Chromosphäre
steigt die Temperatur der Sonne sprunghaft an: von etwa 10000 Grad bis auf eine
Million Grad. In den jetzt veröffentlichten Aufnahmen sind oberhalb der
Sonnenflecken langgezogene, fibrillenartige Strukturen zu sehen. "Die neuen
Daten von Sunrise liefern einen einzigartigen Blick auf die sichtbare
Oberfläche der Sonne und die darüber gelegene Chromosphäre", so MPS-Direktor
Prof. Dr. Sami K. Solanki, Sunrise-III-Missionsleiter. "Sie bieten uns die
Möglichkeit, die Prozesse und Phänomene in allen Höhenschichten der
Sonnenatmosphäre besser als je zuvor zu verstehen."
Ein weiteres, eindrucksvolles Andenken an den abenteuerlichen Flug von
Sunrise III sind die Aufnahmen von IRIS-2, einem mit vier Kameras
ausgestattetem Instrument eines spanischen Teams von Amateurastronomen. Es war
während des Fluges auf der Gondel montiert und dokumentierte aus der "Selfie-Perspektive"
Start, Flug und Landung. Der komplett schwarze Himmel direkt neben der Sonne ist
ein eindrucksvoller Beleg für die weltraumähnlichen Beobachtungsbedingungen in
der Stratosphäre. Ein auf Daten von IRIS-2 basierender Film ist auf
Youtube
zu sehen.
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