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Mit den Spezialteleskopen des H.E.S.S.-Observatoriums in Namibia wurde die bislang energiereichste Strahlung von einem Gammablitz registriert und das längste Nachleuchten im Bereich der Gammastrahlung verfolgt. Die Beobachtungen geben dem Team allerdings neue Rätsel auf, scheinen sie doch der bislang favorisierten Theorie über diese Ereignisse zu widersprechen.
Die hellsten Explosionen des Universums sind möglicherweise stärkere Teilchenbeschleuniger als gedacht: Das zeigt eine außergewöhnlich detaillierte Beobachtung eines solchen kosmischen Gammastrahlungsblitzes. Mit den Spezialteleskopen des H.E.S.S.-Observatoriums in Namibia hat ein internationales Forschungsteam die bislang energiereichste Strahlung von einem Gammablitz registriert und das längste Nachleuchten im Bereich der Gammastrahlung verfolgt. Die Auswertung der Daten legt nahe, dass Röntgen- und Gammastrahlung dieser gewaltigen Sternexplosionen dieselbe Ursache haben und nicht wie bislang angenommen durch getrennte Prozesse entstehen. "Gammablitze sind helle Ausbrüche von Röntgen- und Gammastrahlung am Himmel, die von Quellen außerhalb unserer eigenen Galaxie stammen", erläutert DESY-Forscherin Sylvia Zhu, eine der Autorinnen der jetzt vorgestellten Studie. "Sie sind die größten Explosionen im Universum und stehen im Zusammenhang mit dem Kollaps eines schnell rotierenden, massereichen Sterns zu einem Schwarzen Loch." Ein Teil der dabei freigesetzten Gravitationsenergie treibt eine extrem schnelle, ultrarelativistische Stoßwelle an. Darin werden subatomare Teilchen wie Elektronen beschleunigt, die wiederum Gammastrahlung erzeugen können. Gammablitze (englisch Gamma Ray Bursts, abgekürzt GRB) teilen sich in zwei Phasen: eine kurze und chaotische Ausbruchsphase, die einige Dutzend Sekunden dauert, und ein langes, langsam verblassendes Nachglühen. Am 29. August 2019 registrierten die beiden Satelliten Fermi und Swift der US-Raumfahrtbehörde NASA einen Gammablitz im südlichen Sternbild Eridanus. Das Ereignis wurde nach dem Datum als GRB 190829A katalogisiert. Mit einer Entfernung von rund einer Milliarde Lichtjahren stellte es sich als einer der nächsten Gammablitze heraus, die bislang beobachtet worden sind. Zum Vergleich: Der typische Gammablitz ist rund 20 Milliarden Lichtjahre entfernt.
"Wir haben diesen Gammablitz wirklich von der ersten Reihe aus gesehen", sagt DESY-Forscher Andrew Taylor. Das Team registrierte das Nachleuchten, sobald es in das Gesichtsfeld der H.E.S.S.-Teleskope kam. "Wir konnten das Nachglühen für mehrere Tage und bei bislang beispiellosen Energien verfolgen", berichtet Taylor. Die vergleichsweise geringe Distanz des Gammablitzes ermöglichte detaillierte Messungen des Hochenergie-Spektrums seines Nachglühens, also der "Farb-" beziehungsweise Energieverteilung der Röntgen- und Gammaphotonen. "Wir konnten das Spektrum von GRB 190829A bis zu einer Energie von 3,3 Tera-Elektronenvolt vermessen, das ist rund eine Billion Mal energiereicher als sichtbares Licht", sagt Edna Ruiz-Velasco vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg. "Das macht diesen Gammablitz so außergewöhnlich – er hat sich in unserer direkten kosmischen Nachbarschaft ereignet, so dass seine sehr energiereichen Photonen nicht durch Kollisionen mit Hintergrundlicht absorbiert worden sind, wie es über längere Distanzen im Kosmos geschieht." Bei sehr hohen Energien wird das Universum durch diesen Prozess über große Entfernungen zunehmend undurchsichtig. H.E.S.S. verfolgte das Nachglühen des Gammablitzes bis zum dritten Tag nach der ursprünglichen Explosion. "Unsere Beobachtungen enthüllen eine verblüffende Ähnlichkeit der Röntgenkomponente und der sehr energiereichen Gammastrahlung im Nachleuchten", berichtet