Galaxienentstehung ohne Dunkle Materie?
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Bonn astronews.com
11. Februar 2020
Für die meisten Astronomen ist Dunkle Materie ein sicherer
Bestandteil unseres Universums und durch zahlreiche, wenn auch indirekte
Beobachtungen belegt. Es gibt aber auch Forscher, die nach Alternativen suchen
und etwa einem veränderten Gravitationsgesetz den Vorzug vor Dunkler Materie
geben. Nun hat eine Gruppe ein Universum ohne Dunkle Materie simuliert.
Die Verteilung des Materiegases 1,5
Milliarden Jahre nach dem Start der Simulation.
Je heller die Farbe, desto höher ist die Dichte
des Gases. Die hellblauen Punkte zeigen junge
Sterne.
Bild: AG Kroupa / Uni Bonn [Großansicht] |
Kosmologen gehen heute davon aus, dass die Materie nach dem Urknall nicht
ganz gleichmäßig verteilt war. Die dichteren Stellen zogen aufgrund ihrer
stärkeren Gravitationskräfte immer mehr Materie aus ihrer Umgebung an. Im Laufe
von mehreren Milliarden Jahren bildeten sich aus diesen Ansammlungen aus Staub
und Gas schließlich die Galaxien, die wir heute sehen.
Eine wichtige Zutat dieser Theorie ist die sogenannte Dunkle Materie. Sie
soll einerseits für die anfängliche Ungleichverteilung verantwortlich sein, die
zur Zusammenballung der Gaswolken führte. Außerdem erklärt sie einige
rätselhafte Beobachtungen. So bewegen sich Sterne in rotierenden Galaxien häufig
so schnell, dass sie eigentlich aus ihnen heraustreiben sollten. Es scheint also
in den Galaxien eine zusätzliche Gravitations-Quelle zu geben, die das
verhindert – eine Art "Sternen-Kitt", der mit Teleskopen nicht zu sehen ist: die
Dunkle Materie.
Um was es sich bei Dunkler Materie handelt, weiß die Astronomie bis heute
nicht, so dass ihr Nachweis bislang nur indirekt möglich ist. Das lädt natürlich
dazu ein, über alternative Modelle zum sogenannten Standardmodell nachzudenken,
in denen Dunkle Materie keine Rolle spielt. Dies tut seit mehreren Jahren eine
kleine Gruppe von Wissenschaftlern, unter ihnen auch Prof. Dr. Pavel Kroupa vom
Helmholtz-Institut für Strahlen- und Kernphysik der Universität Bonn und dem
Astronomischen Institut der Karls-Universität in Prag.
"Eventuell verhalten sich die Gravitationskräfte selbst einfach anders
als bislang gedacht", so beschreibt Kroupa das von ihm bevorzugte alternative
Modell. Diese Theorie trägt das Kürzel MOND (MOdifizierte Newtonsche Dynamik)
und wurde vom israelischen Physiker Prof. Dr. Mordehai Milgrom vorgeschlagen.
Nach ihr gehorcht die Anziehung zwischen zwei Massen nur bis zu einem bestimmten
Punkt den Newtonschen Gesetzen. Bei sehr kleinen Beschleunigungen, wie sie in
Galaxien vorherrschen, wird sie dagegen erheblich stärker. Daher reißen Galaxien
durch ihre Drehgeschwindigkeit auch nicht auseinander.
"Wir haben nun in Zusammenarbeit mit Dr. Benoit Famaey in Straßburg erstmals
simuliert, ob sich in einem MOND-Universum Galaxien bilden würden und wenn ja,
welche", sagt Kroupas Doktorand Nils Wittenburg. Dazu nutzte er ein
Computerprogramm für die komplexen Gravitationsberechnungen, das in Kroupas
Gruppe entwickelt wurde. Denn die Anziehungskraft eines Körpers hängt bei MOND
nicht nur von seiner eigenen Masse ab, sondern auch davon, ob sich andere
Objekte in seiner Nähe befinden.
Mit dieser Software simulierten die Wissenschaftler dann – ausgehend von
einer Gaswolke einige hunderttausend Jahre nach dem Urknall – die Entstehung von
Sternen und Galaxien. "Unsere Ergebnisse sind in vielen Aspekten bemerkenswert
nahe zu dem, was wir mit Teleskopen wirklich beobachten", urteilt Kroupa. So
folgen die Verteilung und Geschwindigkeit der Sterne in den computergenerierten
Galaxien demselben Muster, das auch am Nachthimmel zu sehen ist.
"In unserer Simulation bildeten sich zudem vor allem rotierende
Scheiben-Galaxien wie die Milchstraße und fast alle anderen großen Galaxien, die
wir kennen", sagt der Wissenschaftler. "In Dunkle-Materie-Simulationen entstehen
dagegen überwiegend Galaxien ohne ausgeprägte Materie-Scheiben – eine Diskrepanz
zu den Beobachtungen, die schwer zu erklären ist." Berechnungen, die von der
Existenz Dunkler Materie ausgehen, seien zudem sehr empfindlich gegenüber
Änderungen bestimmter Parameter – etwa der Entstehungshäufigkeit von Supernovae
und deren Auswirkung auf die Materieverteilung in Galaxien. In der
MOND-Simulation spielten diese Faktoren dagegen kaum eine Rolle.
Allerdings stimmen auch die jetzt publizierten Ergebnisse aus Bonn, Prag und
Straßburg nicht in allen Punkten mit der Realität überein. "Unsere Simulation
ist nur ein erster Schritt", betont Kroupa. So haben die Wissenschaftler bislang
nur sehr einfache Annahmen getroffen, was die ursprüngliche Verteilung der
Materie und die Bedingungen im jungen Universum angeht. "Wir müssen die
Berechnungen nun wiederholen und dabei auch komplexere Einflussfaktoren
einbeziehen. Dann werden wir sehen, ob die MOND-Theorie die Realität tatsächlich
erklärt."
Über ihre Simulationen berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift The Astrophysical Journal erschienen ist.
|