Eine Million bislang unbekannte Galaxien
Redaktion
/ Pressemitteilung des Forschungszentrums Jülich astronews.com
1. März 2022
Sieben Jahre lang wurden mit dem Radioteleskopverbund
LOFAR-Radiosignale aus dem All gesammelt, jetzt liegt als Ergebnis eine neue
Himmelskarte vor. Sie gewährt einen einzigartigen Blick auf die Wunder unseres
Universums. 4,4 Millionen Galaxien wurden erstmals im Radiowellenbereich
sichtbar gemacht. Eine Million dieser Galaxien war zuvor vollkommen unbekannt.
Der Coma-Cluster ist 300 Millionen
Lichtjahre von der Erde entfernt und besteht aus
mehr als 1000 Galaxien, die hier im Radio- und
Infrarot-Bereich gezeigt sind. Die Radiodaten
machen die Strahlung von hochenergetischen
Teilchen sichtbar.
Bild: Annalisa Bonafede [Großansicht] |
Rund ein Viertel des nördlichen Himmels haben die Forschenden mithilfe des
europäischen Radioteleskops LOFAR in bislang unerreichter Auflösung kartiert und
der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die meisten Objekte in der neuen
Himmelskarte sind Milliarden Lichtjahre entfernt. In der Regel handelt es sich
um Galaxien, die in ihrem Zentrum massereiche Schwarze Löcher oder Gebiete sehr
starker Sternbildung beherbergen. Seltener sind auch Gruppen von kollidierenden
Galaxien darunter oder Objekte aus unserer Milchstraße, wie beispielsweise
Sterne mit Strahlungsausbrüchen, sogenannte Flare-Sterne, zu sehen. "Die Arbeit
an diesem Projekt ist so spannend. Jedes Mal, wenn wir eine Karte erstellen,
stoßen wir auf eine Fülle von neuen Entdeckungen und Objekten, die noch nie
zuvor ein menschliches Auge gesehen hat", erklärt Timothy Shimwell von der
niederländischen Forschungseinrichtung ASTRON und der Universität Leiden.
Welcher Reichtum an Informationen in diesem Datenschatz steckt, zeigt sich in
einer Reihe wissenschaftlicher Arbeiten, die in jüngster Zeit veröffentlicht
wurde. So erschien jetzt die bisher umfangreichste Studie über kollidierende
Galaxienhaufen – die größten Strukturen des Universums – mit Hunderten bis
Tausenden von Galaxien. Zu den wichtigsten gegenwärtigen Ergebnissen gehören
außerdem: Die Entdeckung merkwürdiger Signale von nahen Sternen, die
möglicherweise von umkreisenden Exoplaneten verursacht werden, die genaue
Vermessung eines extrem langsam rotierenden Pulsars, die derzeitige Theorien zur
Beschreibung solcher Objekte infrage stellt, die Beobachtung von "Quallengalaxien",
die auf ihrer Reise durch ein Medium Material verlieren, sowie von weiteren
Radiogalaxien in allen Formen, Größen und Altersklassen. Diese sind so
zahlreich, dass eigens ein Citizen-Science-Projekt ins Leben gerufen wurde, um
in diesem Galaxien-Zoo nach neuen Schwarzen Löchern zu fahnden.
Die aktuelle Karte umfasst gerade einmal 27 Prozent der Daten, die das
LOFAR-Projekt insgesamt erheben wird. Dennoch steckt dahinter ein riesiger
Datensatz. Für die Erstellung haben die Forschenden Aufnahmen von 3500
Beobachtungsstunden ausgewertet, die zusammen auf eine Größe von acht Petabyte
kommen. Damit könnte man die Festplatten von ungefähr 20.000 Laptops füllen. Ein
großer Teil davon, über 60 Prozent, stammt aus dem LOFAR-Langzeitarchiv am
Jülich Supercomputing Centre. Das Höchstleistungsrechenzentrum am
Forschungszentrum Jülich ist eines von drei Datenzentren im Projekt. Es
beherbergt etwa ein Drittel des LOFAR-Datenarchivs, das insgesamt rund 55
Petabyte umfasst.
