Notfallplan für extreme Weltraumwetterlagen
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
12. Mai 2015
Für das sogenannte Weltraumwetter interessieren sich auf der
Erde nur wenige, obwohl es erheblichen Einfluss auf unser tägliches Leben haben
kann: So können Eruptionen auf der Sonne für Ausfälle und Störungen bei Satelliten
oder für
eine höhere Strahlenbelastung für Flugpassagiere sorgen. In Neustrelitz
diskutieren Experten daher gerade über einen Notfallplan für extreme
Weltraumwetterlagen.

Die Antenne am DLR-Standort Neustrelitz
empfängt Weltraumwetter-Daten des Satelliten
DSCOVR. Foto:
DLR [Großansicht] |
Unsere hochtechnisierte Gesellschaft hängt mehr und mehr von Systemen ab, die
durch das "Wetter" im Weltraum beeinflusst werden können. Als komplexes
Wechselspiel zwischen Vorgängen auf der Sonne, im interplanetaren Raum sowie in
der Erdmagnetosphäre, -ionosphäre und -atmosphäre birgt das Weltraumwetter ein
Gefahrenpotential für viele Anwendungen.
Zum Beispiel kann die Bordelektronik von TV-oder Mobilfunk-Satelliten durch
energiereiche Partikelstrahlung zerstört werden, wodurch die Übertragung der
Datenströme unterbrochen wird. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des
Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) diskutieren in diesen Tagen
während des 4. Nationalen Weltraumwetter-Workshops mit Experten aus Industrie,
staatlichen Einrichtungen und Behörden über einen nationalen Notfallplan für
Extremereignisse im Weltraumwetter.
Das Weltraumwetter beeinflusst die ionisierte und neutrale Gashülle der Erde,
technologische Systeme im Weltraum und auf der Erde sowie Leben und Gesundheit
der Menschen. Koronale Massenauswürfe, sogenannte Sonnenwinde und Sonnenstürme,
können dabei die sensiblen Infrastrukturen unserer modernen Gesellschaft
erheblich beeinträchtigen: Navigation und Kommunikationssatelliten und die
darauf basierenden Services, Unterstützungssysteme im Flugverkehr sowie der
Betrieb von Stromnetzwerken. Auch kann es zu einer erhöhten Strahlenbelastung im
Flugverkehr kommen. "Eine zuverlässige und exakte Vorhersage des Weltraumwetters
ist daher von entscheidender Bedeutung, um geeignete Schutzmaßnahmen ergreifen
zu können", sagt Dr. Jens Berdermann vom DLR-Institut für Kommunikation und
Navigation in Neustrelitz.
Welche maximale Stärke von Weltraumwetterereignissen unsere Sonne
hervorbringen kann, ist nicht bekannt. "Daher ist es schwierig abzuschätzen,
welche Auswirkungen im Extremfall zu erwarten sind", sagt Berdermann. "Wir
wissen aber aus der Geschichte, dass es schon sehr große Sonnenstürme gegeben
hat - wie zum Beispiel beim Carrington-Ereignis im Jahre 1859." Damals waren die
Auswirkungen für das gesellschaftliche Leben natürlich noch nicht in der
Intensität zu spüren, wie es heute der Fall sein könnte.
1859 schloss man auf die Aktivität der Sonne durch die Beobachtung von
Sonnenflecken. Heute helfen Satelliten, präzise Angaben machen zu können. Im
Januar 2015 startete der Satellit Deep Space Climate Observatory
(DSCOVR), der gleich mehrere Parameter eines Ereignisses messen kann: Neben der
Temperatur und der Protonendichte, misst er darüber hinaus den dynamischen
Druck, die Protonendichte, das interplanetarische Magnetfeld sowie die
Geschwindigkeit und kann damit den in die Jahre gekommenen (seit 1997 aktiven)
Vorgänger Advanced Composition Explorer (ACE) ersetzen.
Lediglich ein paar Sekunden benötigt das Signal von DSCOVR zur
Empfangsstation auf der Erde und "erlaubt uns dadurch mit einer Vorlaufzeit von
30 bis 60 Minuten eine Aussage über die Stärke des Sonnensturms und die
Effizienz der Einkopplung des Sturms in die Erdatmosphäre, wobei der Sonnensturm
mit 800 bis 2.000 Kilometern pro Sekunde wesentlich langsamer ist als das Signal
vom Satellit bis zur Erde", sagt Berdermann.
Mit diesen Informationen können dann Vorhersagen zur Art und zum Schweregrad
von Störungen von technischen Systemen prognostiziert werden. Was aber ist zu
tun, wenn sich ein Sonnensturm Richtung Erde bewegt? Im 4.
Weltraumwetter-Workshop werden die Wissenschaftler neben aktuellen
Forschungsergebnissen sich auch darüber austauschen, welche Abstimmung
untereinander im Katastrophenfall notwendig ist.
"Derzeit gibt es noch keinen nationalen Notfallplan für Extremereignisse im
Weltraumwetter", erklärt Berdermann. Zu klären wäre unter anderem, wie der
Informationsfluss bei Extremereignissen erfolgen sollte. Welches
Weltraumwetter-Servicezentrum sollte wen informieren? Eine weitere offene Frage
ist, wo diese Informationen gesammelt und ausgewertet werden. Da das
Weltraumwetter nicht nur ein lokales Ereignis ist, muss in einem Notfallplan
auch eine Abstimmung mit internationalen Partnern erfolgen.
Ziel des Workshops ist es, ein Positionspapier zu erarbeiten, das politische
Entscheidungsträger nicht nur über die Thematik informiert, sondern auch die
vorhandenen Kompetenzen in Deutschland deutlich herausstellt. Darüber hinaus
geht es aber auch darum, den Entwicklungsbedarf und die Notwendigkeit der
Erstellung eines nationalen Notfallplans aufzuzeigen. Der Wissenschaft kommt
hierbei eine entscheidende Rolle zu, denn die weitere Erforschung und
Beobachtung der Sonne ist für die rechtzeitige und genaue Vorhersage des
Weltraumwetters wichtig.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich auf solare Ereignisse vorzubereiten:
"Bei sehr starken Ereignissen können Satellitenbetreiber rechtzeitig die
empfindlichen Mess- und Kommunikationsbereiche der Satelliten aus dem Sonnenwind
drehen oder Satelliten komplett abschalten, um ein internes oder externes
elektrisches Aufladen aufgrund von geladenen Teilchen im Sonnenwind zu
vermeiden", erklärt Berdermann. Darüber hinaus können Nutzer von
Positionierungs- und Navigationsgeräten über erwartete Ungenauigkeiten
informiert werden.
Aber auch innerhalb des Flugverkehrs sind Schutzmaßnahmen angebracht. Hierbei
verzichtet man auf die Kommunikation im Hochfrequenzbereich und nutzt dafür den
Kurzwellenfunk. Um einer erhöhten Strahlenbelastung zu entgehen, werden polare
Flugrouten vermieden. Zudem ermöglicht eine tiefe Flughöhe einen besseren Schutz
durch das Magnetfeld der Erde. Auch im Bereich der Stromnetze können
Schutzmaßnahmen getroffen werden, indem die Betreiber sich auf mögliche
geomagnetisch induzierte Ströme und dadurch verbundene technische Probleme
einstellen und somit schnell reagieren können.
Der Workshop, der vom 11. bis 13. Mai 2015 beim DLR in Neustrelitz
stattfindet, knüpft an die Ergebnisse der vorangegangenen Veranstaltungen in
Neustrelitz und Freiburg in den Jahren 2000, 2005 und 2008 an.
|