Zahlreiche neue Ereignisse in sechs Monaten
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik astronews.com
30. Oktober 2020
Gravitationswellenforscherinnen und -forscher haben einen
aktualisierten Katalog von Gravitationswellensignalen vorgestellt, der auch
Ereignisse enthält, die in den Daten des ersten Teils des dritten gemeinsamen
Beobachtungslaufs der Detektoren Virgo und LIGO entdeckt wurden. 39 neue Signale
sind hinzugekommen, insgesamt enthält der Katalog nun 50 Signale.
Visualisierung des Zusammenpralls zweier
Schwarzer Löcher, die einander umkreisen,
verschmelzen und dabei Gravitationswellen
aussenden. Das größere Schwarze Loch ist 9,2-mal
so massereich wie das kleinere. Beide Objekte
drehen sich nicht um sich selbst.
Bild: N. Fischer, S. Ossokine, H. Pfeiffer,
A. Buonanno (Max-Planck-Institut für
Gravitationsphysik), Simulating eXtreme
Spacetimes (SXS) [Großansicht] |
Die LIGO-Scientific- und die Virgo-Kollaborationen haben ihren
Gravitationswellen-Katalog aktualisiert und 39 neu entdeckte
Gravitationswellensignale einschließlich ihrer astrophysikalischen Bedeutung und
genauerer Tests der allgemeinen Relativitätstheorie veröffentlicht. Der "Gravitational-Wave
Transient Catalog 2" (GWTC-2) enthält nun 50 Signale verglichen mit elf Signalen
in der Vorversion. Die 39 neuen Entdeckungen stammen aus O3a, den ersten sechs
Monaten des dritten gemeinsamen Beobachtungslaufs O3, der am 1. April 2019
begann.
Die neuen Signale kommen von verschiedenen Systemen verschmelzender Schwarzer
Löcher und Neutronensterne in allen Kombinationen. Einige außergewöhnliche
Ereignisse wurden bereits in den vergangenen Monaten veröffentlicht. Während der
neue Katalog viele Verschmelzungen von Doppelsystemen Schwarzer Löcher enthält,
die inzwischen routinemäßig gefunden werden, enthält er auch einige weitere
Überraschungen: beispielsweise die leichteste Verschmelzung zweier Schwarzer
Löcher oder eine mögliche Verschmelzung eines Schwarzen Lochs mit einem
Neutronenstern. Ergebnisse aus der zweiten Hälfte von O3 werden später
veröffentlicht und sollten weitere Überraschungen aus dem dunklen Universum ans
Licht bringen.
Abgesehen von den bereits früher veröffentlichten außergewöhnlichen
Ereignissen GW190412, GW190425, GW190521 und GW190814 enthält der neue Katalog
GWTC-2 zwei weitere besonders bemerkenswerte Ereignisse mit den Bezeichnungen
GW190426_152155 und GW190924_021846 (nach einer neuen Namenskonvention wird die
UTC-Zeit an die Ereignisbezeichnung angehängt). "Eine unserer neuen
Entdeckungen, GW190426_152155, könnte eine Verschmelzung eines Schwarzen Lochs
von etwa sechs Sonnenmassen mit einem Neutronenstern sein. Leider ist das Signal
eher schwach, so dass wir nicht ganz sicher sein können", erklärt Serguei
Ossokine, wissenschaftlicher Mitarbeiter am AEI Potsdam. "GW190924_021846 stammt
mit Sicherheit von der Verschmelzung der beiden leichtesten Schwarzen Löcher,
die wir bisher beobachtet haben. Das eine hatte die Masse von sechs Sonnen, das
andere die von neun. Es gibt Signale von Verschmelzungen mit weniger
massereichen Objekten wie zum Beispiel GW190814, aber hier wissen wir nicht mit
Sicherheit, ob es sich dabei um Schwarze Löcher handelt."
"Dass wir über einen Zeitraum von sechs Monaten alle fünf Tage ein neues
Gravitationswellen-Ereignis aufspüren konnten, verdanken wir Nachrüstungen und
Verbesserungen der beiden LIGO-Detektoren und des Virgo-Detektors", sagt Karsten
Danzmann, Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik
(Albert-Einstein-Institut; AEI) und Direktor des Instituts für
Gravitationsphysik der Leibniz Universität Hannover. "Eine wichtige Rolle
spielten zum Beispiel die am AEI Hannover entwickelten Hochleistungslaser, neue
Spiegel und die Reduzierung von Hintergrundrauschquellen. Dadurch vergrößerte
sich der Ausschnitt des Universums, aus dem unsere Detektoren beispielsweise das
Signal von verschmelzenden Neutronensternen aufnehmen konnten, um das
Vierfache!" Auch die Verarbeitung der Rohdaten der Detektoren, der Umgang mit
Störimpulsen (Glitches) und die Kalibrierung der Daten wurde verbessert, so dass
die LIGO/Virgo-Forscherinnen und -Forscher tiefer in den Kosmos hinein lauschen
können als je zuvor.
