Alternativer Blick auf die lokale Gruppe
Redaktion
/ Pressemitteilung der Universität Bonn astronews.com
8. Juli 2013
Astronomen haben einen alternativen Blick in die
Vergangenheit von Milchstraße und Andromedagalaxie geworfen. Sie verwendeten
dazu ein Programm, das ohne Dunkle Materie auskommt. Danach kam es vor rund zehn
Milliarden Jahren zu einer Beinahe-Kollision von Milchstraße und
Andromedagalaxie. Diese vermutete Begegnung hatte Folgen, die sich noch heute
beobachten lassen könnten.
Das Diagramm zeigt, wie vor zehn Milliarden
Jahren die Andromeda-Galaxie (rechts unten) mit
der Milchstraße (an den Schnittpunkten der
Achsen) kollidierte. Daraufhin entfernte sich die
Andromeda-Galaxie maximal um drei Millionen
Lichtjahre und nähert sich nun wieder der
Milchstraße.
Bild: Fabian Lüghausen / Uni
Bonn |
Die meisten Astronomen sind heute davon überzeugt, dass sich nur durch die
Existenz von Dunkler Materie die Bewegungen von Sternen und Galaxien im
Universum erklären lassen. Dieser mysteriöse "Stoff", von dem es bislang
bestenfalls Vermutungen gibt, um was es sich dabei handeln könnte, spielt auch
eine wichtige Rolle bei der Bildung der Strukturen im Universum und ist
Bestandteil unzähliger kosmologischer Modelle.
Allerdings glauben nicht alle Forscher daran, dass Dunkle Materie wirklich
notwendig ist. Die Arbeitsgruppe von Professor Pavel Kroupa am Argelander-Institut
für Astronomie der Universität Bonn beschäftigt sich schon seit einiger Zeit mit
einer alternativen Theorie, die in Fachkreisen unter der Abkürzung "MOND"
bekannt ist, was für Modified Newtonian dynamics steht - also
modifizierte newtonsche Dynamik.
Diese Theorie wurde 1983 vom Physiker Mordehai Milgrom als Alternative zu
Dunkle-Materie-Modellen vorgeschlagen und erklärt das beobachtete
Rotationsverhalten von Galaxien durch angepasste Bewegungsgleichungen. Die
Annahme, dass sich im All deutlich mehr Masse befindet als man beobachten kann,
benötigt diese Theorie nicht.
In einer jetzt zur Veröffentlichung in der Fachzeitschrift Astronomy &
Astrophysics akzeptierten Studie beschäftigen sich die Astronomen mit der
dynamischen Entwicklung in der lokalen Gruppe, also in unserem
"Heimatgalaxienhaufen". In einigen Milliarden Jahren werden die beiden größten
Galaxien der lokalen Gruppe, die Milchstraße und die Andromedagalaxie, mit
großer Wahrscheinlichkeit kollidieren und anschließend vermutlich zu einer
größeren Galaxie verschmelzen. "Beide Galaxien rasen mit rund 100 Kilometer pro
Sekunde aufeinander zu", so Kroupa.
Dr. Hongsheng Zhao von der University of St. Andrews in
Schottland hat zusammen mit Astronomen aus Bonn und Straßburg nun in der
Vergangenheit von Milchstraße und Andromedagalaxie geschaut: Das Team, zu dem
auch Kroupa gehörte, berechnete auf Grundlage aktueller Beobachtungsdaten über
die Bewegung von Andromedagalaxie und der Magellanschen Wolken, zweier
Satellitengalaxien der Milchstraße, den Weg, den Milchstraße und
Andromedagalaxie in der Vergangenheit genommen haben müssen, um an ihre heutige
Position zu gelangen.
Das Besondere dabei: In dem Computermodell der Astronomen wurde nicht das
herkömmliche Gravitationsmodell verwendet, das auf Newton, Einstein und der
Dunklen Materie fußt, sondern der MOND-Ansatz, der ohne Dunkle Materie auskommt.
Das Ergebnis war überraschend: Nach den Berechnungen der Forscher kam es danach
bereits vor rund zehn Milliarden Jahren zu einer Beinahe-Kollision zwischen der
Milchstraße und der Andromedagalaxie.
"Beide rotierenden Sternsysteme kamen sich dabei so nahe, dass Materie
herausgeschleudert wurde, die sich dann zu langen Gezeitenarmen und neuen
Zwerggalaxien anordnete, die heute noch zu beobachten sind", erläutert Dr.
Benoit Famaey von der Universität Straßburg. Dieses Ereignis vor zehn Milliarden
Jahren würde, so die Astronomen, elegant die heutige Anordnung der
scheibenförmigen Galaxien und ihrer Ausläufer erklären.
"Nur wenn kein Einfluss Dunkler Materie vorhanden ist, lässt sich darstellen,
wie sich die Milchstraße und die Andromedagalaxie nahe kommen können, ohne dabei
zu verschmelzen", gibt Zhao zu bedenken. Die Dunkle Materie hätte ansonsten die
Sterne in den beiden Galaxien abgebremst wie einen Stein, der in Honig fällt. Im
Ergebnis hätten dann die beiden Galaxien nicht getrennt weiterexistieren können.
Für ihre These würde es, so die Forscher, einen eindeutigen Beweis geben: die
Zwerggalaxien in unmittelbarer Nachbarschaft von Milchstraße und
Andromedagalaxie. "Deren Anordnung in zwei riesigen Scheiben, welche jeweils die
Milchstraße und die Andromedagalaxie noch heute umgeben, lassen praktisch keine
andere Erklärung zu", ist Kroupa überzeugt. Die Astronomen planen nun, ein neues
Computerprogramm zu entwickeln, das die Vergangenheit und Zukunft des
Annäherungskurses der beiden Galaxien noch genauer berechnet und auch wieder
ohne einen Beitrag der Dunklen Materie auskommt.
Von diesem neuen Modell, an dem bereits ein Doktorand von Kroupa arbeitet,
verspricht sich der Astronom Großes: "Sollten die Ergebnisse aus dem geplanten
Computermodell unsere These stützen, dass zur Erklärung der Galaxienentstehung
keine Dunkle Materie erforderlich ist, müsste die Geschichte des Universums von
Grund auf neu berechnet werden", so Kroupa.
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