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Für die meisten Astronomen ist Dunkle Materie ein sicherer Bestandteil unseres Universums und durch zahlreiche, wenn auch indirekte Beobachtungen belegt. Es gibt aber auch Forscher, die nach Alternativen suchen und etwa einem veränderten Gravitationsgesetz den Vorzug vor Dunkler Materie geben. Nun hat eine Gruppe ein Universum ohne Dunkle Materie simuliert.
Kosmologen gehen heute davon aus, dass die Materie nach dem Urknall nicht ganz gleichmäßig verteilt war. Die dichteren Stellen zogen aufgrund ihrer stärkeren Gravitationskräfte immer mehr Materie aus ihrer Umgebung an. Im Laufe von mehreren Milliarden Jahren bildeten sich aus diesen Ansammlungen aus Staub und Gas schließlich die Galaxien, die wir heute sehen. Eine wichtige Zutat dieser Theorie ist die sogenannte Dunkle Materie. Sie soll einerseits für die anfängliche Ungleichverteilung verantwortlich sein, die zur Zusammenballung der Gaswolken führte. Außerdem erklärt sie einige rätselhafte Beobachtungen. So bewegen sich Sterne in rotierenden Galaxien häufig so schnell, dass sie eigentlich aus ihnen heraustreiben sollten. Es scheint also in den Galaxien eine zusätzliche Gravitations-Quelle zu geben, die das verhindert – eine Art "Sternen-Kitt", der mit Teleskopen nicht zu sehen ist: die Dunkle Materie. Um was es sich bei Dunkler Materie handelt, weiß die Astronomie bis heute nicht, so dass ihr Nachweis bislang nur indirekt möglich ist. Das lädt natürlich dazu ein, über alternative Modelle zum sogenannten Standardmodell nachzudenken, in denen Dunkle Materie keine Rolle spielt. Dies tut seit mehreren Jahren eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern, unter ihnen auch Prof. Dr. Pavel Kroupa vom Helmholtz-Institut für Strahlen- und Kernphysik der Universität Bonn und dem Astronomischen Institut der Karls-Universität in Prag.
"Eventuell verhalten sich die Gravitationskräfte selbst einfach anders als bislang gedacht", so beschreibt Kroupa das von ihm bevorzugte alternative Modell. Diese Theorie trägt das Kürzel MOND (MOdifizierte Newtonsche Dynamik) und wurde vom israelischen Physiker Prof. Dr. Mordehai Milgrom vorgeschlagen. Nach ihr gehorcht die Anziehung zwischen zwei Massen nur bis zu einem bestimmten Punkt den Newtonschen Gesetzen. Bei sehr kleinen Beschleunigungen, wie sie in Galaxien vorherrschen, wird sie dagegen erheblich stärker. Daher reißen Galaxien durch ihre Drehgeschwindigkeit auch nicht auseinander. "Wir haben nun in Zusammenarbeit mit Dr. Benoit Famaey in Straßburg erstmals simuliert, ob sich in einem MOND-Universum Galaxien bilden würden und wenn ja, welche", sagt Kroupas Doktorand Nils Wittenburg. Dazu nutzte er ein Computerprogramm für die komplexen Gravitationsberechnungen, das in Kroupas Gruppe entwickelt wurde. Denn die Anziehungskraft eines Körpers hängt bei MOND nicht nur von seiner eigenen Masse ab, sondern auch davon, ob sich andere Objekte in seiner Nähe befinden. Mit dieser Software simulierten die Wissenschaftler dann – ausgehend von einer Gaswolke einige hunderttausend Jahre nach dem Urknall – die Entstehung von Sternen und Galaxien. "Unsere Ergebnisse sind in vielen Aspekten bemerkenswert nahe zu dem, was wir mit Teleskopen wirklich beobachten", urteilt Kroupa. So folgen die Verteilung und Geschwindigkeit der Sterne in den computergenerierten Galaxien demselben Muster, das auch am Nachthimmel zu sehen ist. "In unserer Simulation bildeten sich zudem vor allem rotierende Scheiben-Galaxien wie die Milchstraße und fast alle anderen großen Galaxien, die wir kennen", sagt der Wissenschaftler. "In Dunkle-Materie-Simulationen entstehen dagegen überwiegend Galaxien ohne ausgeprägte Materie-Scheiben – eine Diskrepanz zu den Beobachtungen, die schwer zu erklären ist." Berechnungen, die von der Existenz Dunkler Materie ausgehen, seien zudem sehr empfindlich gegenüber Änderungen bestimmter Parameter – etwa der Entstehungshäufigkeit von Supernovae und deren Auswirkung auf die Materieverteilung in Galaxien. In der MOND-Simulation spielten diese Faktoren dagegen kaum eine Rolle. Allerdings stimmen auch die jetzt publizierten Ergebnisse aus Bonn, Prag und Straßburg nicht in allen Punkten mit der Realität überein. "Unsere Simulation ist nur ein erster Schritt", betont Kroupa. So haben die Wissenschaftler bislang nur sehr einfache Annahmen getroffen, was die ursprüngliche Verteilung der Materie und die Bedingungen im jungen Universum angeht. "Wir müssen die Berechnungen nun wiederholen und dabei auch komplexere Einflussfaktoren einbeziehen. Dann werden wir sehen, ob die MOND-Theorie die Realität tatsächlich erklärt." Über ihre Simulationen berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der Zeitschrift The Astrophysical Journal erschienen ist.
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