Kaum ein anderer Mond im Sonnensystem übt eine solche Faszination aus wie
Europa, einer der vier großen Trabanten des Gasplaneten Jupiter. Von einer
hell schimmernden Eiskruste umgeben vermutet man unter der rund minus 160
Grad Celsius kalten Oberfläche einen 100 bis 150 Kilometer tiefen Ozean, der
mehr Wasser enthalten könnte, als alle Ozeane der Erde zusammen. Gestern, am
14. Oktober 2024 um 18.06 Uhr MESZ, ist die NASA-Raumsonde Europa
Clipper gestartet, die den Ozean unter dem Eispanzer Europas bestätigen
und viele weitere Erkenntnisse zu diesem exotischen Himmelskörper gewinnen
soll. Vielleicht kann sogar aktiver Kryo- oder Eisvulkanismus beobachtet
werden. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist mit dem
Institut für Planetenforschung wissenschaftlich an der Mission beteiligt.
Europa Clipper ergänzt sich ideal mit der im April 2023
gestarteten Mission JUICE (JUpiter ICy Moons Explorer) der Europäischen
Weltraumorganisation ESA, die ab 2031 die großen Monde Jupiters untersucht,
deren Schwerpunkt aber auf der Erforschung des Eismonds Ganymed liegt, unter
dessen Oberfläche ebenfalls ein tiefer Ozean vermutet wird. Messdaten und
Modelle zeigen, dass das Wasser des erdmondgroßen Monds Europa unter der
Eiskruste nicht gefroren ist. Trotz der großen Sonnenentfernung – Europa
empfängt nur etwa vier Prozent der Sonnenenergie wie die Erde – und der
vergleichsweise geringen Größe des Körpers befindet sich mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit ein mächtiger Ozean zwischen Eiskruste und
Gesteinsmantel. An der Existenz eines Ozeans unter Europas Eiskruste gibt es
also kaum Zweifel – aber auch diese möchte die Planetenforschung endgültig
ausräumen. Wichtiges Ziel der Mission ist jedoch, herauszufinden, in welcher
Tiefe der Ozean beginnt und ob von ihm kryovulkanische Aktivität
("Eisvulkanismus") an der Oberfläche ausgeht. Denn die Gezeitenkräfte, die
Jupiter auf Europa ausübt, führen möglicherweise zu einem dynamischen
Austausch zwischen dem Ozean unter der Eiskruste und der Oberfläche Europas.
Das Ozeanwasser gelangt durch Risse im Eis auf die Oberfläche, auf der es
rasch gefriert.
Mehr noch: Das Wasser dieses subkrustalen Ozeans könnte an seinem Grund
den darunterliegenden, durch den Zerfall radioaktiver Elemente erhitzen
Gesteinsmantel durchströmen und könnte dort Minerale lösen. Dieses
"Salzwasser" wird dann in den Ozean, ähnlich wie an den "Schwarzen Rauchern"
in den irdischen Ozeanen, zurückgespült. Das macht ihn mineralhaltig, wie
wir es von der Erde kennen. Durch die Gezeitenverformung des Monds bricht
das Eis der Oberfläche auf, durch die Risse kann das salzhaltige Wasser auf
die Eisoberfläche dringen. Danach gefriert der Riss sofort wieder zu. Die
bei diesem Kryo- oder Eisvulkanismus ausgefällten und abgelagerten
Mineralsalze konnten spektroskopisch bereits nachgewiesen werden.
In der globalen Ozeanschicht könnten also Temperaturen und chemische
Bedingungen herrschen, wie sie auch vor über dreieinhalb Milliarden Jahre in
den Ozeanen der Erde vorherrschten, als dort, an warmen Wasserströmen am
Grund der irdischen Ozeane, das Leben auf der Erde entstanden sein könnte.
Ein Ozean unter Europas Eiskruste könnte also durchaus eine "habitable Zone"
sein, eine lebensfreundliche Welt, in der die Existenz von einfachen
Lebensformen denkbar ist. Ob darin tatsächlich komplexere organische,
kohlenstoffhaltige Moleküle als Vorstufen von Lebensformen enthalten sind –
auch das soll der Europa Clipper herausfinden. Es gibt
Untersuchungen, die zeigen, dass der subkrustale Ozean auf Europa sogar
schon länger existiert als die Ozeane der Erde.
