Wenn Schwarzes Loch und Neutronenstern kollidieren
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik astronews.com
21. Juli 2022
Mithilfe von
Supercomputern wurde erstmals der komplette Prozess des Zusammenstoßes eines Schwarzen Loches mit einem
Neutronenstern modelliert. Dabei berechnete das Team die Vorgänge von den letzten Umkreisungen
über die Verschmelzung bis zur Phase nach der Kollision, in der nach den
Berechnungen auch hochenergetische Gammastrahlenausbrüche auftreten können.
Numerische Simulation der Verschmelzung
eines Schwarzen Loches mit einem Neutronenstern.
Das Dichteprofil ist in blau und grün
dargestellt, die Magnetfeldlinien, die das
Schwarze Loch durchdringen, sind in pink
dargestellt. Ungebundene Materie ist in weiß
dargestellt, ihre Geschwindigkeit durch grüne
Pfeile.
Bild:
K. Hayashi (Universität Kyoto) [Großansicht] |
Fast sieben Jahre ist die erste Messung von Gravitationswellen inzwischen her
– am 14. September 2015 empfingen die LIGO-Messgeräte in den USA das Signal von
zwei verschmelzenden Schwarzen Löchern aus den Tiefen des Weltalls. Seitdem
wurden insgesamt 90 Signale gemessen: von Doppelsystemen zweier Schwarzer Löcher
oder Neutronensternen und auch von gemischten Systemen. Ist an der Verschmelzung
mindestens ein Neutronenstern beteiligt, besteht die Möglichkeit, dass nicht nur
die Gravitationswellen-Detektoren das Ereignis beobachten, sondern auch
Teleskope im elektromagnetischen Bereich.
Als bei dem am 17. August 2017 beobachteten Ereignis (GW170817) zwei
Neutronensterne miteinander verschmolzen, beobachteten rund 70 astronomische
Observatorien auf der Erde und im All die elektromagnetischen Signale. Bei den
beiden bislang beobachteten Verschmelzungen von Neutronensternen mit Schwarzen
Löchern (GW200105 und GW200115) wurden keine elektromagnetischen Gegenstücke zu
den Gravitationswellen nachgewiesen. Wenn jedoch mit den empfindlicher werdenden
Detektoren weitere solcher Ereignisse gemessen werden, rechnen die Forscherinnen
und Forscher auch hier mit Beobachtungen im elektromagnetischen Bereich.
Denn während und nach der Verschmelzung wird Materie aus dem System
herausgeschleudert und elektromagnetische Strahlung entsteht. Dabei entstehen
vermutlich auch kurzzeitige Gammastrahlenausbrüche, die Weltraumteleskope
beobachten können. Die Wissenschaftler wählten für ihre Untersuchungen zwei
verschiedene Modellsysteme aus einem rotierenden Schwarzen Loch und einem
Neutronenstern. Die Massen des Schwarzen Lochs betrugen dabei 5,4 bzw. 8,1
Sonnenmassen, die Masse des Neutronensterns wurde auf 1,35 Sonnenmassen
festgelegt. Diese Parameter wurden so gewählt, dass mit einem Zerreißen des
Neutronensterns durch die Gezeitenkräfte zu rechnen war.
"Wir erhalten Einblicke in einen Prozess, der ein bis zwei Sekunden lang
dauert – das klingt kurz, tatsächlich passiert aber in dieser Zeit sehr viel:
von den letzten Umkreisungen und dem Zerreißen des Neutronensterns durch die
Gezeitenkräfte, dem Auswurf von Materie, bis zur Bildung einer Akkretionsscheibe
um das entstehende Schwarze Loch herum und weiteres Herausschleudern von Materie
in einem Jet“, sagt Masaru Shibata, Direktor der Abteilung Numerische und
Relativistische Astrophysik am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in
Potsdam. "Dieser hochenergetische Jet ist vermutlich auch ein Grund für kurze
Gammastrahlenausbrüche, deren Entstehung noch rätselhaft ist. Die
Simulationsergebnisse zeigen auch, dass die ausgestoßene Materie schwere
Elemente wie Gold und Platin bilden sollte."
Die Simulationen zeigen, dass während des Verschmelzungsprozesses der
Neutronenstern durch die Gezeitenkräfte zerrissen wird. Etwa 80 % der
Neutronensternmaterie fällt binnen weniger Millisekunden in das Schwarze Loch,
wodurch sich dessen Masse um etwa eine Sonnenmasse erhöht. In den anschließenden
etwa zehn Millisekunden bildet die Neutronensternmaterie eine einarmige
Spiralstruktur. Ein Teil der Materie im Spiralarm wird aus dem System
herausgeschleudert, während aus dem Rest (0,2 – 0,3 Sonnenmassen) eine
Akkretionsscheibe um das Schwarze Loch herum entsteht. Fällt die
Akkretionsscheibe nach der Verschmelzung in das Schwarze Loch, bewirkt dies
einen "jetartigen", also gebündelten, Strom elektromagnetischer Strahlung, der
letztlich den Gamma-Blitz erzeugen kann.
Um die Einsteinschen Gleichungen für den bis zu zwei Sekunden dauernden
Prozess zu lösen, musste der Clustercomputer der Abteilung namens "Sakura" etwa
zwei Monate lang rechnen. "Solche allgemein-relativistischen Berechnungen sind
sehr aufwändig. Deshalb haben sich Forschungsgruppen in aller Welt bisher nur
auf kurze Simulationen konzentriert", erklärt Dr. Kenta Kiuchi, Gruppenleiter in
Shibatas Abteilung, der den Code entwickelt hat. "Eine durchgängige Simulation,
wie wir sie jetzt erstmals durchgeführt haben, liefert hingegen ein in sich
konsistentes Bild des gesamten Prozesses für einmal definierte
Anfangsbedingungen des binären Systems."
Darüber hinaus können die Forschenden nur mit solch langen Simulationen den
Entstehungsmechanismus kurzer Gammastrahlenausbrüche erforschen, die
typischerweise eine bis zwei Sekunden lang dauern. Shibata und die
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seiner Abteilung rechnen bereits an
ähnlichen, aber noch komplexeren numerischen Simulationen, mit denen sie die
Verschmelzung zweier Neutronensterne und die Phase nach ihrer Kollision
konsistent modellieren.
Die Ergebnisse ihrer Studien erschienen jetzt in der Fachzeitschrift
Physical Review D.
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