Galaxien auch ohne Dunkle Materie?
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Bonn astronews.com
13. Mai 2019
Die Existenz von Dunkler Materie halten die meisten
Astronomen für erforderlich, um etwa das Rotationsverhalten von Galaxien zu
erklären. Es gibt aber auch Forscher, die nach alternativen Erklärungen für diese
Beobachtungen suchen. Jetzt hat eine solche Gruppe die Ergebnisse von neuen
Simulationen vorgestellt, die auf die Existenz von kleinen Galaxien ganz ohne
Dunkle Materie hindeuten.
Die Abbildung zeigt einen kleinen Ausschnitt
der Illustris-Simulation: Gezeiten-Zwerggalaxien
(rot) enthalten im Gegensatz zu primordialen
Zwerggalaxien (blau) keine Dunkle Materie.
Bild: Illustris-1-Simulation, AG Kroupa /
Universität Bonn [Großansicht] |
Nach dem Standardmodell der Kosmologie enthalten Galaxien große Mengen
Dunkler Materie. Wissenschaftler der Universität Bonn haben kürzlich postuliert,
dass es auch Galaxien geben müsste, bei denen das nicht der Fall ist. Sie
konnten dieses „Zwei-Zwerge-Theorem“ nun in einer der führenden
Galaxieentstehungs-Simulationen bestätigen. Die Ergebnisse werfen Fragen zur
Existenz Dunkler Materie auf, da sie sich mit Beobachtungsdaten nicht
vereinbaren lassen.
Nach dem Standardmodell der Kosmologie (abgekürzt: LCDM) besteht das
Universum bis zu 80 Prozent aus Dunkler Materie. Diese wirkt als eine Art
"Klebstoff": Mit ihren Gravitationskräften verhindert sie, dass Galaxien durch
die in ihnen wirkenden Fliehkräfte zerreißen. Allerdings gilt das möglicherweise
nicht immer: "Wir haben im Jahr 2012 postuliert, dass manche Arten von
Zwerggalaxien keine Dunkle Materie enthalten", erklärt Prof. Dr. Pavel Kroupa
vom Helmholtz-Institut der Universität Bonn und dem Astronomischen Institut der
Karls-Universität Prag. "Tatsächlich konnten wir diese theoretische Überlegung
nun mithilfe der sogenannten Illustris-Computersimulation bestätigen."
Zwerggalaxien unterscheiden sich von "normalen" Galaxien vor allem durch ihre
geringere Größe. Die in ihnen enthaltenen Sterne wiegen zusammen einige hundert
Millionen mal soviel wie die Sonne. Zum Vergleich: Die Sterne der Milchstraße
bringen zusammen rund 60 Milliarden Sonnenmassen auf die "Waage". Die meisten
der Mini-Galaxien werden als primordiale Galaxien bezeichnet. Sie entstanden in
der Zeit nach dem Urknall durch Kondensation von Materiegas. Die Dunkle Materie
wirkte dabei gewissermaßen als Kondensationskeim: Sie zog mit ihren
Gravitationskräften Gaswolken an, die sich mit der Zeit zu Millionen von Sternen
verdichteten.
Daneben gibt es aber noch eine andere Sorte von Zwerggalaxien. Sie entstehen,
wenn zwei normale Galaxien kollidieren. Bei diesem Crash wirken aufgrund der
gegenseitigen Anziehung beider Galaxien sogenannte Gezeitenkräfte. Diese
schleudern große Mengen Materie aus der Peripherie der Kollision heraus. "Die
Zwerggalaxien, die sich dabei bilden, werden auch als Gezeiten-Galaxien
bezeichnet", erklärt Kroupas Mitarbeiter Moritz Haslbauer. "Sie enthalten
aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte keine bis kaum Dunkle Materie."
In der Illustris-1-Simulation lässt sich die Entwicklung des Universums seit
der Zeit kurz nach dem Urknall nachvollziehen. Sie bestätigt dieses
"Zwei-Zwerg-Theorem": Neben primordialen Zwerggalaxien mit einem großen Anteil
Dunkler Materie müsste es demnach also auch Gezeiten-Galaxien ohne Dunkle
Materie geben. Verglichen mit primordialen Zwerggalaxien gleicher Masse sollten
diese zudem einen deutlich kleineren Radius aufweisen. Denn aufgrund der
fehlenden Gravitationskräfte der Dunklen Materie müssen sie deutlich kompakter
sein, da sie sonst die Sterne in ihrer Peripherie nicht festhalten könnten.
"An dieser Stelle stoßen wir auf einen unerklärlichen Unterschied zu heutigen
Beobachtungsdaten", betont Haslbauer. "Alle bislang gefundenen Zwerggalaxien
weisen nämlich ähnliche Masse-zu-Radius-Verhältnisse auf. Das heißt, den von der
Simulation postulierten Größenunterschied scheint es nicht zu geben."
Kroupa wertet das als Hinweis darauf, dass es vielleicht gar keine Dunkle
Materie gibt: "Wir vermuten stattdessen, dass die Newton'schen
Gravitations-Gesetze unter Bedingungen, wie sie in Galaxien herrschen,
modifiziert werden müssen", erklärt der Astrophysiker. In der Fachwelt wird
diese sogenannte MOND-Theorie – das Akronym steht für "modifizierte Newton'sche
Dynamik" – strittig diskutiert. "Sie würde aber neben anderen Phänomenen auch
das Größen-Problem sehr schön lösen", betont Kroupa.
Die MOND-Theorie ist unter Astronomen vor allem deshalb umstritten, da sich
mit ihr zwar bestimmte Beobachtungen recht gut erklären lassen, aber längst
nicht alle. Dies gelingt mit Dunkler Materie sehr viel besser und universeller über sehr
unterschiedliche Größenordnungen und Zeiträume.
Über die Ergebnisse der Simulationen berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Astronomy & Astrophysics erschienen ist.
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