Zwei Jahrzehnte Schwerefeldmessung aus dem All
Redaktion
/ Pressemitteilung des DLR astronews.com
18. März 2022
Vor 20 Jahren starteten die Zwillingssatelliten "Tom" und
"Jerry" und mit ihnen die amerikanisch-deutsche Mission GRACE. Die Satelliten
lieferten detaillierte Daten über das Schwerefeld der Erde, aus denen sich
wichtige Kennzahlen über den Klimawandel auf unserem Planeten ableiten lassen.
Inzwischen setzen mit GRACE-FO zwei neue Satelliten die Mission fort.
Künstlerische Darstellung der
GRACE-Satelliten und der Erde - hier in Form
eines Gravitationsglobus, der zeigt, dass das
Schwerefeld der Erde nicht gleichmäßig verteilt
ist.
Bild: GFZ [Großansicht] |
Wenn wir Massen beobachten, wirken sie auf den ersten Blick starr und
unbeweglich. Doch das täuscht, denn sie sind ständig in Bewegung: Im Erdinneren
verschiebt sich flüssiges Gestein, Wasser verteilt sich in den Ozeanen und auf
den Kontinenten in riesigen Mengen um und auch Luftmassen verwirbeln sich
ständig. Diese ungleiche Verteilung führt jeweils dazu, dass sich die
Erdanziehungskraft nicht gleichförmig über den Erdball verteilt. An Stellen mit
mehr Masse ist das Gravitationsfeld geringfügig stärker als an anderen.
Seit dem Start der beiden GRACE-Zwillingssatelliten "Tom" und "Jerry" und dem
Beginn der GRACE-Mission des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR),
der US-amerikanischen Weltraumbehörde NASA und des GeoForschungsZentrums (GFZ)
in Potsdam am 17. März 2002 und der Nachfolgemission GRACE-FO erfassen die
Satellitenduos diese langsamen Bewegungen ganz genau. GRACE steht für
Gravity Recovery and Climate Experiment.
"Mit den GRACE-Satelliten können wir erstmalig die Massentransporte im System
Erde global erheben. Die Missionen GRACE und GRACE-FO haben jede kleine
Veränderung in diesen Masseströmen so präzise erfasst, dass Forschende zum
Beispiel den Wasserhaushalt der Erde mit zuvor unerreichter Genauigkeit und
Konstanz messen konnten. Durch diese Messungen können wir vor allem die Folgen
des Klimawandels besser verstehen, weil sich zum Beispiel das Schmelzen der
Eismassen, die Veränderungen des Meeres- sowie des Grundwasserspiegels exakter
bestimmen lassen", betont Dr. Walther Pelzer, Vorstandsmitglied des DLR und
Leiter der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR in Bonn.
Das zeigt sich beispielweise beim arktischen Eis: So schmilzt das Grönlandeis
viel schneller als gedacht. Pro Jahr verliert dieses Eisschild 277 Gigatonnen an
Masse. Eine Gigatonne entspricht einem Würfel von einem Kilometer Kantenlänge.
"In den letzten zwanzig Jahren hat die grönländische Eisdecke rund 4,7 Billionen
Tonnen Eis verloren. Dänische Forscher haben diese Erkenntnisse anhand der
langen GRACE-Datenreihen gewonnen, die auch regelmäßig in die Berichte des
Weltklimarates IPCC einfließen. Im letzten Bericht ist GRACE die am
dritthäufigsten zitierte Satellitenmission. Das unterstreicht die Bedeutung, die
diese Mission für die Klimaforschung hat", betont Pelzer.
Doch nicht nur die Eisschmelze ist ein wichtiger Klimaindikator: Mehrmonatige
Trockenperioden im Amazonas und drastische Abnahmen des Grundwasserspiegels im
Norden Indiens konnten mit den GRACE-Daten ebenso zuverlässig beobachtet werden
wie der Anstieg des Meeresspiegels über zwei Jahrzehnte. Außerdem ist aus den
GRACE-Daten die sogenannte "Potsdamer Schwerekartoffel" entstanden. Dieser
"Gravitationsglobus" zeigt, dass das Schwerefeld der Erde nicht gleichmäßig
verteilt ist. Dank dieses dreidimensionalen Geoids werden die Abweichungen der
Erdgestalt deutlich sichtbar. Besonders stark ist der Einfluss der Schwerkraft
demnach über dem Himalaja und dem Nordatlantik, dagegen eher schwach über dem
Indischen Ozean und den Kleinen Antillen.
Doch wie genau messen diese Satelliten eigentlich die Massentransporte? Der Clou
ist, dass Massen bei GRACE und GRACE-FO ("FO" steht dabei für "Follow-on", also
Fortsetzung) alleine anhand ihrer Schwerkraftwirkung erfasst werden. Die beiden
Satelliten flogen beziehungsweise fliegen jeweils in einem mittleren Abstand von
nur rund 220 Kilometern hintereinander her. Relative Distanz und Geschwindigkeit
der beiden Satelliten werden dabei mithilfe von Mikrowellen und einem Laser
ständig ganz exakt gemessen. Die Genauigkeit von ein bis zwei Mikrometern
entspricht dabei etwa einem Hundertstel der Dicke eines Blattes Druckerpapier.
