Kosmischer Tanz eines ungleichen Paares
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik astronews.com
23. Oktober 2020
Dank der Rechenleistung von zahlreichen privaten Computern
konnten Astronominnen und Astronomen nun das Geheimnis um eine galaktische
Gammastrahlenquelle lüften: Offenbar handelt es sich um ein System aus einen
außergewöhnlich massereichen Neutronenstern und einem massearmen Begleiter. Auch
sonst weist das Paar einige Besonderheiten auf.
Ein Himmelsausschnitt der Beobachtungen des
Gammasatelliten Fermi und der nun von
Einstein@Home entdeckte Gammapulsar.
Bild: Knispel / Max-Planck-Institut für
Gravitationsphysik / NASA / DOE / Fermi LAT
Collaboration [Großansicht] |
Nach mehr als zwei Jahrzehnten hat ein internationales Forschungsteam unter
Leitung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik
(Albert-Einstein-Institut; AEI) in Hannover das Rätsel um eine galaktische
Gammastrahlenquelle gelöst: ein schwerer Neutronenstern, den ein sehr leichter
Begleiter umrundet. Mittels neuartiger Datenanalysemethoden, die auf rund 10.000
Grafikkarten im verteilten Rechenprojekt Einstein@Home liefen, wies das Team den
Neutronenstern anhand seines regelmäßigen Gammastrahlenblinkens durch eine
aufwändige Suche in Daten des Fermi-Satelliten der NASA eindeutig nach.
Das im Bereich der Radiowellen überraschenderweise vollkommen unsichtbare
Doppelsternsystem wurde durch eine Beobachtungskampagne quer durch das
elektromagnetische Spektrum aufgespürt.
"Das Doppelsternsystem und der nun als PSR J1653−0158 bekannte Neutronenstern
in dessen Herzen stellen neue Rekorde auf", erklärt Lars Nieder, Doktorand am
AEI Hannover. "Wir haben den galaktischen Tanz eines Superschwergewichtes mit
einem Fliegengewicht entdeckt: Der Neutronenstern ist mit etwas mehr als dem
Doppelten der Masse unserer Sonne außergewöhnlich schwer. Sein Begleiter hat
zwar etwa die sechsfache Dichte von Blei aber gerade einmal ein Prozent der
Masse unserer Sonne. Dieses seltsame Paar umrundet sich in nur 75 Minuten,
schneller als alle vergleichbaren bekannten Doppelsterne."
Der Neutronenstern dreht sich mit mehr als 30.000 Umdrehungen pro Minute um
die eigene Achse und zählt damit zu den am schnellsten rotierenden. Gleichzeitig
ist sein – bei Neutronensternen in der Regel enorm starkes – Magnetfeld
außergewöhnlich schwach. Möglich wurde diese Rekordentdeckung durch zwei
wichtige Schritte: Mit astronomischen Beobachtungen aus dem Jahr 2014 ließen
sich Eigenschaften der Bahnen des Doppelsterns bestimmen. "Dass hinter der seit
1999 bekannten Gammastrahlenquelle ein Neutronenstern steckt, galt seit 2009 als
wahrscheinlich. Seit 2014 war nach Beobachtungen des Systems mit optischen und
Röntgenteleskopen klar, dass es sich sich um einen engen Doppelstern handelt.
Doch alle Suchen nach dem Neutronenstern darin waren bislang vergeblich", sagt
Teammitglied Dr. Colin Clark vom Jodrell Bank Centre for Astrophysics.
Um den Neutronenstern eindeutig nachzuweisen, muss nicht nur seine Radio-
oder Gammastrahlung, sondern deren charakteristisches Pulsieren nachgewiesen
werden. Die Eigendrehung des Neutronensterns ruft dieses regelmäßige Blinken
hervor, ganz ähnlich zum periodischen Aufleuchten eines fernen Leuchtturms. Der
Neutronenstern wird dann als Radio- bzw. Gammapulsar bezeichnet. "In
Doppelsystemen wie dem nun von uns entdeckten sind die Pulsare als 'Schwarze
Witwen' bekannt, weil sie wie die Spinnen gleichen Namens ihre Partner
gewissermaßen verspeisen", erklärt Clark. Er ergänzt: "Der Pulsar verdampft mit
seiner Strahlung und einem Teilchenwind seinen Begleiter und erfüllt so das
Sternsystem mit für Radiowellen undurchdringlichem Plasma."
