Wie sich Höhenunterschiede mit Atomuhren messen lassen
Redaktion
/ Pressemitteilung der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt astronews.com
5. Juni 2024
In München vergeht die Zeit schneller als in Braunschweig -
was sich zunächst merkwürdig anhört, ist physikalisch korrekt und eine Folge von
Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie: Beide Städte liegen nämlich in
unterschiedlicher Höhe. Moderne Atomuhren erlauben es nun, diesen
Gangunterschied zu bestimmen und daraus die Höhendifferenz abzuleiten.
Blick in den
Anhänger mit der mobilen optischen Atomuhr, die
für die Messungen verwendet wurde.
Foto: PTB [Großansicht] |
Im norddeutschen Flachland vergeht die Zeit langsamer als im einige hundert
Meter höher gelegenen München, denn man befindet sich dort ein ganz bisschen
näher an der Erde, bzw. an ihrem Massenmittelpunkt. Näher an einem massiven
Körper (wie der Erde) vergeht die Zeit langsamer. Dieser relativistische Effekt
ist eine der Kernvorhersagen von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie und
wurde ab der Mitte des letzten Jahrhunderts vielfach experimentell überprüft. An
unterschiedlichen Orten auf der Erde ist der Unterschied jedoch so gering, dass
er sich nur mit den genauesten Uhren messen lässt - in einer Millionen Jahren
macht er gerade einmal eine Sekunde aus. Außerdem ist es – insbesondere über
große Entfernungen – schwierig, die Uhren an den beiden Orten zu verbinden, um
ihren Takt zu vergleichen.
"Wir haben eine Lösung dafür: optische Atomuhren, die über Glasfasern
miteinander verbunden sind", erklärt Christian Lisdat, Physiker an der
Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB). "So können wir über das sogenannte
chronometrische Nivellement die Unterschiede im Schwerefeld der Erde direkt und
sehr genau durch Unterschiede in den Frequenzen der Uhren messen." Das
ermöglicht eine Fülle neuartiger Anwendungen in der Geodäsie, der Wissenschaft
der Vermessung der Erde und ihres Schwerefeldes: Beispielsweise lassen sich
Unterschiede zwischen den Höhennetzen verschiedener Länder auflösen, die
insbesondere dann groß sein können, wenn es keine direkte Landverbindung gibt –
wie zwischen Inseln und dem Festland. Auch der Meeresspiegel könnte genauer
überwacht werden, indem Pegel besser vernetzt oder sogar mit einem nahezu
unveränderlichen Referenzpunkt im Weltraum verglichen werden.
Die gleichzeitigen Fortschritte im Bereich optischer Atomuhren und bei der
phasenstabilen Übertragung von Licht über Glasfasern ermöglichen es jetzt, den
Gangunterschied zweier Atomuhren über Entfernungen von mehreren 100 Kilometern
genau genug zu messen, um daraus Höhenunterschiede mit hoher Genauigkeit zu
bestimmen. Die nächste Generation optischer Uhren wird Höhenbestimmung mit
Messunsicherheiten von wenigen Zentimetern und besser ermöglichen.
So geringe Messunsicherheiten wurden über kurze Distanzen bereits erreicht.
Für Messungen über große Distanzen werden jedoch mobile Atomuhren benötigt. Eine
solche transportable optische Uhr wurde von Forschenden der PTB entwickelt und
basiert auf lasergekühlten Strontiumatomen. Die PTB betreibt darüber hinaus
gemeinsam mit mehreren Partnern in Europa ein Fasernetzwerk für den Vergleich
optischer Uhren. Gemeinsam mit Forschenden des Max-Planck-Instituts für
Quantenoptik (MPQ) und der Leibniz-Universität Hannover (LUH) haben sie damit
nun den physikalischen Höhenunterschied zwischen dem MPQ und der PTB gemessen.
Dazu wurde die transportable Strontium-Uhr zunächst an der PTB mit einer
weiteren Strontiumuhr abgeglichen und anschließend an das MPQ transportiert.
Dort haben die Forschenden diese Uhr über eine Glasfaserverbindung erneut mit
der in der PTB zurückgebliebenen Uhr verglichen und gemessen, um wie viel sich
die Frequenzen relativ zueinander geändert hatten. Im Anschluss wurden beide
Uhren erneut an der PTB verglichen, um sicherzustellen, dass sich außer der
relativistischen Rotverschiebung nichts geändert hatte. Aus den Messdaten wurde
der Höhenunterschied von rund 400 Metern mit einer Unsicherheit von 27
Zentimetern bestimmt.
Die chronometrische Messung stimmt dabei mit Vergleichsmessungen, die
etablierte herkömmliche Verfahren einsetzen, überein. Dies demonstriert die
praktische Umsetzbarkeit chronometrischer Höhenmessungen mit optischen Uhren und
ebnet damit den Weg für praktische Anwendungen in der relativistischen Geodäsie.
Über ihre Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Physical Review Applied erschienen
ist.
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