"Diese enorme Menge an Daten, die das LOFAR-Teleskop generiert, lässt sich
nur mit der Hilfe von Hoch- und Höchstleistungscomputern sinnvoll verarbeiten,
die in ganz Europa stationiert sind. Eine große Herausforderung ist die
Kalibrierung der gemessenen Signale, für die wir unter anderem auf den Jülicher
Superrechner JUWELS zurückgreifen konnten, der von seiner Rechenkapazität her
der Leistung von 300.000 modernen PCs entspricht", erklärt Dr. Matthias Hoeft
von der Thüringer Landessternwarte Tautenburg. "Bei dieser wichtigen Aufgabe
geht es darum, in einem ersten Schritt störende Einflüsse auf die Signale
mittels hochmoderner Algorithmen aus den Messdaten zu bestimmen, gegebenenfalls
herauszufiltern und die tatsächliche Helligkeitsverteilung des Himmels für
wissenschaftliche Auswertungen zu rekonstruieren."
Die aufbereiteten Daten stehen Forschenden weltweit zur Verfügung. Für die
Zukunft werden zahlreiche weitere bedeutende Erkenntnisse erwartet. "Die
Verknüpfung mit Beobachtungen aus anderen Frequenzbereichen kann beispielsweise
neue Einblicke in die Eigenschaften der noch unverstandenen Dunklen Energie
liefern. Und sie ermöglicht neue Einsichten in die Entstehung von Galaxien und
noch größeren Strukturen im Universum", erklärt der Kosmologe Dominik Schwarz
von der Universität Bielefeld, der den deutschen Beitrag zu LOFAR koordiniert.
Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum
nutzen die LOFAR-Daten für ihre Arbeit, um die Evolution von Galaxien und
Zwerggalaxien mit extrem hohen Sternbildungsraten zu erforschen. "Die völlig
neuartige Technik des LOFAR-Radioteleskops eröffnet uns viele neue
Möglichkeiten, um energiereiche physikalische Prozesse in der Welt der Galaxien
zu untersuchen", sagt RUB-Forscher Ralf-Jürgen Dettmar.
Forschungsteams an den Universitäten in Hamburg und Bielefeld sowie an der
Sternwarte in Tautenburg untersuchen dagegen gigantische Radioquellen, um den
Ursprung von Magnetfeldern im Kosmos zu erforschen. "Eine Erkenntnis, die die
Daten bereits jetzt ergeben haben, ist, dass die Magnetfelder im Universum schon
recht früh zu ihrer jetzigen Stärke angewachsen sein müssen. Die Erklärung dafür
ist, dass chaotische Gasbewegungen die Magnetfelder schnell verstärken in einem
Prozess, den man Dynamo nennt", sagt Marcus Brüggen von der Hamburger
Sternwarte.
LOFAR, das Low Frequency Array, wird von der Forschungseinrichtung
ASTRON in den Niederlanden gesteuert und ist Vorreiter einer neuen Art von
Radioteleskop. Es besteht aus über 50 Empfängerstationen, die sich auf sieben
europäische Länder verteilen und die über schnelle Glasfaserleitungen mit
leistungsstarken Supercomputern verbunden sind. Die enorme Rechenleistung ist
nötig, um die Signale der vielen Tausend Einzelantennen zu kombinieren. So
ergibt sich eine virtuelle Empfangsschüssel mit einem Durchmesser von 1900
Kilometern, die in der Lage ist, sehr schwache und nahe beieinander liegende
Signale zu unterscheiden. In Deutschland gibt es sechs Messstationen, die von
verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen betrieben werden.
Die neue Datenveröffentlichung ist in der Fachzeitschrift Astronomy &
Astrophysics erschienen.
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