Bürgerforschende zählen Lichter der Nacht
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Helmholtz-Zentrums Potsdam - Deutsches
GeoForschungsZentrum GFZ astronews.com
25. August 2021
Dass der Nachthimmel nur an wenigen Orten noch wirklich
dunkel ist, zeigt nicht nur die eigene Erfahrung, sondern belegen auch
Satellitenaufnahmen. Doch welche Lichtquellen sind dafür genau verantwortlich?
Um darauf eine Antwort zu finden, sollen nun mit einer speziell entwickelten App die
Lichtquellen in ausgewählten Regionen erfasst werden - mit der Hilfe von
Freiwilligen.
Satellitenbilder zeigen: In vielen Regionen
der Erde wird es immer heller.
Bild: NASA Earth Observatory [Großansicht] |
In den letzten Jahren ist das öffentliche Bewusstsein für
"Lichtverschmutzung" und die gesundheitlichen und ökologischen Wirkungen von
künstlichem Licht gewachsen. Zugleich beleuchten wir immer heller. Das zeigen
Satelliten- und Luftaufnahmen der Erde bei Nacht. Was sie nicht zeigen ist,
welche Lichtquellen am Boden diese bis in den Orbit sichtbaren Lichtemissionen
verursachen. Um diese Datenlücke zu schließen, hat ein Team aus
Bürgerwissenschaftlerinnen und Bürgerwissenschaftlern und Forschenden des
Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ nun eine
"Nachtlichter"-App entwickelt. Mit der Web-Anwendung lassen sich künstliche
Lichtquellen am Boden erstmals systematisch erfassen und kartieren.
Im September und Oktober 2021 soll die App im Rahmen zahlreicher groß
angelegter bürgerwissenschaftlicher Messkampagnen zum Einsatz kommen.
Vorbereitungen für Nachtlichter-Kampagnen laufen in Bochum, Dresden, Erlangen,
Fulda, Würzburg, Potsdam und in der Gemeinde Preußisch-Oldendorf bei Detmold. Im
Ausland beteiligen sich Gruppen in Spanien, Irland, Kanada und Italien an dem
Bürgerwissenschaftsprojekt. Alle Interessierten sind eingeladen, sich am
Nachtlichter-Zählen zu beteiligen und so wissenschaftliche Daten zu generieren.
Maria Zschorn und Sicco Bauer vom Dresdner Kampagnen-Organisationsteam haben
die App bereits ausprobiert. "Das Schöne ist, dass sich das Zählen mit der App
ein bisschen wie ein Spiel anfühlt und gleichzeitig die Wissenschaft
voranbringt", so Zschorn, die an der TU Dresden zum Thema Lichtverschmutzung und
Landschaftsplanung promoviert. Bauer hat die App als Bürgerwissenschaftler seit
2019 ehrenamtlich mitentwickelt. "Das ist schon ein tolles Gefühl, jetzt nach
fast zwei Jahren gemeinsamer Arbeit die App das erste Mal zu benutzen", freut
sich der Ingenieur.
Die webbasierte App ermöglicht es, unterschiedlichste Lichtquellen auf
öffentlichen Straßen und Plätzen sowie ihre Helligkeit, Farbe und Abstrahlwinkel
zu erfassen – von der Straßenlaterne und Schaufensterbeleuchtung bis hin zu
Leuchtreklamen und Lichterketten. Ein solcher Datensatz existiert bislang noch
nicht. Lediglich Informationen über öffentliche Beleuchtung sind in Städten und
Kommunen verfügbar. Private Lichtquellen werden dagegen nicht systematisch
erfasst.
"Straßenbeleuchtung macht aber nur einen geringen Teil der Lichtemissionen
von Städten aus", erklärt Dr. Christopher Kyba vom GFZ. Der Physiker erforscht
seit Jahren das Ausmaß und die Zunahme von künstlicher Beleuchtung bei Nacht
mittels Fernerkundungsverfahren wie Luftbild- und Satellitenaufnahmen.