Nach ihrem Start wird die über sechs Tonnen schwere Sonde zunächst zwei
Schleifen im inneren Sonnensystem ziehen und dabei am 28. Februar 2025 am
Mars und am 2. Februar 2026 an der Erde bei sogenannten
Gravity-Assist-Manövern, ähnlich wie bei der Mission JUICE, so stark
beschleunigt, dass sie am 11. April 2030 nach fast drei Milliarden
Reisekilometern das knapp 800 Millionen Kilometer von der Sonne entfernte
Jupitersystem erreichen wird. Dort angekommen, wird der Europa Clipper
Jupiter umkreisen und zunächst drei nahe Vorbeiflüge am größten Jupitermond
Ganymed absolvieren. So kann der Orbit verändert werden, um dann die
geplanten 49 nahen Vorbeiflüge an Europa zu ermöglichen. Bei jedem
Vorbeiflug wird die Sonde weniger als einen Erdentag in der gefährlichen
Strahlungszone in der Nähe zu Jupiter verbringen, bevor sie sich wieder in
strahlungsärmere Regionen entfernt. Alle zwei bis drei Wochen wird die Sonde
diesen Vorgang wiederholen.
An Bord von Europa Clipper befinden sich neun wissenschaftliche
Instrumente und ein Gravitationsexperiment, welches das
Telekommunikationssystem nutzt. Alle wissenschaftlichen Instrumente werden
bei jedem Durchgang gleichzeitig arbeiten. Das DLR ist mit Dr. Hauke Hußmann
und Dr. Ana-Catalina Plesa vom Berliner Institut für Planetenforschung an
der Mission wissenschaftlich beteiligt. Das Wissenschaftsteam des
Radarexperiments REASON (Radar for Europa Assessment and Sounding: Ocean to
Near-surface) versucht, mit hochfrequenten (HF, 3-30 Megahertz) und sehr
hochfrequenten (300 Megahertz bis 3 Gigahertz, VHF) Radarwellen direkt in
die eisige Hülle von Europa zu blicken. Es wird vermutet, dass die Eiskruste
vielleicht nur zehn bis 20 Kilometer oder stellenweise nur wenige Kilometer
dick ist – darunter folgt der Ozean. REASON sendet Radiowellen aus, die an
Strukturen im darunter liegenden Eis reflektiert werden. Das Instrument
misst die Laufzeit, Stärke und Frequenz der Wellen. Damit könnte der
vermutete Ozean bestätigt, die Dicke des Eises und dessen innere Struktur
abgeleitet und vielleicht sogar Wasserkörper im Eis gefunden werden, die mit
Oberfläche und Ozean verbunden sind. An REASON ist auch die Technische
Universität Dresden beteiligt.
Außerdem ist das DLR am Experiment "Gravity/Radio Science" (G/RS)
wissenschaftlich beteiligt. Europa Clipper durchquert das
Schwerefeld von Europa in verschiedenen Entfernungen von Jupiter. G/RS
untersucht, wie die Flugbahn der Sonde bei jedem Vorbeiflug durch die
Schwerkraft von Europa verändert wird. Damit lässt sich herausfinden, wie
sich der Mond verformt, was wiederum Aufschluss über die innere Struktur von
Europa gibt. Bei Schwerkraftexperimenten senden Funkantennen auf der Erde
ein Funksignal an Europa Clipper. Das Raumschiff sendet dann auf
genau derselben Frequenz Signale zurück zur Erde. Dabei verschiebt sich
durch Beschleunigung oder Abbremsen des Satelliten bei den
Europa-Vorbeiflügen durch die Gravitation von Europa die Frequenz des
Signals zu längeren und kürzeren Wellenlängen – die "Dopplerverschiebung".
Das liefert Informationen über die Bewegung der Sonde und damit über das
Schwerefeld von Europa. Im Idealfall lässt sich dann auch herausfinden, wie
tief der Ozean ist.
An Bord des Europa Clipper befinden sich ferner eine Kamera für
das sichtbare Licht und das nahe Infrarot, ein Instrument zur Messung des
thermalen Infrarot, das Temperaturen misst und beispielsweise wärmeres,
frisch auf die Oberfläche ausgetretenen Wasser identifizieren könnte, sowie
ein Ultraviolett- und Infrarotspektrometer zur Bestimmung der chemischen und
mineralogischen Bestandteile an der Oberfläche. Außerdem ein Magnetometer,
ein Plasmainstrument, ein Massenspektrometer und einen Staubdetektor, der
winzige, von Meteoriten ins All geschleuderte Teilchen oder Eispartikel, die
vom Ozean stammen messen kann; an diesem Experiment ist die Freie
Universität Berlin beteiligt.
Ein Bild vom Start ist heute als unser
Bild des Tages zu sehen.