Auf dem Weg zur nuklearen Zeitmessung
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Würzburg astronews.com
18. März 2024
Ein internationales Forschungsprojekt beschäftigt sich mit
einer neuen und noch genaueren Art der Zeitmessung. Zum Einsatz kommen sollen
dazu eine Kernuhr, die auf einem Thorium-Isotop basiert. Eine noch präzisere
Zeitmessung könnte etwa klären helfen, woraus die Dunkle Materie besteht oder ob
Naturkonstanten tatsächlich konstant sind.
Präzise Uhren können der Wissenschaft einiges
über unser Universum verraten.
Bild: NASA, ESA, G. Illingworth, D. Magee und
P. Oesch (University of California, Santa Cruz),
R. Bouwens (Leiden University) und das
HUDF09-Team [Großansicht] |
Das globale Navigationssystem GPS, der digitale Datenverkehr im Telefonnetz,
die Vermessung der Erde von Satelliten aus: All diese Techniken würden ohne
exakte Zeitmesser nicht funktionieren. Hier kommt es auf wenige milliardstel
Sekunden an, damit die Ergebnisse stimmen. Auch die Wissenschaft – speziell die
Physik – ist auf extrem präzise Uhren angewiesen, wenn sie beispielsweise klären
will, woraus Dunkle Materie besteht oder ob Naturkonstanten tatsächlich konstant
sind.
Eine grundlegend neue Basis für solch einen hochpräzisen Zeitmesser steht im
Mittelpunkt eines jetzt bewilligten internationalen Forschungsprojekts. Der
Österreichische Wissenschaftsfonds FWF hat dafür Ende 2023 einen sogenannten
Spezialforschungsbereich eingerichtet, vergleichbar mit einem
Sonderforschungsbereich der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Ausgestattet
mit 3,1 Millionen Euro arbeiten dort in den kommenden vier Jahren Teams der
Universität und der Technischen Universität Wien, des Institute of Science
and Technology Austria und der Julius-Maximilians-Universität Würzburg
(JMU) zusammen. Von Würzburger Seite daran beteiligt ist Adriana Pálffy-Buß. Die
Expertin für Röntgen-Quantenoptik hat Anfang 2022 an der JMU die Professur für
Theoretische Quanteninformation und Quantenoptik übernommen. Mit ihrer
Arbeitsgruppe forscht sie auch im Würzburg-Dresdener Exzellenzcluster ct.qmat –
Komplexität und Topologie in Quantenmaterialien.
"Forschende um Oliver Heckl von der Universität Wien wollen im
Spezialforschungsbereich 'Kohärente Metrologie jenseits elektrischer
Dipolübergänge' die Messgenauigkeit physikalischer Methoden steigern. Zum
Einsatz kommt dabei eine innovative Methode, die Licht mit Orbitaldrehimpuls
einsetzt", heißt es in der Pressemitteilung des FWF. Was das bedeutet, erklärt
Pálffy-Buß: "Die präzisesten Zeitmesser sind heute Atomuhren, die die Zeit
anhand der Frequenz der Übergänge messen, die Elektronen zwischen den
verschiedenen Energieniveaus eines Atoms machen. In unserem Projekt wollen wir
mithilfe eines neuentwickelten schmalbandigen Lasers einen Atomkern dazu
bringen, zwischen Energieniveaus zu springen und dabei Photonen, also
Lichtteilchen, zu emittieren. Eine solche Kernuhr könnte die Messgenauigkeit um
den Faktor 3 steigern".
Das Forschungsteam setzt dabei auf ein Isotop des Elements Thorium. Der
fragliche Thoriumkern besitzt 229 Kernbausteine – Protonen und Neutronen – und
kann in einen angeregten Zustand übergehen, der nur etwa acht Elektronenvolt
energiereicher ist als sein niedrigster Energiezustand. "Dieser Unterschied ist
nach kernphysikalischen Maßstäben so winzig, dass die beiden Zustände kaum zu
unterscheiden waren, als sie zum ersten Mal beobachtet wurden", sagt Pálffy-Buß.
Gleichzeitig sei es dieser Unterschied, der eine "nukleare Zeitmessung" möglich
machen könnte. Der experimentelle Nachweis dieses Sprungs vom angeregten in den
Grundzustand eines Thoriumkerns mit Emission eines Photons ist 2023 gelungen.
Mit einem Laser auf Thoriumatome schießen und die gesuchten Photonen
einfangen: So einfach funktioniert die "nukleare Uhr" leider nicht. Einer der
Gründe dafür: "Man benötigt ungefähr acht Elektronenvolt, um den Kern anzuregen.
Sechs Elektronvolt reichen allerdings, um das äußerste Elektron aus seiner Bahn
zu entfernen. In diesem Fall bevorzugt der Kern, seine Anregungsenergie dem
Elektron zu übergeben, statt ein Photon zu emittieren. Das muss man jedoch
vermeiden", erklärt die Physikerin. Die Lösung für dieses Problem könnte sein,
Thoriumatome in speziellen transparenten Kristallen einzubauen. "In den
entsprechenden Experimenten zeigte sich, dass Thorium seinen Platz im
Kristallgitter in einem ionischen Zustand einnimmt – sein äußeres Elektron also
abgibt", erklärt Pálffy-Buß. Auch kann der Kristall viele Thorium-Kerne auf
einmal aufnehmen, was es leichter macht, das gesuchte Photon zu entdecken.
Ein weiteres Problem: Bislang existiert kein Laser, der die nötige Präzision
besitzt, um den gewünschten Effekt in Gang zu setzen. Das
österreichisch-deutsche Forschungsteam setzt deshalb auf die bereits erwähnte
"innovative Methode, die Licht mit Orbitaldrehimpuls einsetzt". Im Englischen
ist dabei von "twisted light" oder "vortex beams" die Rede. Stark vereinfacht
dargestellt, treffen bei dieser Methode Laserpulse nicht wie eine "Energiewand"
auf die Thoriumatome. Sie gleichen vielmehr einer Art rotierendem Korkenzieher
und sollen auf diese Weise mit einer höheren Wahrscheinlichkeit die Atomkerne in
den gewünschten Anregungszustand versetzen.
Als Expertin für theoretische Physik wird Pálffy-Buß das Forschungsprojekt in
erster Linie mit ihren Berechnungen unterstützen. "Ich entwerfe und simuliere,
was in verschiedenen Experiment-Aufbauten passieren würde, und mache Vorschläge,
was sinnvoll sein könnte", erklärt sie ihren Beitrag. Unter den zahlreichen
Ansätzen sucht sie nach dem Szenario, das den größten Erfolg verspricht. Dafür
erhält sie aus dem Finanztopf des Spezialforschungsbereichs rund 375.000 Euro –
genug, um zwei Doktorandenstellen zu finanzieren.
Für Physiker sei dieses Forschungsprojekt superspannend, sagt die Physikerin:
"Eine Kernuhr würde die Untersuchung von Konzepten ermöglichen, die
normalerweise als selbstverständlich angesehen werden, wie beispielsweise die
Frage, ob grundlegende physikalische Konstanten wirklich konstant sind." Darüber
hinaus könne sie dazu beitragen, die Frage zu beantworten, woraus Dunkle Materie
besteht. "Aufgrund der fundamentalen Wechselwirkungen, die bei Kernübergängen
eine Rolle spielen, ist die Kernuhr in einer einzigartigen Position, solche
Fragen zu beantworten", so Pálffy-Buß.
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