"Satellitendaten dokumentieren die Strahldichte, also wie hell verschiedene Orte
Licht ins Weltall abstrahlen," erklärt Kyba. "Sie geben uns aber keine Auskunft
darüber, was da genau am Boden leuchtet."
Also entwickelte Kyba eine App, die der Wissenschaft helfen soll zu
verstehen, welche Lichtquellen am Boden den Himmel besonders stark erhellen. Die
Daten können so auch eine wissenschaftliche Grundlage für eine Transformation zu
nachhaltigerer Beleuchtung bieten, so Kyba. Das bürgerwissenschaftliche
Engagement hat dabei auch interessante Nebeneffekte. "Schon bei der Entwicklung
der App haben wir festgestellt, dass das Nachtlichter-Zählen eine
bewusstseinserweiternde Wirkung auf uns hat. Viele von uns waren erstaunt, wie
viele verschiedene Lichter dort draußen in unterschiedlichen Farben und Formen
strahlen," berichtet Dr. Nona Schulte-Römer, die das Projekt am GFZ
sozialwissenschaftlich begleitet. "Unsere Messkampagnen in Dresden und anderen
Städten erlauben uns, mit Bürgerwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern
gemeinsam zu diskutieren, wo und wann sie künstliche Beleuchtung schätzen oder
auch darauf verzichten könnten."
Welche Lichtquellen die Nacht erhellen und zu welchem Zweck, wird zunehmend
als Nachhaltigkeitsfrage wahrgenommen, die über das Energiesparen hinausgeht.
"Außenbeleuchtung ist zu oft in ungünstigen Lichtfarben und Mengen schlecht
installiert. Statt nur dort hinzuleuchten, wo Licht gebraucht wird, strahlt das
Licht in alle Richtungen, blendet Menschen und stört den Tag-Nacht-Rhythmus von
Tier- und Pflanzenwelt im Umkreis mehrerer Kilometer", kritisiert Sabine Frank,
die Nachtschutzbeauftragte des Landkreises Fulda und des Biosphärenreservats
Rhön, die ebenfalls aktiv an der App-Entwicklung beteiligt war und Anfang
September eine Nachtlichter-Kampagne in der "Sternstadt" Fulda durchführen wird.
Im September und Oktober werden die Bürgerwissenschafts-Teams in ihren
Städten und Gemeinden nach Einbruch der Dunkelheit ausschwärmen und in
ausgewählten Gebieten alle Lichtquellen entlang vorab definierter Straßen
erfassen – mittels Nachtlichter-App und selbstverständlich datenschutzkonform.
Wer mitforschen möchte, ist jederzeit willkommen, muss aber eine kurzes online
App-Training absolvieren, um die Datenqualität zu gewährleisten.
Die Kampagnen in ganz Deutschland beginnen jeweils mit einer
Auftaktveranstaltung. Nähere Informationen darüber finden sich auf der
Projektwebsite. Wer mitforschen möchte, aber nicht in der Nähe einer
Nachtlichter-Kampagne wohnt, hat die Möglichkeit, mit der App eigene
Messabschnitte zu definieren - am besten in Absprache mit dem GFZ Team. Im
Anschluss an die Kampagnen wird das Team am GFZ die erhobenen Daten auswerten,
mit Satellitendaten der Messgebiete abgleichen und im Austausch mit dem
bürgerwissenschaftlichen Kernteam die Daten, Erkenntnisse und Erfahrungen der
Kampagnen allgemein zugänglich veröffentlichen.
Die App-Entwicklung und Kampagnen sind Teil des durch die
Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren geförderten Pilotprojekts
Nachtlicht BüHNE (Bürger-Helmholtz-Netzwerk für die Erforschung von nächtlichen
Lichtphänomenen). Im Rahmen des Bürgerwissenschaftsprojekt wurde außerdem eine
App zur Dokumentation von Feuerkugeln am Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum
DLR in Jena entwickelt.
|