Naher Gammablitz gibt neue Rätsel auf
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des DESY astronews.com
4. Juni 2021
Mit den Spezialteleskopen des H.E.S.S.-Observatoriums in
Namibia wurde die bislang energiereichste Strahlung von einem Gammablitz
registriert und das längste Nachleuchten im Bereich der Gammastrahlung verfolgt.
Die Beobachtungen geben dem Team allerdings neue Rätsel auf, scheinen sie doch der
bislang favorisierten Theorie über diese Ereignisse zu widersprechen.

Künstlerische Darstellung der energiereichen
Gamma-Photonen vom Gammablitz (oben rechts), die
in der Erdatmosphäre Luftschauer auslösen, welche
wiederum mit den H.E.S.S.-Teleskopen
aufgezeichnet wurden.
Bild: DESY, Science Communication Lab [Großansicht] |
Die hellsten Explosionen des Universums sind möglicherweise stärkere
Teilchenbeschleuniger als gedacht: Das zeigt eine außergewöhnlich detaillierte
Beobachtung eines solchen kosmischen Gammastrahlungsblitzes. Mit den
Spezialteleskopen des H.E.S.S.-Observatoriums in Namibia hat ein internationales
Forschungsteam die bislang energiereichste Strahlung von einem Gammablitz
registriert und das längste Nachleuchten im Bereich der Gammastrahlung verfolgt.
Die Auswertung der Daten legt nahe, dass Röntgen- und Gammastrahlung dieser
gewaltigen Sternexplosionen dieselbe Ursache haben und nicht wie bislang
angenommen durch getrennte Prozesse entstehen.
"Gammablitze sind helle Ausbrüche von Röntgen- und Gammastrahlung am Himmel,
die von Quellen außerhalb unserer eigenen Galaxie stammen", erläutert
DESY-Forscherin Sylvia Zhu, eine der Autorinnen der jetzt vorgestellten Studie.
"Sie sind die größten Explosionen im Universum und stehen im Zusammenhang mit
dem Kollaps eines schnell rotierenden, massereichen Sterns zu einem Schwarzen
Loch."
Ein Teil der dabei freigesetzten Gravitationsenergie treibt eine extrem
schnelle, ultrarelativistische Stoßwelle an. Darin werden subatomare Teilchen
wie Elektronen beschleunigt, die wiederum Gammastrahlung erzeugen können.
Gammablitze (englisch Gamma Ray Bursts, abgekürzt GRB) teilen sich in zwei
Phasen: eine kurze und chaotische Ausbruchsphase, die einige Dutzend Sekunden
dauert, und ein langes, langsam verblassendes Nachglühen. Am 29. August 2019
registrierten die beiden Satelliten Fermi und Swift der
US-Raumfahrtbehörde NASA einen Gammablitz im südlichen Sternbild Eridanus. Das
Ereignis wurde nach dem Datum als GRB 190829A katalogisiert. Mit einer
Entfernung von rund einer Milliarde Lichtjahren stellte es sich als einer der
nächsten Gammablitze heraus, die bislang beobachtet worden sind. Zum Vergleich:
Der typische Gammablitz ist rund 20 Milliarden Lichtjahre entfernt.
"Wir haben diesen Gammablitz wirklich von der ersten Reihe aus gesehen", sagt
DESY-Forscher Andrew Taylor. Das Team registrierte das Nachleuchten, sobald es
in das Gesichtsfeld der H.E.S.S.-Teleskope kam. "Wir konnten das Nachglühen für
mehrere Tage und bei bislang beispiellosen Energien verfolgen", berichtet
Taylor. Die vergleichsweise geringe Distanz des Gammablitzes ermöglichte
detaillierte Messungen des Hochenergie-Spektrums seines Nachglühens, also der
"Farb-" beziehungsweise Energieverteilung der Röntgen- und Gammaphotonen.
"Wir konnten das Spektrum von GRB 190829A bis zu einer Energie von 3,3 Tera-Elektronenvolt
vermessen, das ist rund eine Billion Mal energiereicher als sichtbares Licht",
sagt Edna Ruiz-Velasco vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg.
"Das macht diesen Gammablitz so außergewöhnlich – er hat sich in unserer
direkten kosmischen Nachbarschaft ereignet, so dass seine sehr energiereichen
Photonen nicht durch Kollisionen mit Hintergrundlicht absorbiert worden sind,
wie es über längere Distanzen im Kosmos geschieht."
Bei sehr hohen Energien wird das Universum durch diesen Prozess über große
Entfernungen zunehmend undurchsichtig. H.E.S.S. verfolgte das Nachglühen des
Gammablitzes bis zum dritten Tag nach der ursprünglichen Explosion. "Unsere
Beobachtungen enthüllen eine verblüffende Ähnlichkeit der Röntgenkomponente und
der sehr energiereichen Gammastrahlung im Nachleuchten", berichtet Zhu.
