Neutronensterne genau vermessen
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Technischen Universität Darmstadt astronews.com
16. Dezember 2019
Durch Beobachtungen der NASA-Mission NICER gelangen nun ganz
neue Einsichten in den Aufbau von Pulsaren, also ultradichten Überbleibseln
explodierter Sterne. NICER ist ein Röntgeninstrument an Bord der Internationalen
Raumstation ISS und hat erstmals präzise und verlässliche Größen- und
Massenmessungen von Pulsaren ermöglicht.
Künstlerische Darstellung des Neutron star
Interior Composition Explorer (NICER) auf der
Internationalen Raumstation ISS.
Bild: NASA Goddard Space Flight Center -
Conceptual Image Lab [Großansicht] |
Der vermessene Pulsar J0030+0451 (oder J0030 in Kurzform) befindet sich in
einer isolierten Weltraumregion, etwa 1100 Lichtjahre entfernt im Sternbild
Fische. Die Resultate der neuen Messungen offenbaren, dass die Form und Orte von
sogenannten "Hotspots", Millionen Grad heißer Regionen auf der Oberfläche des
Pulsars, viel komplexer sind als erwartet. "Von seiner Position auf der
Raumstation aus revolutioniert NICER gerade unser Verständnis von Pulsaren", so
Paul Hertz, Direktor der Abteilung für Astrophysik am NASA-Hauptquartier in
Washington.
"Pulsare wurden vor mehr als 50 Jahren entdeckt als Leuchtfeuer von Sternen,
die zu dichten Kernen kollabiert sind, und verhalten sich komplett anders als
alles, was wir auf der Erde sehen. Dank NICER können wir die Natur und
Eigenschaften dieser ultradichten Überbleibsel auf eine Weise studieren, die bis
jetzt unmöglich schien", so Hertz.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der TU Darmstadt haben wesentlich
dazu beigetragen, die Bedeutung der NICER-Messungen für die Zustandsgleichung
dichter Materie zu verstehen. Wenn ein massereicher Stern stirbt, geht dessen
Brennstoff zur Neige, er kollabiert unter seinem eigenen Gewicht und explodiert
schließlich als eine Supernova. Relikte solcher Sternexplosionen sind
Neutronensterne, die mehr Masse beinhalten als unsere Sonne, konzentriert in
einer Kugel von etwa der Dimension des Großraums Darmstadt.
Pulsare sind eine besondere Klasse von Neutronensternen, welche sich Hunderte
Male pro Sekunde drehen und bei jeder Rotation einen Energiestrahl Richtung Erde
senden. J0030 im Besonderen rotiert 205 Mal pro Sekunde. Seit Jahrzehnten
versuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler herauszufinden, wie Pulsare
funktionieren. Im einfachsten Modell hat ein Pulsar ein starkes Magnetfeld, das
ähnlich wie das Magnetfeld unserer Erde aufgebaut ist. Das Feld ist aber so
stark, dass es Teilchen von der Oberfläche des Pulsars reißt und sie
beschleunigt.
Einige Teilchen folgen dem Magnetfeld und treffen auf die gegenüberliegende
Seite, erwärmen die Oberfläche und erzeugen sogenannte Hotspots an den
Magnetpolen. Der ganze Pulsar leuchtet schwach im Röntgenspektrum, während die
Hotspots heller erscheinen. Während sich das Objekt dreht, leuchten diese
Bereiche von der Erde aus betrachtet wie die Strahlen eines Leuchtturms und
erzeugen extrem regelmäßige Schwankungen der Röntgenhelligkeit des Objekts.
Das an der Internationalen Raumstation montierte Instrument NICER (die
Abkürzung steht für Neutron star Interior Composition Explorer) misst die
Ankunft jedes Röntgenbildes von einem Pulsar auf besser als hundert Nanosekunden
genau – eine Präzision, die etwa 20-mal höher ist als bisher, so dass
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diesen Effekt zum ersten Mal nutzen
können. Unter Verwendung von den Beobachtungen der NICER-Mission von Juli 2017
bis Dezember 2018 erstellten zwei Gruppen von Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern Modelle für die Hotspots von J0030 mit unabhängigen Methoden
und gelangten zu ähnlichen Ergebnissen für die Masse und den Durchmesser des
Pulsars.
Ein Team unter der Leitung der Universität Amsterdam stellte fest, dass der
Pulsar eine Masse von etwa dem 1,3-fachen der Sonnenmasse und einen Durchmesser
von etwa 25,4 Kilometer aufweist. Ein zweites Team fand heraus, dass J0030 etwa
das 1,4-fache der Sonnenmasse wiegt und etwas größer ist, etwa 26 Kilometer. "Es
ist bemerkenswert und auch sehr beruhigend, dass die beiden Teams für J0030 mit
unterschiedlichen Modellannahmen so ähnliche Größen, Massen und Hotspot-Muster
erreicht haben", sagte Zaven Arzoumanian, wissenschaftlicher Leiter von NICER im
NASA Goddard Space Flight Center in Greenbelt, Maryland. "Es sagt uns,
dass NICER auf dem richtigen Weg ist, uns bei der Beantwortung einer großen
Frage in der Astrophysik zu helfen. Welche Form nimmt die Materie in den
ultradichten Kernen von Neutronensternen an?"
Zusammen mit der NICER-Kollaboration untersuchten Svenja Greif, Kai Hebeler
und Achim Schwenk von der TU Darmstadt die Auswirkungen dieser neuen Messungen
auf die Eigenschaften der dichten Materie im Innern von Neutronensternen. 2Es
ist spannend zu sehen, dass die neuen NICER-Ergebnisse mit unserem Verständnis
von starken Wechselwirkungen in Atomkernen übereinstimmen", sagt Greif, deren
jüngste Doktorarbeit im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft
(DFG) geförderten Sonderforschungsbereichs 1245 zu Kernstrukturphysik und
nuklearer Astrophysik den Grundstein für die Modellierung der dichten Materie
legte. Präzisere Messungen der NICER-Mission in Kombination mit verbesserten
mikroskopischen Berechnungen versprechen daher in Zukunft ein deutlich besseres
Verständnis der dichtesten Materie im Universum.
Über die Ergebnisse berichten die Teams in einer Reihe von Publikationen, die
in einer Sonderausgabe des Journals The Astrophysical Journal Letters erschienen sind.
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