Gammastrahlung hingegen kann diese Plasmawolken nahezu ungehindert
durchdringen. Das Large Area Telescope (LAT) an Bord des Fermi Gamma-ray
Space Telescope der NASA zeichnet diese Strahlen auf. Das Team verwendete
die Daten aus dem Jahr 2014, weitere Beobachtungen mit dem William Herschel
Telescope auf La Palma und die von der Mission Gaia genaue
Himmelsposition, um die Rechenleistung des freiwilligen verteilten
Rechenprojekts Einstein@Home gezielt und fokussiert einzusetzen. Dies lieferte
außerdem ein vollständigeres Bild des Begleitsterns.
Sie verbesserten zudem frühere Analysemethoden, die sie zu diesem Zweck
entwickelt hatten, und nutzten die Hilfe von rund zehntausend
Einstein@Home-Freiwilligen, um etwa ein Jahrzehnt an Archivdaten des Fermi-LAT
nach einem periodischen Pulsieren der Gammastrahlung zu durchsuchen. Die
Freiwilligen spendeten dafür an Einstein@Home ungenutzte Rechenzeit auf den
Grafikkarten (GPUs) ihrer Computer. In weniger als zwei Wochen machte das Team
so eine Entdeckung, die auf einem üblichen Computer mehrere Jahrhunderte
Rechenzeit gekostet hätte.
"Wir haben ein sehr enges Doppelsternsystem gefunden. In der Mitte befindet
sich der rund 20 Kilometer große Neutronenstern mit zweifacher Sonnenmasse. Er
wird in gerade einmal 1,3-facher Erde-Mond-Entfernung vom Überrest eines
Zwergsterns in nur 75 Minuten mit einer Geschwindigkeit von mehr als 700
Kilometer pro Sekunde umrundet", erläutert Nieder. "Möglicherweise ist dieses
ungewöhnliche Duo aus einem extrem engen Doppelsternsystem entstanden, in dem
ursprünglich Materie vom Begleitstern auf den Neutronenstern floss, ihn schwerer
machte, immer schneller rotieren ließ und dabei gleichzeitig sein Magnetfeld
abschwächte."
Das Team suchte nach der Identifikation des Gammapulsars mit den neu
gewonnenen Kenntnissen über dessen Eigenschaften erneut nach seiner
Radiostrahlung. Sie konnten keine Spur davon finden, obwohl sie die größten und
empfindlichsten Radioteleskope der Welt einsetzten. Damit ist PSR J1653–0158
erst der zweite schnell rotierende Pulsar, von dem keine Radiowellen empfangen
werden.
Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen: Entweder der Pulsar sendet keine
oder außergewöhnlich schwache Radiowellen in Richtung Erde oder - was
wahrscheinlicher ist - die Plasmawolke umhüllt das Doppelsternsystem so
lückenlos, dass keine Radiostrahlung die Erde erreicht. In einem weiteren
Schritt durchsuchten sie Daten der Advanced-LIGO-Detektoren aus derem ersten und
zweiten Beobachtungslauf nach möglichen Gravitationswellen, die der
Neutronenstern abstrahlen würde, wenn er leicht verformt wäre. Auch hier blieb
die Suche erfolglos.
"Im Katalog der vom Fermi-Satelliten gefundenen Gammastrahlenquellen
gibt es noch Dutzende mehr, bei denen ich wetten würde, dass in ihnen Pulsare in
Doppelsternsystemen stecken", sagt Prof. Dr. Bruce Allen, Direktor am
Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover und Direktor und Gründer
von Einstein@Home. "Doch bisher hat niemand es geschafft, das charakteristische
Pulsieren ihres Gammalichts nachzuweisen. Mit Einstein@Home wollen wir genau das
schaffen – wer weiß, welche weiteren Überraschungen uns dabei noch erwarten?"
Über ihre Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel in der
Zeitschrift Astrophysical Journal Letters.
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