Das ist überraschend, denn die allgemein akzeptierte Theorie geht davon aus,
dass diese beiden Strahlungskomponenten durch unterschiedliche Mechanismen
produziert werden müssen: Die Röntgenstrahlung stammt demnach von stark
beschleunigten Elektronen, die von den starken Magnetfeldern im Umfeld der
Explosion abgelenkt werden. Über diesen "Synchrotron-Prozess" produzieren auch
irdische Teilchenbeschleuniger intensive Röntgenstrahlung für wissenschaftliche
Untersuchungen.
Für die Produktion sehr energiereicher Gammastrahlung kommt der
Synchrotron-Prozess nach gängigen Theorien jedoch zunächst nicht infrage. Schuld
ist eine sogenannte Burn-off-Grenze, die durch das Verhältnis von Beschleunigung
und Abkühlung der Teilchen in einem Beschleuniger bestimmt wird. Für die
Produktion von Gammastrahlung sind Elektronen mit Energien deutlich oberhalb der
Burn-Off-Grenze erforderlich, die selbst die stärksten Explosionen im Weltall
eigentlich nicht produzieren können.
Stattdessen geht die Theorie davon aus, dass die schnellen Elektronen mit den
bereits energiereichen Synchrotron-Photonen zusammenstoßen und sie dabei auf
Gamma-Energien anheben. Dieser komplizierte Prozess heißt Synchrotron-Self-Compton
(SSC). Die Beobachtungen des Nachleuchtens von GRB 190829A zeigen jedoch, dass
beide Komponenten – also Röntgen- und Gammastrahlung – synchron verblasst sind.
Außerdem passt das Gammastrahlen-Spektrum gut zu einer Verlängerung des
Röntgenspektrums. Zusammengenommen sind diese Eigenschaften ein starkes Indiz
dafür, dass beide Strahlungskomponenten vom selben Prozess erzeugt worden sind.
"So bemerkenswert ähnliche spektrale und zeitliche Eigenschaften der Röntgen-
und der sehr energiereichen Gammastrahlung zu beobachten, würden wir bei
getrennten Ursprüngen dieser Strahlungskomponenten nicht erwarten", erläutert
Dmitry Khangulyan von der Rikkyo-Universität in Tokio. Dies stellt den
SSC-Prozess als Ursprung der Gammastrahlung infrage.
Ob die Theorie der Gammablitze geändert werden muss, lässt sich nur durch
weitere Beobachtungen der sehr energiereichen Komponente ihres Nachglühens
klären. GRB 190829A ist allerdings erst der vierte Gammablitz, der sich bei
diesen hohen Energien nachweisen ließ. Die zuvor entdeckten Gammablitze stammten
jedoch aus sehr viel größerer Entfernung, und ihr Nachglühen ließ sich jeweils
nur für wenige Stunden und nicht bei Energien oberhalb von einem Tera-Elektronenvolt
(TeV) beobachten.
"Die Instrumente der nächsten Generation wie das Cherenkov Telescope
Array, das derzeit in den chilenischen Anden und auf der Kanareninsel La
Palma aufgebaut wird, haben jedoch vielversprechende Aussichten, solche
Gammablitze regelmäßig zu verfolgen", sagt H.E.S.S.-Sprecher Stefan Wagner von
der Landessternwarte Heidelberg. "Angesichts der allgemeinen Häufigkeit von
Gammablitzen im Kosmos dürften uns solche regelmäßigen Nachweise im sehr
energiereichen Band sehr helfen, die Physik dieser kolossalen kosmischen
Explosionen besser zu verstehen."
H.E.S.S. ist ein System von fünf sogenannten abbildenden
Cherenkov-Teleskopen für die Untersuchung kosmischer Gammastrahlung. Der Name
steht für High-Energy Stereoscopic System (Stereoskopisches System zur
Beobachtung hochenergetischer Strahlung) und zollt auch dem Entdecker der
Kosmischen Strahlung Ehre, Victor Franz Hess, der 1936 für seine Leistung den
Physik-Nobelpreis bekam. H.E.S.S. steht in Namibia in der Gamsberg-Region, die
für ihre exzellenten Beobachtungsbedingungen bekannt ist. Vier der fünf
H.E.S.S.-Teleskope gingen 2003 in Betrieb, das fünfte, deutlich größere
Teleskop arbeitet seit Juli 2012.
Über ihre Beobachtungen berichtet das Team in einem Fachartikel der jetzt in
der Zeitschrift Science erschienen ist.
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