Gammastrahlenblitze von der Erde aus beobachtet
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY astronews.com
21. November 2019
Die stärksten Explosionen des Universums strahlen noch
energiereicher als bislang bekannt: Zwei internationale Teams haben mit
Spezialteleskopen die energiereichsten Gammastrahlen von sogenannten Gamma-Ray
Bursts registriert, die jemals gemessen worden sind. Es handelt sich um die
ersten Nachweise von Gamma-Ray Bursts mit erdgebundenen Gammastrahlenteleskopen.

Tscherenkowteleskope beobachten das bläuliche
Leuchten überlichtschneller Partikel, die
kosmische Gammaquanten in der Erdatmosphäre
erzeugen. Bild:
DESY, Science Communication Lab [Großansicht] |
Gamma-Ray Bursts (GRBs) sind plötzliche, kurze Ausbrüche von Gammastrahlung
im Kosmos, die sich etwa einmal pro Tag irgendwo im sichtbaren Universum
ereignen. Die Gammablitze stammen nach aktuellem Wissen von kollidierenden
Neutronensternen oder aus Supernova-Explosionen von Riesensonnen, die zu einem
Schwarzen Loch kollabieren.
"Gammablitze sind die stärksten bekannten Explosionen im Universum und setzen
typischerweise in wenigen Sekunden mehr Energie frei als unsere Sonne in ihrer
gesamten Lebensdauer – sie können durch nahezu das gesamte sichtbare Universum
leuchten", sagt David Berge, Leiter der Gammastrahlenastronomie bei DESY.
Entdeckt wurde das kosmische Phänomen Ende der 1960er Jahre zufällig von
Satelliten zur Überwachung des Atomteststopp-Abkommens auf der Erde. Seitdem
untersuchen Astronomen die Gammastrahlenausbrüche mit Satelliten vom Erdorbit
aus.
Mit erdgebundenen Teleskopen ließen sich die Gammaquanten der Blitze bislang
nicht beobachten, weil die Erdatmosphäre sie normalerweise schluckt. Astronomen
haben Spezialteleskope entwickelt, die das schwache, bläuliche Tscherenkow-Licht
registrieren, das kosmische Gammastrahlung in der Erdatmosphäre erzeugt. Diese
Instrumente können jedoch nur sehr energiereiche Gamma-Photonen nachweisen, die
Helligkeit von Gamma-Ray Bursts fällt aber mit steigender Energie steil ab.
Tscherenkowteleskope haben zwar zahlreiche Quellen kosmischer Gammastrahlung
bei sehr hohen Energien identifiziert, ein Gamma-Ray Burst war bislang jedoch
nicht darunter. Satelliten dagegen sehen zwar regelmäßig Gammablitze, haben aber
viel zu kleine Detektorflächen, um für die sehr geringe Helligkeit der
Gammastrahlenausbrüche bei sehr hohen Energien empfindlich zu sein. Daher war es
bislang unklar, ob die Monster-Explosionen auch noch Gammastrahlung bei sehr
hohen Energien aussenden. Forscher haben seit vielen Jahren versucht,
Gammablitze mit Tscherenkowteleskopen zu erwischen.
Zwischen Sommer 2018 und Januar 2019 haben nun gleich zwei internationale
Teams, beide mit DESY-Beteiligung, erstmals Gammastrahlung von Gamma-Ray Bursts
mit erdgebundenen Teleskopen nachgewiesen. Am 20. Juli 2018 konnte das
28-Meter-Gammastrahlenteleskop des High-Energy Stereoscopic System
(H.E.S.S.) in Namibia das schwache Nachleuchten des Gammastrahlenausbruchs mit
der Katalognummer GRB 180720B beobachten. Am 14. Januar 2019 registrierten dann
die Major Atmospheric Gamma Imaging Cherenkov (MAGIC) Teleskope auf der
Kanareninsel La Palma helle Gammastrahlung aus der frühen Phase von GRB 190114C.
Beide Beobachtungen waren durch Gammastrahlen-Satelliten der
US-Raumfahrtbehörde NASA ausgelöst worden, die den Himmel nach Gammablitzen
absuchen und automatische Benachrichtigungen an Observatorien wie H.E.S.S. und
MAGIC verschicken. "Wir konnten so schnell auf die Herkunftsregion schwenken,
dass wir nur 57 Sekunden nach dem ursprünglichen Nachweis der Explosion mit der
Beobachtung beginnen konnten", berichtet DESY-Forscher Cosimo Nigro, der zu
dieser Zeit die Beobachtungsschicht leitete. "In den ersten 20 Minuten der
Beobachtung haben wir rund tausend Photonen von GRB 190114C registriert."
MAGIC beobachtete Gammaquanten mit Energien zwischen 200 und 1000 Milliarden
Elektronenvolt (0,2 bis 1 Tera-Elektronenvolt). "Dies sind bei weitem die
höchstenergetischen Photonen, die jemals von einem Gamma-Ray Burst entdeckt
worden sind", sagt die Leiterin der MAGIC-Gruppe bei DESY, Elisa Bernardini. Zum
Vergleich: Sichtbares Licht liegt im Energiebereich von etwa 1 bis 3
Elektronenvolt.
