Die Entstehungsgeschichte von 20 Millionen
Galaxien
Redaktion / MPG
astronews.com
2. Juni 2005
Ein
internationales Astronomenteam hat die größte jemals durchgeführte Simulation
kosmologischer Strukturen und der Entwicklung von Galaxien, Schwarzen Löchern
und Quasaren vorgestellt. Mit zehn Milliarden fiktiven Teilchen simulierten sie
einen Bereich des Universums mit einem Durchmesser von rund zwei Milliarden
Lichtjahren. Die Forscher konnten mit dieser "Millennium-Simulation" die
Entstehungsgeschichte von rund 20 Millionen Galaxien rekonstruieren.
Die Verteilung der Dunklen Materie im Universum auf
unterschiedlichen Skalen. Das Bild im Hintergrund zeigt einen
Schnitt durch die Millennium-Simulation auf einer Gesamtbreite
von mehr als neun Milliarden Lichtjahren. Auf solch riesigen
Skalen erscheint das Universum fast homogen, doch die
überlagerte Serie von Vergrößerungen zeigt ein komplexes
"kosmisches Netz" aus dunkler Materie auf Skalen bis zu etwa 300
Millionen Lichtjahre. Diese Großraumstruktur besteht aus
Filamenten, die große Leerräume umspannen und sich in
massereichen Halos aus Materie treffen. Die größten dieser Halos
sind mächtige Galaxienhaufen, die über eintausend Galaxien
enthalten, welche von der Simulation als Halosubstruktur
aufgelöst werden. Bild: Max-Planck-Institut für
Astrophysik [Großansicht] |
Die größte jemals durchgeführte Simulation des Wachstums kosmischer
Strukturen und der Entwicklung von Galaxien, Quasaren und Schwarzen Löchern hat
jetzt das Virgo-Konsortium, eine internationale Gruppe von Astrophysikern
aus Deutschland, England, Kanada, Japan und den USA, veröffentlicht. Die "Millennium-Simulation"
benutzte mehr als zehn Milliarden fiktive Teilchen, die jeweils eine Masse von
etwa einer Milliarde Sonnen repräsentierten, um die Entwicklung der
Materieverteilung in einer würfelförmigen Region des Universums mit einer
Kantenlänge von mehr als zwei Milliarden Lichtjahren zu verfolgen.
Der
Rechenvorgang beschäftigte den leistungsfähigsten Supercomputer der
Max-Planck-Gesellschaft in Garching für mehr als einen Monat. Mit der neuen
Simulation ist es den Astrophysikern möglich, die Entwicklungsgeschichte von
etwa 20 Millionen Galaxien zu rekonstruieren sowie die Entstehung der
superschweren Schwarzen Löcher, die gelegentlich als Quasare in ihren Herzen
aufleuchten. Die Forscher veröffentlichen ihre Ergebnisse in der heutigen
Ausgabe des Fachblattes Nature.
Neueste Erkenntnisse in der Kosmologie zeigen, dass das Universum zu etwa 70
Prozent aus "Dunkler Energie" besteht, einem mysteriösen Kraftfeld, das eine
immer schnellere Expansion des Raums antreibt. Etwa ein Viertel liegt offenbar
als "Kalte Dunkle Materie" vor, in Form eines neuartigen Elementarteilchens, das
man bisher auf der Erde noch nicht direkt nachweisen konnte. Nur etwa fünf
Prozent bestehen dagegen aus gewöhnlicher atomarer Materie - im Wesentlichen aus
den Elementen Helium und Wasserstoff.