Zhu. Das ist überraschend, denn die allgemein akzeptierte Theorie geht davon aus, dass diese beiden Strahlungskomponenten durch unterschiedliche Mechanismen produziert werden müssen: Die Röntgenstrahlung stammt demnach von stark beschleunigten Elektronen, die von den starken Magnetfeldern im Umfeld der Explosion abgelenkt werden. Über diesen "Synchrotron-Prozess" produzieren auch irdische Teilchenbeschleuniger intensive Röntgenstrahlung für wissenschaftliche Untersuchungen. Für die Produktion sehr energiereicher Gammastrahlung kommt der Synchrotron-Prozess nach gängigen Theorien jedoch zunächst nicht infrage. Schuld ist eine sogenannte Burn-off-Grenze, die durch das Verhältnis von Beschleunigung und Abkühlung der Teilchen in einem Beschleuniger bestimmt wird. Für die Produktion von Gammastrahlung sind Elektronen mit Energien deutlich oberhalb der Burn-Off-Grenze erforderlich, die selbst die stärksten Explosionen im Weltall eigentlich nicht produzieren können. Stattdessen geht die Theorie davon aus, dass die schnellen Elektronen mit den bereits energiereichen Synchrotron-Photonen zusammenstoßen und sie dabei auf Gamma-Energien anheben. Dieser komplizierte Prozess heißt Synchrotron-Self-Compton (SSC). Die Beobachtungen des Nachleuchtens von GRB 190829A zeigen jedoch, dass beide Komponenten – also Röntgen- und Gammastrahlung – synchron verblasst sind. Außerdem passt das Gammastrahlen-Spektrum gut zu einer Verlängerung des Röntgenspektrums. Zusammengenommen sind diese Eigenschaften ein starkes Indiz dafür, dass beide Strahlungskomponenten vom selben Prozess erzeugt worden sind. "So bemerkenswert ähnliche spektrale und zeitliche Eigenschaften der Röntgen- und der sehr energiereichen Gammastrahlung zu beobachten, würden wir bei getrennten Ursprüngen dieser Strahlungskomponenten nicht erwarten", erläutert Dmitry Khangulyan von der Rikkyo-Universität in Tokio. Dies stellt den SSC-Prozess als Ursprung der Gammastrahlung infrage. Ob die Theorie der Gammablitze geändert werden muss, lässt sich nur durch weitere Beobachtungen der sehr energiereichen Komponente ihres Nachglühens klären. GRB 190829A ist allerdings erst der vierte Gammablitz, der sich bei diesen hohen Energien nachweisen ließ. Die zuvor entdeckten Gammablitze stammten jedoch aus sehr viel größerer Entfernung, und ihr Nachglühen ließ sich jeweils nur für wenige Stunden und nicht bei Energien oberhalb von einem Tera-Elektronenvolt (TeV) beobachten. "Die Instrumente der nächsten Generation wie das Cherenkov Telescope Array, das derzeit in den chilenischen Anden und auf der Kanareninsel La Palma aufgebaut wird, haben jedoch vielversprechende Aussichten, solche Gammablitze regelmäßig zu verfolgen", sagt H.E.S.S.-Sprecher Stefan Wagner von der Landessternwarte Heidelberg. "Angesichts der allgemeinen Häufigkeit von Gammablitzen im Kosmos dürften uns solche regelmäßigen Nachweise im sehr energiereichen Band sehr helfen, die Physik dieser kolossalen kosmischen Explosionen besser zu verstehen." H.E.S.S. ist ein System von fünf sogenannten abbildenden Cherenkov-Teleskopen für die Untersuchung kosmischer Gammastrahlung. Der Name steht für High-Energy Stereoscopic System (Stereoskopisches System zur Beobachtung hochenergetischer Strahlung) und zollt auch dem Entdecker der Kosmischen Strahlung Ehre, Victor Franz Hess, der 1936 für seine Leistung den Physik-Nobelpreis bekam. H.E.S.S. steht in Namibia in der Gamsberg-Region, die für ihre exzellenten Beobachtungsbedingungen bekannt ist. Vier der fünf H.E.S.S.-Teleskope gingen 2003 in Betrieb, das fünfte, deutlich größere Teleskop arbeitet seit Juli 2012. Über ihre Beobachtungen berichtet das Team in einem Fachartikel der jetzt in der Zeitschrift Science erschienen ist.
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