Die frühe Entdeckung ermöglichte, die weltweite Astronomengemeinde schnell zu
informieren. Daraufhin haben mehr als 20 andere Teleskope in zahlreichen
Wellenlängenbereichen einen genaueren Blick auf das Objekt geworfen. So ließen
sich Details der physikalischen Mechanismen entschlüsseln, die für die Strahlung
der höchsten Energien verantwortlich sind. Die Nachbeobachtungen bestimmten auch
die Entfernung von GRB 190114C zu mehr als vier Milliarden Lichtjahren. Sein
Licht war also mehr als vier Milliarden Jahre zu uns unterwegs und damit rund
ein Drittel des Alters des Universums.
GRB 180720B war mit einer Distanz von sechs Milliarden Lichtjahren noch
weiter entfernt. Dennoch ließ sich seine Gammastrahlung im Bereich von 100 bis
440 Milliarden Elektronenvolt auch lange nach dem ursprünglichen Blitz
nachweisen. "Überraschenderweise konnte das H.E.S.S.-Teleskop noch zehn Stunden
nach der ersten Satellitenbeobachtung der Explosion einen Überschuss von 119
Gammaquanten aus der Richtung des Ausbruchs registrieren", sagt der Leiter der
H.E.S.S.-Gruppe bei DESY, Stefan Ohm.
"Der Nachweis kam recht unerwartet, da Gammastrahlenausbrüche schnell an
Helligkeit verlieren. Sie besitzen zwar ein Nachglühen, das noch Stunden oder
manchmal sogar Tage in vielen Wellenlängenbereichen von Radiowellen bis zur
Röntgenstrahlung beobachtet werden kann, aber nie zuvor in der sehr
energiereichen Gammastrahlung nachgewiesen wurde", erläutert DESY-Theoretiker
Andrew Taylor, der an der H.E.S.S.-Analyse beteiligt war. "Dieser Erfolg ist
auch einer verbesserten Nachbeobachtungsstrategie zu verdanken, bei der wir uns
auch auf spätere Zeiten nach dem eigentlichen Sternkollaps konzentrieren."
Der Nachweis von Gammastrahlenausbrüchen bei sehr hohen Energien liefert
wichtige neue Einblicke in die gigantischen Explosionen. "Indem wir festgestellt
haben, dass Gamma-Ray Bursts Photonen mit Energien produzieren, die
hundertmilliardenfach höher sind als sichtbares Licht, wissen wir jetzt auch,
dass sie in der Lage sind, Partikel innerhalb der Explosionswolke hocheffizient
zu beschleunigen", sagt DESY-Forscherin Konstancja Satalecka, eine der
MAGIC-Koordinatorinnen für die Suche nach Gammastrahlenausbrüchen. "Außerdem
stellt sich heraus, dass uns bisher etwa die Hälfte ihres Energiebudgets
entgangen ist. Denn unsere Messungen zeigen, dass die im Bereich der sehr
energiereichen Gammastrahlung freigesetzte Energie vergleichbar ist mit der
Energie, die bei allen anderen Wellenlängen zusammen abgestrahlt wird. Das ist
bemerkenswert!"
Die Erzeugung dieser sehr energiereichen Gammastrahlung physikalisch zu
erklären, ist eine Herausforderung. Beide Teams gehen von einem zweistufigen
Prozess aus: Zunächst werden schnelle elektrisch geladene Teilchen in den
starken Magnetfeldern der Explosionswolke abgelenkt und senden dabei sogenannte
Synchrotronstrahlung aus, wie sie sich durch den gleichen Prozess auch in
irdischen Teilchenbeschleunigern – etwa bei DESY – erzeugen lässt. Allerdings
kann diese Synchrotronstrahlung nur unter Extrembedingungen die beobachteten
sehr hohen Energien erreichen.
Stattdessen nehmen die Forscherinnen und Forscher an, dass diese Photonen in
einem zweiten Schritt wiederum mit den schnellen elektrisch geladenen Teilchen
zusammenstoßen und dadurch auf die beobachtete sehr hohe Energie gebracht
werden. Diesen zweiten Schritt nennen Wissenschaftler inverse Compton-Streuung.
"Die beiden Instrumente haben zum ersten Mal Gammastrahlung von Gamma-Ray Bursts
vom Erdboden aus gemessen", fasst Berge zusammen. „Diese beiden bahnbrechenden
Beobachtungen haben Gamma-Ray Bursts als Quellen für erdgebundene
Gammstrahlenteleskope etabliert. Das hat das Potenzial, unser Verständnis dieser
gewaltigen Phänomene deutlich voranzubringen."
Die Forscher schätzen, dass sich mit dem Gammastrahlen-Observatorium der
nächsten Generation, dem geplanten Cherenkov Telescope Array (CTA), bis
zu zehn solche Ereignisse pro Jahr beobachten lassen werden. Das CTA wird aus
mehr als 100 Einzelteleskopen bestehen, die an je einem Standort auf der Nord-
und der Südhalbkugel aufgebaut werden. DESY ist an dem Observatorium maßgeblich
beteiligt und unter anderem für die Konstruktion der mittelgroßen CTA-Teleskope
verantwortlich. Außerdem wird das wissenschaftliche CTA-Datenzentrum am
DESY-Standort Zeuthen gebaut. CTA soll voraussichtlich 2023 mit den ersten
Beobachtungen beginnen.
Über die Beobachtungen berichten die Teams in mehreren Fachartikeln, die in
der Zeitschrift Nature erschienen sind.
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