Neues Institut erforscht Weltraumwetter
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
25. Mai 2021
Am Standort Neustrelitz des Deutschen Zentrums für Luft- und
Raumfahrt hat gestern ein neues Institut seine Arbeit aufgenommen: das Institut
für Solar-Terrestrische Physik. Bis zu 80 Mitarbeitende sollen hier das
Weltraumwetter beobachten und daran forschen, die Wechselwirkungen besser
verstehen und vorhersagen zu können.
Am DLR-Standort Neustrelitz soll künftig
noch intensiver das Weltraumwetter erforscht
werden.
Foto: DLR
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An Polarlichtern ist sie besonders leicht zu erkennen: die Teilchenstrahlung
der Sonne. Doch die Plasma-Ausbrüche der Sonne lassen nicht nur das
Naturschauspiel in den Polarregionen entstehen. Sie können auch Satelliten
empfindlich stören. Im Extremfall beeinträchtigt das sogenannte Weltraumwetter
sogar die Infrastruktur auf der Erde. Das neue Institut für Solar-Terrestrische
Physik im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) soll das
Weltraumwetter beobachten und daran forschen, die Wechselwirkungen besser
verstehen und vorhersagen zu können. Das DLR-Institut in Neustrelitz in
Mecklenburg-Vorpommern wurde am 26. Mai 2021 eröffnet.
"Unsere hochtechnisierte Gesellschaft hat ein hohes Schutzbedürfnis. Deshalb
muss Vorsorge getroffen werden, um nachteilige Effekte des Weltraumwetters auf
unsere Infrastruktur am Boden, in der Luft und im Erdorbit zu vermeiden", betont
Prof. Anke Kaysser-Pyzalla, die Vorstandsvorsitzende des DLR. "Mit der Gründung
unseres neuen Institutes in Mecklenburg-Vorpommern möchten wir einen Beitrag
leisten zum Aufbau eines nationalen Weltraumwetter-Dienstes." Das DLR-Institut
für Solar-Terrestrische Physik betreibt sowohl Grundlagenforschung als auch
angewandte Forschung. Ziel ist, die technologischen Infrastrukturen im All und
auf der Erde vor Schäden durch das Weltraumwetter zu schützen. Dazu wird ein
Weltraumwetter-Service aufgebaut.
Das neue Institut befindet sich am schon seit 1992 bestehenden DLR-Standort
in Neustrelitz. Der Fokus liegt hier auf den Themen Satellitendatenempfang,
Satellitenfernerkundung, Navigation, maritimer Verkehr und maritime Sicherheit
sowie Weltraumwetter. Das Institut für Solar-Terrestrische Physik hat aktuell
etwa 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, langfristig sollen es bis zu 80
werden. "Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt ist nicht nur für
Mecklenburg-Vorpommern, sondern deutschlandweit ein Leuchtturm in der
Spitzenforschung", sagt Wissenschaftsministerin Bettina Martin. "Mit dem neuen
Institut für Solar-Terrestrische Physik wird der Wissenschaftsstandort
Mecklenburg-Vorpommern weiter enorm aufgewertet. Das Land unterstützt diesen
wichtigen Schritt mit rund zehn Millionen Euro und wird sich künftig mit rund
670.000 Euro pro Jahr an den Sach- und Betriebskosten beteiligen."
Die Strahlungs- und Plasma-Ausbrüche der Sonne, die auch Sonnenstürme genannt
werden, haben unterschiedliche Intensität und Häufigkeit. Grundsätzlich bietet
das Erdmagnetfeld einen Schutz vor Sonnenstürmen. Bestimmte Sonnenaktivitäten
jedoch, wie sogenannte solare Flares oder ein koronaler Massenauswurf,
schleudern elektromagnetische Strahlen oder ein riesiges Ensemble ionisierter
Teilchen in den Orbit. Sie überwinden den Schutzschild der Erde.
"Weltraumwetter und seine Folgen sind nicht nur auf den Weltraum beschränkt.
Je nach Intensität kann es auch zu Störungen in der Stromversorgung oder im
Funkverkehr auf der Erde führen", sagt Thomas Jarzombek, Koordinator der
Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt. "Wir sind uns dieses möglichen
wirtschaftlichen Schadens bewusst, der durch Weltraumwetter ausgelöst werden
kann und wir nehmen diese Gefährdung ernst. Daher freue ich mich sehr über das
neu gegründete Institut am Standort Neustrelitz und den enormen
wissenschaftlichen Beitrag zum Schutz der Bevölkerung, der dort geleistet wird."
In unserer hochtechnisierten Zeit führt ein ausgeprägter Sonnensturm zu hohen
wirtschaftlichen Schäden und Satellitenausfällen. Elektrische Versorgungsnetze
können zusammenbrechen. Außerdem werden die Bordelektronik und die Navigation
von Flugzeugen, Schiffen und Autos gefährlich gestört. Darüber hinaus behindert
ein Sonnensturm die Übertragung von Fernseh-, Radio- und Handysignalen. Bei
einer ausreichenden Vorwarnzeit sind rechtzeitig Gegenmaßnahmen möglich. Schon
jetzt werden Satelliten zeitweise ausgeschaltet. Passagierflugzeuge, die bei
Sonnenstürmen die Polregionen überfliegen, wechseln in tiefere Bereiche der
Atmosphäre oder ändern den Kurs.
Im Mittelpunkt der Forschung des neuen DLR-Instituts für Solar-Terrestrische
Physik steht das Ionosphären-Thermosphären-Magnetosphären-System. Dabei handelt
es sich um Atmosphärenbereiche der Erde mit besonderen Eigenschaften und
Wechselwirkungen, die von den Sonnenstürmen beeinflusst sind. Ein besseres
Verständnis der komplizierten Zusammenhänge sorgt dafür, dass die negativen
Folgen des Weltraumwetters vorhergesagt und vermieden werden können.
Die Erforschung der Ionosphäre hat in Neustrelitz eine lange Tradition: Seit
1913 gibt es hier empfangsbereite Antennen, zuerst für die Versuchsfunkstelle
des Kaiserlichen Telegraphenversuchsamts. Das Signal reichte bis zu 100
Kilometer hoch, also gerade bis in die Ionosphäre. Das Gas dort lädt sich wegen
der Sonnenstrahlung elektrisch auf - es wird ionisiert. Für Funkwellen wirkt die
Ionosphäre als eine Art Spiegel.
Die Auswirkungen der Sonnenaktivität auf die Erde sind bereits länger
bekannt: Im Jahr 1859 beobachtete der englische Astronom Richard Christopher
Carrington erstmals nachweislich eine riesige Explosion auf der Sonne. 20
Stunden später wurde auf der Erde ein magnetischer Sturm registriert. Ursache
war das in Richtung Erde geschleuderte Sonnenplasma. Der Sonnensturm
beeinflusste die Ausrichtung von Kompassnadeln. Es gab Schäden an Stromleitungen
sowie am Telegraphensystem. Polarlichter waren sogar auf Kuba zu sehen.
In der Neuzeit ist die Infrastruktur noch empfindlicher geworden: 1989 fiel
im kanadischen Québec für neun Stunden die Energieversorgung aus. Verursacht
durch einen heftigen Sonnensturm gab es starke elektromagnetische Induktionen in
Überlandleitungen, was zu Ausfällen und teilweisen Zerstörungen von
Transformatoren führte.
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