Wie der Schneemann flacher wurde
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung astronews.com
6. Oktober 2020
Ein internationales Forschungsteam glaubt, dass das
transneptunische Objekt Arrokoth, an dem die NASA-Raumsonde New Horizons
am Neujahrstag 2019 vorbeiflog, seine Form in den ersten 100 Millionen Jahren
seit seiner Entstehung stark verändert haben könnte. Grund dafür war die
Ausrichtung der Rotationsachse des Brockens und das Verdunsten leichtflüchtiger
Gase.
Momentaufnahmen aus der numerischen
Simulation. Sie zeigen, wie sich Arrokoth durch
sublimationsbedingten Massenverlust verändert
haben könnte. Das unterste Bild ist das Modell,
das aus Beobachtungen von New Horizon abgeleitet
wurde.
Bild: PMO / MPS [Großansicht] |
Die vielen Millionen Brocken, die den Kuipergürtel jenseits der Umlaufbahn
des Neptuns bevölkern, haben bisher noch nicht viele ihrer Geheimnisse
preisgegeben. In den 1980er Jahren durchquerten zwar die Raumsonden Pioneer
1 und 2 sowie Voyager 1 und 2 diese Region –
allerdings ohne Kameras an Bord. Erst die NASA-Raumsonde New Horizons
sendete Bilder vom äußersten Rand des Sonnensystems zur Erde: im Sommer 2015 vom
Zwergplaneten Pluto und dreieinhalb Jahre später vom etwa 30 Kilometer großen
transneptunischen Objekt Arrokoth - dem bislang am weitesten von der Sonne
entfernten Körper, der von einer Raumsonde besucht und abgelichtet wurde.
Besonderes Aufsehen erregte in den Tagen nach dem Vorbeiflug die sonderbare
Gestalt von Arrokoth. Der Körper besteht aus zwei miteinander verbundenen Teilen
– wahrscheinlich als Ergebnis eines langsamen Zusammenstoßes -, von denen der
kleinere leicht, der größere stark abgeflacht ist. So entsteht der Eindruck
eines zerquetschten Schneemanns. In ihrer aktuellen Studie gehen die
Forscherinnen und Forscher aus China, Deutschland und den USA der Frage nach,
wie es zu dieser Form kommen konnte.
Eine auffällige Zweiteilung ist zwar auch von einigen Kometen bekannt. Für
die pfannkuchenartige Abflachung von Arrokoth hingegen gibt es bisher kein
weiteres Beispiel. Sah Arrokoth bereits von Anfang an so aus? Oder hat sich
seine Form erst nach und nach entwickelt? "Wir stellen uns den Kuipergürtel
gerne als Region vor, in der die Zeit seit der Geburt des Sonnensystems
weitestgehend stillgestanden hat", erklärt Dr. Ladislav Rezac vom MPS. Mehr als
vier Milliarden Kilometer von der Sonne entfernt, haben die Bewohner des
Kuipergürtels seitdem sozusagen tiefgekühlt und unverändert überdauert, so die
gängige Auffassung. Die Aufnahmen von Arrokoth stellen diese Vorstellung auf
eine harte Probe – sowohl wegen seiner offenbar glatten Oberfläche ohne Hinweise
auf viele Einschlagskrater, als auch wegen seiner sonderbar flachen Form.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen davon aus, dass das
Sonnensystem vor 4,6 Milliarden Jahren aus einer Scheibe aus Staub entstand: Die
Teilchen ballten sich zu immer größeren Klumpen zusammen; diese stießen zusammen
und verschmolzen zu noch größeren Körpern. "Es gibt bisher keine Erklärung, wie
aus diesem Prozess ein solch flacher Körper wie Arrokoth hervorgehen könnte", so
Rezac. Eine andere Möglichkeit wäre, dass Arrokoth in seiner Geburtsstunde eine
gewöhnlichere Gestalt hatte: ein zusammengesetztes Gebilde aus einem
kugelförmigen und einem leicht abgeflachten Körper.
Frühere Studien deuten darauf hin, dass in der Region, in der sich Arrrokoth
befindet, während der Entstehung des Sonnensystems flüchtige Stoffe wie
Kohlenmonoxid und Methan auf Staubkörnern gefroren und diese dann größere
Brocken bildeten. Nach der Entstehung Arrokoths, als sich der Staub gelichtet
hatte, ermöglichte die Sonneneinstrahlung höhere Temperaturen; die gefrorenen,
flüchtigen Stoffe sublimierten rasch von den entstandenen Brocken.
"Damit ein Körper seine Form so extrem verändern kann wie Arrokoth, muss
seine Rotationsachse in einer besonderen Weise ausgerichtet sein", erklärt Rezac.
Im Gegensatz zur Rotationsachse der Erde liegt die von Arrokoth fast parallel
zur Bahnebene. Während des 298 Jahre dauernden Umlaufs ist so jeweils eine
Polarregion des Körpers fast die Hälfte der Zeit ununterbrochen der Sonne
zugewandt, während die andere der Sonne abgewandt ist. Die Regionen am Äquator
und in den unteren Breitengraden hingegen sind das ganze Jahr über von
tageszeitlichen Schwankungen geprägt. "Dadurch heizen sich die Pole am stärksten
auf, so dass gefrorene Gase von dort am effizientesten entweichen. Das führt zu
einem starken Massenverlust", sagt Dr. Yuhui Zhao vom Purple Mountain
Observatorium der Chinesischen Akademie der Wissenschaften.
Der Abflachungsprozess begann höchstwahrscheinlich schon früh in Arrokoths
Evolutionsgeschichte und verlief vergleichsweise rasch auf einer Zeitskala von
etwa einer bis 100 Millionen Jahren. Danach dürfte sich der Vorrat an sehr
leichtflüchtigen Stoffen in den oberflächennahen Schichten erschöpft haben.
Darüber hinaus wiesen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach, dass
die in dieser Phase induzierten Drehmomente die Rotationseigenschaften von
Arrokoth nicht wesentlich verändert haben dürften.
Wie viele weitere 'abgeflachte Schneemänner' sich im Kuipergürtel befinden,
ist unklar. "Das hängt in erster Linie davon ab, ob die Rotationsachse eines
Körpers ähnlich geneigt ist wie die von Arrokoth, und von der Menge
leichtflüchtiger Stoffe in der Nähe der Oberfläche", so Rezac. Es ist
anzunehmen, dass selbst Objekte wie Arrokoth beträchtliche Mengen an
superflüchtigen Stoffen enthielten. Beispielsweise enthält Pluto aufgrund seiner
Größe und stärkeren Schwerkraft auch heute noch Kohlenmonoxid, Stickstoff und
Methan. Bei kleineren Körpern wären diese flüchtigen Stoffe längst ins All
entwichen.
Über ihre Studie berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Nature Astronomy erschienen ist.
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