"Unsere Verbesserungen der Wellenformmodelle, mit denen wir nach den Signalen
in den Detektordaten suchen, waren entscheidend für die Nachweise", sagt
Alessandra Buonanno, Direktorin am AEI Potsdam und Professorin an der
University of Maryland. "Wir brauchen genaue Wellenformmodelle mit
vollständigen physikalischen Effekten auch, um die verschiedenen
astrophysikalischen Quellen zu identifizieren, um die Population dieser Quellen
im Universum zu verstehen und um Tests der Gravitation im starken und
dynamischen Bereich durchzuführen. Zum ersten Mal analysierten wir eingehend die
Eigenschaften des Restobjekts, während es die Raumzeit zum Schwingen bringt, und
die Bedeutung der höheren Harmonischen im Signal für Tests der allgemeinen
Relativitätstheorie."
In O3a, den ersten sechs Monaten des dritten gemeinsamen LIGO/Virgo-Beobachtungslaufs
O3, fanden die Forscherinnen und Forscher viermal so viele Signale wie in den
beiden vorangegangenen Beobachtungsläufen zusammen (elf Monate
Gesamtbeobachtungszeit). Ihre Untersuchung fand 39 neue Ereignisse, wodurch sich
die Gesamtzahl auf 50 erhöht. Vorläufige Informationen wurden zu 26 dieser
Signale als öffentliche Beobachtungshinweise ("open public alerts") in Echtzeit
mitgeteilt, während die restlichen 13 durch empfindlichere und zeitaufwändigere
Folgeuntersuchungen gefunden wurden. 7 der 33 öffentlichen Beobachtungshinweise
in O3a wurden durch diese genauere Analyse nicht als Gravitationswellensignale
bestätigt.
"Beim ersten Blick in den Katalog haben alle Ereignisse eines gemeinsam: Sie
stammen von Verschmelzungen kompakter Objekte wie Schwarzen Löchern oder
Neutronensternen. Aber wenn man genauer hinsieht, sind sie alle ziemlich
unterschiedlich", sagt Frank Ohme, Leiter einer unabhängigen
Max-Planck-Forschungsgruppe am AEI Hannover. "Wir bekommen so ein
vollständigeres Bild von der Population der Quellen der Gravitationswellen. Die
Massen dieser Objekte erstrecken sich über einen sehr weiten Bereich, von etwa
der Masse unserer Sonne bis zu mehr als dem 90-fachen. Einige von ihnen sind
näher an der Erde, andere sind sehr weit entfernt."
Die LIGO/Virgo-Forscherinnen und-Forscher haben zudem drei
Begleitpublikationen zu ihrem neuen Katalog veröffentlicht. In einer wird
untersucht, wie gut die Gravitationswellen-Ereignisse im Katalog mit der
Allgemeinen Relativitätstheorie übereinstimmen; es finden sich keine Hinweise
auf eine neue Physik jenseits dieser Theorie. Eine andere Publikation
untersucht, was die entdeckten Ereignisse uns über die Population ihrer Quellen
im Universum verraten. Die dritte Publikation beschreibt eine Suche nach
Gravitationswellen, die gemeinsam mit Gammastrahlenblitzen während O3a
beobachtbar gewesen sein könnten. Allerdings wurden keine solchen Signale
gefunden.
Das Team hat Beobachtungshinweise für 23 weitere mögliche
Gravitationswellenereignisse – sogenannte Kandidaten – in O3b (der zweiten
Hälfte von O3, vom 1. November 2019 bis zum 27. März 2020) herausgegeben. Keiner
dieser Signalkandidaten wurde als sicher identifiziertes
Gravitationswellen-Ereignis veröffentlicht. LIGO- und Virgo-Wissenschaftlerinnen
und -Wissenschaftler prüfen alle verbleibenden Kandidaten und werden dann
diejenigen veröffentlichen, für die detaillierte Folgeanalysen ihren
astrophysikalischen Ursprung bestätigen.
Die Fachartikel zu den Ergebnissen liegen als Preprint vor.
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