Wie aus Chaos Ordnung wurde
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Institits für Astronomie astronews.com
7. November 2019
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben jetzt die
Ergebnisse der bisher detailreichsten kosmologischen Großsimulation vorgestellt.
Sie ermöglicht es im Detail zu untersuchen, wie sich Galaxien bilden und wie sie
sich von der Zeit kurz nach dem Urknall bis heute entwickelt haben. Dabei
zeigten sich auch einige unerwartete Phänomene.
Simulierte Bilder von Scheibengalaxien aus
der TNG50-Simulation im sichtbaren Licht. Jede
Galaxie ist einmal in Draufsicht und einmal von
der Seite gezeigt. Mit TNG50 konnten neue
Erkenntnisse dazu gewonnen werden, wie solche
Scheibengalaxien entstehen.
Bild: D. Nelson (MPA) und das Illustris-TNG-Team [Großansicht] |
Astronominnen und Astronomen, die kosmologische Simulationen durchführen,
müssen sich üblicherweise entscheiden: Aufgrund von Grenzen der verfügbaren
Rechenleistung konnten typische Simulationen bisher entweder sehr detailgetreu
simulieren oder ein großes Volumen an virtuellem Raum umfassen, aber nicht
beides. Detaillierte Simulationen mit stark begrenztem Volumen können nicht mehr
als ein paar Galaxien modellieren, was statistische Rückschlüsse erschwert.
Großräumigen Simulationen wiederum fehlen typischerweise die notwendigen
Details, um wichtige Eigenschaften auf kleineren Skalen zu erklären, die wir in
unserem eigenen Universum beobachten – was ihre Vorhersagekraft deutlich
reduziert.
Der gerade veröffentlichten TNG50-Simulation gelingt es erstmals, eine
großräumige kosmologische Simulation mit der Detail-Auflösung von
"hineingezoomten"-Simulationen zu verbinden, wie sie bislang nur für
Untersuchungen einzelner Galaxien möglich waren. In einem simulierten
würfelförmigen Ausschnitt des Weltalls mit Seitenlängen von 230 Millionen
Lichtjahren kann TNG50 physikalische Phänomene darstellen, die auf einer Million
mal kleineren Skalen auftreten und so die gleichzeitige Entwicklung Tausender
von Galaxien über 13,8 Milliarden Jahre kosmischer Geschichte hinweg verfolgen.
Die Bausteine der Simulation sind dabei 20 Milliarden "Teilchen", die Dunkle
Materie, Sterne, kosmisches Gas, Magnetfelder und supermassereiche Schwarze
Löcher darstellen. Die Berechnung selbst erforderte 16.000 Computerkerne (cores)
auf dem Supercomputer Hazel Hen in Stuttgart, die mehr als ein Jahr lang rund um
die Uhr gerechnet haben – das entspricht fünfzehntausend Jahren Rechenzeit auf
einem einzigen Prozessor. TNG50 ist damit eine der anspruchsvollsten
astrophysikalischen Simulationen überhaupt.
Zu den ersten wissenschaftlichen Ergebnissen von TNG50, die jetzt in zwei
Fachartikeln in den Monthly Notices der Royal Astronomical Society von
einem Team unter der Leitung von Dr. Annalisa Pillepich (Max-Planck-Institut für
Astronomie, Heidelberg) und Dr. Dylan Nelson (Max-Planck-Institut für
Astrophysik, Garching) veröffentlicht wurden, zählen auch einige durchaus
unerwartete Phänomene. "Numerische Experimente dieser Art sind besonders
erfolgreich, wenn mehr herauskommt, als man hineingesteckt hat", so Nelson. "In
unserer Simulation sehen wir Phänomene, die wir nicht explizit vorprogrammiert
hatten. Diese Phänomene ergeben sich auf natürliche Weise aus dem Zusammenspiel
der grundlegenden physikalischen Bestandteile unseres Modelluniversums."
TNG50 liefert zwei eindrückliche Beispiele für diese Art von "emergentem"
Verhalten. Im ersten Beispiel geht es um die Entstehung von Scheibengalaxien wie
unserer eigenen Milchstraße. Mit TNG50 als Zeitmaschine konnten die Forscher die
kosmische Geschichte zurückspulen und sich dann systematisch ansehen, wie die
schnell rotierenden Scheibengalaxien mit ihren geordneten Sternbewegungen (die
in unserer kosmischen Umgebung recht häufig sind) aus den chaotischen,
ungeordneten und hoch turbulenten Gaswolken früherer Epochen hervorgehen. Nach
und nach kommt das Gas dabei zur Ruhe und Sterne, die aus diesem Gas entstehen,
finden sich damit immer häufiger auf Kreisbahnen und bilden schließlich eine
große Spiralgalaxie als eine Art galaktisches Karussell.
"TNG50 zeigt, dass sich unsere eigene Milchstraßengalaxie mit ihrer dünnen
Scheibe voll im Trend befindet: In den letzten 10 Milliarden Jahren sind
zumindest diejenigen Galaxien, in denen noch neue Sterne entstehen, immer
scheibenartiger geworden, und ihre chaotischen inneren Bewegungsmuster haben
sich deutlich abgeschwächt. Das Universum war viel chaotischer als heute, als es
nur ein paar Milliarden Jahre alt war!", so Pillepich.
Und noch ein weiteres emergentes Phänomen haben die Astronominnen und
Astronomen bei der simulierten Evolution ihrer Galaxien ausgemacht: Gas und
Teilchenwinde, die mit hoher Geschwindigkeit aus den Galaxien ausströmen.
Hervorgerufen wird dieses Phänomen durch Supernova-Explosionen und durch die
Aktivität der supermassereichen Schwarzen Löcher in den Zentren von Galaxien.
Das Gas verlässt die Galaxie dabei zunächst in beliebige Richtungen – eine
durchaus chaotische Situation.
Aber mit der Zeit, und das wurde nicht von vornherein einprogrammiert,
spielen sich die Gasströmungen auf einen Weg des geringsten Widerstands ein. Im
späten Universum strömt das Gas dann typischerweise in zwei entgegengesetzte
Richtungen innerhalb von kegelförmigen Regionen aus, die wie zwei Eistüten
aussehen, Spitze an Spitze positioniert, mit der Galaxie in der Mitte. Solche
Strukturen findet man auch in den astronomischen Beobachtungsdaten.
Unter dem Schwerkraft-Einfluss des Halos an Dunkler Materie, in dem sich die
Galaxie befindet, werden diese Winde dann immer langsamer. Wie das Wasser einer
Fontäne können sie auf die Ursprungsgalaxie zurückfallen und sie mit recyceltem
Gas versorgen. Dieser Prozess sorgt außerdem für eine Umverteilung des Gases vom
Zentrum einer Galaxie in ihre Außenbezirke, und beschleunigt damit die
Umwandlung der Galaxie in eine dünne Scheibe: galaktische Strukturen bringen
galaktische Fontänen hervor und umgekehrt.
Ebenso wie die anderen Simulationen der TNG-Familie werden die
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des TNG50-Teams (die an
Max-Planck-Instituten in Heidelberg und Garching, an der Harvard-Universität, am
MIT und am CCA arbeiten) ihre Simulationsdaten beizeiten im Ganzen
veröffentlichen. Dann können Astronominnen und Astronomen weltweit ihre eigenen
Entdeckungen im TNG50-Universum machen – und womöglich noch weitere Beispiel für
emergente kosmische Phänomene finden, bei denen auf kosmischen Größenskalen
Ordnung aus dem Chaos des frühen Universums hervorgeht.
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