Aussehen im Widerspruch zum Standardmodell?
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Bonn astronews.com
8. August 2022
Dunkle Materie, eine noch immer mysteriöse Substanz, die
sich nicht direkt beobachten lässt, sich aber durch ihre gravitative
Anziehungskraft bemerkbar macht, ist inzwischen fester Bestandteil des
Standardmodells der Kosmologie. Ein Team hat nun Zwerggalaxien im Fornax-Galaxienhaufen
angeschaut und ist überzeugt, dass deren Aussehen nicht so recht zum
Standardmodell passt.
Die Zwerggalaxie NGC 1427A bewegt sich
gerade durch den Fornax-Galaxienhaufen. Die
dadurch hervorgerufenen Störungen wären nach
Ansicht eines Forschungsteams nicht erklärbar,
wenn die Galaxie von einem schweren und
ausgedehnten Halo aus Dunkler Materie umgeben
wäre.
Bild: ESO [Großansicht] |
Zwerggalaxien sind kleine, leuchtschwache Galaxien, die normalerweise in
Galaxienhaufen oder in der Nähe größerer Galaxien zu finden sind. Aus diesem
Grund können sie von den Gravitationswirkungen ihrer größeren Begleiter
beeinflusst werden. "Wir stellen eine innovative Methode zur Überprüfung des
Standardmodells vor, die darauf beruht zu untersuchen, wie stark Zwerggalaxien
durch die Schwerkraft von nahegelegenen größeren Galaxien gestört werden", sagt
Elena Asencio, Doktorandin an der Universität Bonn.
Solche Gezeiten entstehen, wenn die Schwerkraft eines Körpers auf
verschiedene Teile eines anderen Körpers wirkt. Sie sind vergleichbar mit den
Gezeiten auf der Erde – bestimmt durch den Mond, der wie ein Magnet an der ihm
zugewandten Seite der Erde zieht. Der Fornax-Haufen hat viele Zwerggalaxien.
Jüngste Beobachtungen zeigen, dass einige dieser Zwerggalaxien verzerrt
erscheinen, als wären sie durch die Umgebung des Haufens gestört worden. "Solche
Störungen in den Fornax-Zwergen erwartet man nach dem Standardmodell nicht", ist
Prof. Dr. Pavel Kroupa von der Universität Bonn und der Karls-Universität in
Prag überzeugt. "Das liegt daran, dass nach diesem Modell die Halos aus Dunkler
Materie die Zwerge größtenteils vor den Gezeiten des Haufens schützen."
Für die jetzt vorgelegte Studie analysierte das Team das erwartete
Ausmaß der Störung der Fornax-Zwerge, das von ihren inneren Eigenschaften und
ihrer Entfernung zum gravitativen Zentrum des Haufens abhängt: Galaxien mit
großer Ausdehnung, aber geringer stellarer Masse und Galaxien in der Nähe des
Haufenzentrums werden leichter gestört oder zerstört. Die Ergebnisse verglichen
sie mit dem Störungsgrad, beobachtet aus Bildern des VLT-Survey-Teleskops der
Europäischen Südsternwarte ESO.
Das Ergebnis des Vergleichs: "Um die Beobachtungen mit dem Standardmodell zu
erklären, müssten die Fornax-Zwerge bereits durch die Gravitation des
Haufenzentrums zerstört werden, selbst wenn die Gezeiten, die auf einen Zwerg
wirken, vierundsechzigmal schwächer sind als die Eigengravitation des Zwergs",
erklärt Asencio. Das sei nicht nur der Intuition widersprechend, sondern
widerspreche auch früheren Studien, die zeigten, dass die externe Kraft, die
nötig ist, um eine Zwerggalaxie zu stören, ungefähr so groß ist wie die
Eigengravitation des Zwergs.
Daraus schlossen die Autorinnen und Autoren, dass es im Standardmodell nicht
möglich ist, die beobachteten Erscheinungsformen der Fornax-Zwerge auf eine in
sich widerspruchsfreie Weise zu erklären. Das Team wiederholte die Analyse
mithilfe der modifizierten newtonsche Dynamik (MOND). Nach dieser Theorie
gehorcht die Anziehung zwischen zwei Massen nur bis zu einem bestimmten Punkt
den Newton'schen Gesetzen. Bei sehr kleinen Beschleunigungen, wie sie in
Galaxien vorherrschen, wird sie dagegen erheblich stärker. Daher reißen Galaxien
durch ihre Drehgeschwindigkeit auch nicht auseinander.
"Wir waren uns nicht sicher, ob die Zwerggalaxien in der Lage sein würden,
die extreme Umgebung eines Galaxienhaufens in MOND zu überleben, da es in diesem
Modell keine schützenden Halos aus Dunkler Materie gibt", sagt Dr. Indranil
Banik von der University of St. Andrews. "Aber unsere Ergebnisse zeigen
eine bemerkenswerte Übereinstimmung zwischen den Beobachtungen und den
MOND-Erwartungen für das Ausmaß der Störung der Fornax-Zwerge."
"Es ist aufregend zu sehen, dass die Daten, die wir mit dem Survey-Teleskop
erhalten haben, einen so gründlichen Test kosmologischer Modelle ermöglichen",
betonen die Koautoren Aku Venhola von der Universität Oulu in Finnland und
Steffen Mieske von der ESO. Es sei nicht das erste Mal, dass eine Studie, die
die Auswirkungen der Dunklen Materie auf die Dynamik und Entwicklung von
Galaxien untersucht, zu dem Schluss komme, dass die Beobachtungen besser dadurch
erklärt werden können, dass die Galaxien nicht von Dunkler Materie umgeben sind.
"Die Anzahl der Veröffentlichungen, die Unvereinbarkeiten zwischen
Beobachtungen und dem Paradigma der Dunklen Materie aufzeigen, nimmt jedes Jahr
zu", betont Kroupa, Mitglied der Transdisziplinären Forschungsbereiche "Modelling"
und "Matter" der Universität Bonn. "Es ist an der Zeit, deutlich mehr Ressourcen
in andere Theorien zu investieren." Dr. Hongsheng Zhao von der University of
St. Andrews fügt hinzu: "Unsere Ergebnisse haben große Auswirkungen auf die
Grundlagenphysik. Wir erwarten, dass wir mehr gestörte Zwerggalaxien in anderen
Haufen finden, eine Vorhersage, die von anderen Teams überprüft werden sollte".
Kroupa und sein Team gehören schon seit längerer Zeit zu einer kleinen Gruppe
von Kritikerinnen und Kritikern des kosmologischen Standardmodells, das auf die
Dunkle Materie setzt, um das dynamische Verhalten von Galaxien zu erklären. Sie
bevorzugen stattdessen eine unter der Bezeichnung MOND bekannte modifizierte
Version des Gravitationsgesetzes. Zahlreiche Beobachtungen deuten allerdings auf
die Existenz von Dunkler Materie hin, so dass die Anhänger der MOND-Theorie eine
kleine Minderheit darstellen.
Die aktuelle Studie wurde in der Fachzeitschrift Monthly Notices of
the Royal Astronomical Society veröffentlicht.
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