"Gestein und Wasser - egal ob in fester oder flüssiger Form - üben mit ihren
Massen eine Gewichtskraft aus. Ist sie stärker, wird der voranfliegende Satellit
beim Überflug von ihr angezogen. Dadurch wird er schneller und entfernt sich vom
anderen Satelliten. Diese minimale Veränderung im gegenseitigen Abstand wird
kontinuierlich über jeden Umlauf um die Erde gemessen. Geringere Massen
beschleunigen den voranfliegenden Satelliten weniger und bewirken wieder eine
Annäherung. Im übertragenen Sinne können wir mit den Satelliten wiegen, wie
Eisschilde und auch die Kontinente von Monat zu Monat abnehmen oder zunehmen",
erklärt Peter Schaadt, GRACE-FO-Programmleiter in der Deutschen Raumfahrtagentur
im DLR. Doch das Wiegen geschieht nicht im All, sondern anhand von komplizierten
Rechenverfahren am Boden, wobei die minimalen Bewegungen der Satelliten im
Erdorbit in Schwerefeldwerte übersetzt werden.
Nach dem Start der beiden GRACE-Satelliten am 17. März 2002 wurden "Tom" und
"Jerry" in rund 500 Kilometern Höhe ausgesetzt. Schon etwa 70 Sekunden später
fand die erste Kontaktaufnahme mit der DLR-Bodenstation in Weilheim statt. Die
ersten Daten der Satelliten wurden über ein Kommunikationsnetzwerk direkt und
ohne Verzögerung zum Raumfahrtkontrollzentrum des DLR in Oberpfaffenhofen bei
München geschickt. Dort begann dann die "Akquisitionsphase" der Satelliten.
Diese erste frühe Phase nach dem Start übernahm das Kontrollzentrum auch 2018
bei der Folgemission GRACE-FO, wie Sebastian Löw, Projektleiter des GRACE-FO
Bodensegments vom DLR-Raumflugbetrieb und Astronautentraining, erzählt: "Wir
haben die Bahnparameter bestimmt, den Zustand von GRACE analysiert, die
Funktionsbereitschaft aller Systeme getestet sowie deren Konfiguration für ihre
eigentlichen wissenschaftlichen Aufgaben. In der Akquisitionsphase haben wir
außerdem die autonomen Bordsysteme zur Positions- und Lagebestimmung sowie die
bordeigenen Sternsensoren und das Lageregelungssystem in Betrieb genommen."
Die Betriebsaufgaben waren für beide Missionen, GRACE und GRACE-FO, identisch.
In den ersten beiden Wochen nach den Starts befahl das Betriebsteam dann jeweils
mehrere Bahnmanöver, um den relativen Abstand der Satelliten auf 220 Kilometer
einzustellen. Die Kontrolle dieses Formationsfluges erfordert regelmäßige
Korrekturmanöver in Intervallen von einigen Wochen. Dafür und zur
Satellitenkontrolle während der Mission werden die beiden Antennen der
DLR-Bodenstation Weilheim genutzt - unterstützt in den ersten 30 Tagen vom
Polar-Netzwerk der NASA. Nach einer zweiwöchigen Testphase lag dann die
Kontrolle und der Betrieb der beiden GRACE Satelliten in der Hand des Deutschen
Raumfahrtkontrollzentrums. Alle empfangenen Daten wurden im Deutschen
Fernerkundungsdatenzentrum (DFD) des DLR in Neustrelitz weiterverarbeitet,
archiviert und an die wissenschaftlichen Auswertezentren verteilt.
Die Bedeutung der Klimazeitreihenmessungen von GRACE und GRACE-FO für die
Klimaforschung ist essenziell. Deshalb arbeiten NASA, das DLR und das GFZ
gemeinsam mit Max-Planck-Instituten an der Vorbereitung einer nächsten Mission,
die die Beobachtungen im Anschluss an GRACE-FO fortsetzen soll. "Die Kooperation
mit der NASA in der Erdbeobachtung ist ein großartiges Zeichen für die
gemeinsamen Ziele, die die USA und Deutschland in der Klimapolitik verfolgen
wollen", unterstreicht DLR-Vorstandsmitglied Walther Pelzer. "Die Beauftragung
des Satellitenbaus durch die NASA ist auch ein Zeichen für die
Leistungsfähigkeit der deutschen Raumfahrtindustrie."
GRACE war eine gemeinsame Mission der NASA und des Deutschen Zentrums für Luft-
und Raumfahrt (DLR), die bis zum Jahr 2017 betrieben wurde und damit dreimal
länger als ursprünglich geplant dauerte. Die wissenschaftliche Datenauswertung
erfolgte durch die "University of Texas" und durch das GeoForschungsZentrum
Potsdam (GFZ). Der Betrieb oblag dem Deutschen Raumfahrtkontrollzentrum beim DLR
in Oberpfaffenhofen und wurde finanziert vom DLR, der Deutschen Raumfahrtagentur
im DLR mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK)
und dem GFZ. Das JPL managte die Mission im Auftrag des NASA Science Mission
Directorate in Washington. Die GRACE-"Zwillinge" wurden von Airbus in
Friedrichshafen im Auftrag der NASA gebaut. Dort entstanden, wiederum
NASA-finanziert, auch die Nachfolger für die Mission GRACE-FO, die seit ihrem
Start am 22. Mai 2018 die Gravitationsmessungen fortsetzen.
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