Mit Teleskopen, die Mikrowellenstrahlung
messen können, ist es gelungen, das erst 400.000 Jahre alte Universum
abzubilden. Die einzigen Strukturen zu dieser Zeit bestanden aus einer sehr
schwachen Kräuselung eines ansonsten gleichförmigen Sees aus Materie und
Strahlung. Die spätere Entwicklung durch die Schwerkraft hat diese kleinen
Schwankungen in die vielfältigen Strukturen, die wir heute beobachten,
verwandelt. Für die Berechnung des Wachstums dieser Strukturen wurde die
Millennium-Simulation entworfen. Zum einen hatte sie das Ziel, das neue Bild der
kosmischen Entwicklung und seine tatsächliche Übereinstimmung mit Beobachtungen
zu überprüfen, zum anderen sollen mit ihr die komplexen physikalischen Prozesse,
die zur Bildung von Galaxien und Schwarzen Löchern führen, erforscht werden.
Besonders spannend für die Astrophysiker war die Simulation des frühen
Wachstums der Schwarzen Löcher. Dabei hat der Sloan Digital Sky Survey (SDSS),
eines der größten systematischen Programme der beobachtetenden Astronomie zum
Studium von Galaxien, ein paar sehr weit entfernte und sehr helle Quasare
entdeckt, welche anscheinend Schwarze Löcher mit einer Masse von mindestens
einer Milliarde Sonnenmassen beherbergen und das zu einer Zeit, als das
Universum weniger als ein Zehntel seines heutigen Alters erreicht hatte.
"Viele
Astronomen bezweifelten, ob es möglich sei, dies mit dem allmählichen Wachstum
der kosmischen Strukturen im Standardmodell zu vereinbaren", sagt Volker Springel, der Leiter des Millennium-Projekts am Max-Planck-Institut für
Astrophysik. "Als wir aber unser Modell für die Entstehung von Galaxien und
Quasaren anwandten, fanden wir, dass sich einige wenige schwere Schwarze Löcher
tatsächlich früh genug bildeten, um diese seltenen SDSS-Quasare erklären zu
können. Ihre Wirtsgalaxien treten in der Millennium-Simulation bereits auf, als
das Universum nur ein paar hundert Millionen Jahre alt war. Heute sind sie zu
den massereichsten Galaxien im Zentrum von großen Galaxienhaufen geworden."
Nach den Worten von Carlos Frenk vom Institute for Computational Cosmology
der Durham University in Großbritannien, der Leiter von Virgo in
England, zeigt die Millennium-Simulation zum ersten Mal, dass das
charakteristische Schwankungsmuster, das der Materieverteilung im frühen
Universum aufgeprägt worden ist und man direkt in den Mikrowellen-Karten sehen
kann, heute immer noch vorhanden und darüber hinaus im Prinzip durch die
beobachtete Verteilung der Galaxien messbar ist. "Falls wir die Schwankungen
genau genug bestimmen können", sagt Frenk, "dann werden sie uns einen
Längenmaßstab liefern, mit dem wir die Geometrie und die Expansion des
Universums vermessen und damit etwas über die Natur der Dunklen Materie lernen
können."
Die interessantesten und weitreichensten Anwendungen der
Millennium-Simulation werden allerdings erst noch kommen, erklärt Simon White
vom Max-Planck-Institut für Astrophysik. "Neue Beobachtungsprogramme geben uns
Informationen von noch nie gekannter Genauigkeit über die Eigenschaften von
Galaxien, Schwarzen Löchern und der Großraumstruktur des Universums", ist sich
der Leiter von Virgo in Deutschland sicher. "Unsere Fähigkeit, die
Konsequenzen unserer Theorien vorauszusagen, muss eine vergleichbare Präzision
erreichen, wenn wir die Beobachtungen voll ausnutzen wollen, um etwas über den
Ursprung und die Natur unserer Welt zu lernen. Die Millennium-Simulation ist
hierfür ein einzigartiges Werkzeug. Es ist nun unsere größte Herausforderung,
diese Mächtigkeit auch anderen Astronomen zugänglich zu machen, sodass sie ihre
eigenen Theorien zur Entstehung von Galaxien und Quasaren darauf anwenden
können, um damit ihre Beobachtungen zu interpretieren."
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