Galaxien wie im wirklichen Universum
Redaktion
/ Pressemitteilung des Heidelberger Instituts für Theoretische Studien gGmbH astronews.com
8. Mai 2014
Kosmologen haben jetzt die Ergebnisse einer der bislang
präzisesten Simulationen zur Entwicklung von Galaxien vorgestellt. Erstmals ist
bei der Modellierung eine Mischung aus elliptischen Galaxien und Spiralgalaxien
entstanden, wie wir sie aus Beobachtungen kennen. Damit sind die Resultate auch
eine indirekte Bestätigung des kosmologischen Standardmodells.
Bilder der simulierten Population von
Galaxien, die entlang der klassischen
Hubble-Sequenz ("Stimmgabel"-Diagramm) für die
morphologische Einteilung arrangiert sind.
Bild: Illustris [Großansicht] |
Galaxien enthalten typischerweise einige hundert Milliarden Sterne und zeigen
vielfältige Formen und Größen. Ihre Entstehungsgeschichte ist eines der größten
und komplexesten Probleme in der Astrophysik. Einem internationalen
Wissenschaftlerteam ist es nun gelungen, die Physik der Galaxienentstehung in
einem riesigen Raumbereich mit sehr hoher Genauigkeit zu simulieren. Erstmals
entstand dabei ein realistischer Mix aus elliptischen Galaxien und
Spiralgalaxien.
Die Simulation kann zudem erklären, wie sich schwere Elemente in neutralem
Wasserstoffgas anreichern. Außerdem sind die berechneten Galaxien im Raum so
verteilt, wie es mit Teleskopen beobachtet wird. Die Datenmenge des "Illustris"
genannten Projekts umfasst mehr als 200 Terabyte und erforderte die Rechenkraft
von mehr als 8.000 Prozessoren für mehrere Monate. Möglich wurde die Simulation
durch den am Heidelberger Institut für Theoretische Studien (HITS) entwickelten
AREPO-Code für kosmische Strukturentstehung und die Supercomputer CURIE in
Frankreich und SuperMUC in Deutschland. Das von den Forschern erzeugte virtuelle
Universum erlaubt eine Vielzahl neuartiger Voraussagen und damit eine umfassende
Prüfung der kosmologischen Theorien zur Galaxienentstehung.
Das kosmologische Standardmodell basiert auf der Hypothese, dass das
Universum von unbekannten Materie- und Energieformen dominiert wird. Zwar kennen
wir die wahre physikalische Natur dieser Dunklen Materie und Dunklen Energie
noch nicht, dennoch kann man ihre Konsequenzen mit Supercomputern
nachvollziehen.
Bisherige Simulationen des Kosmos erzeugten dabei ein kosmisches Netz aus
Materieklumpen, das der Verteilung der Galaxien zumindest ähnelte. Sie konnten
aber keine elliptischen und Spiralgalaxien schaffen und die eng verzahnte
Entwicklung von interstellarem Gas und den Sternen auf kleinen Skalen
nachvollziehen.
In dem ambitionierten Projekt Illustris sind die Kosmologen bei diesem
Problem nun ein großes Stück weiter gekommen. In der weltweit größten
hydrodynamischen Simulation der Galaxienentstehung wurde eine Region mit einer
Ausdehnung von etwa 350 Millionen Lichtjahren über einen Zeitraum von über 13
Milliarden Jahren verfolgt, beginnend zwölf Millionen Jahre nach dem Urknall.
Über diesen Zeitraum bilden sich aus der "Ursuppe" aus Wasserstoff, Heliumgas
und Dunkler Materie mit der Zeit immer größere Verklumpungen, zusammengetrieben
durch die Wirkung der Schwerkraft. Schließlich formen sich galaktische
Sternsysteme, deren Wachstum durch ein komplexes Zusammenspiel von
Strahlungsprozessen, hydrodynamischen Stoßwellen, turbulenten Strömungen,
Sternentstehung, Supernova-Explosionen und der Energieeinspeisung wachsender
superschwerer Schwarzer Löcher reguliert wird. Alle diese physikalischen
Prozesse konnte das Illustris-Team in seiner neuen Supercomputer-Simulation mit
dem Code AREPO berechnen.
AREPO ist ein sogenannter "moving mesh code", der das simulierte Universum
nicht in ein starres Gitter einteilt, sondern bewegliche und veränderliche
Gitter verwendet und so die Größen- und Masseunterschiede zwischen den einzelnen
Galaxien besonders genau verarbeiten kann. Die Hauptsimulation des Projekts hat
dabei mehr als 18 Milliarden Teilchen und Zellen eingesetzt und überbrückt einen
dynamischen Bereich von mehr als einer Million pro Raumdimension - um ähnlich
kleine Details darzustellen, müsste ein Foto eine Million Megapixel groß sein.
Der Speicherverbrauch der Illustris-Simulation von mehr als 25 Terabyte und
das erzeugte Datenvolumen von mehr als 200 Terabyte setzen in der Kosmologie
eine neue Rekordmarke. Diese Datenflut erlaubt es, die Entstehungsgeschichte von
etwa 50.000 gut aufgelösten Galaxien im Detail zu studieren und theoretische
Voraussagen für kosmische Strukturentstehung mit hoher Genauigkeit zu machen.
Die jahrelangen Vorbereitungen auf die Simulationen haben sich gelohnt:
Erstmals kann das berühmte "Stimmgabel-Diagramm" der Morphologie von Galaxien,
das auf Edwin Hubble zurückgeht, reproduziert werden. "Es ist bemerkenswert,
dass die Anfangsbedingungen des Universums, die wir kurz nach dem Urknall
beobachten, tatsächlich Galaxien von der richtigen Größe und Gestalt
hervorbringen", erklärt Dr. Mark Vogelsberger vom Massachusetts Institute of
Technology.
Indirekt kann das als eine Bestätigung des Standardmodells der Kosmologie
angesehen werden. "Endlich können wir die alten groben Modelle der
Galaxienentstehung hinter uns lassen und nicht nur die Dunkle Materie präzise
berechnen", freut sich Prof. Volker Springel, Leiter der Forschungsgruppe "Theoretical
Astrophysics" am HITS und Autor des AREPO-Codes, und ergänzt: "Die Ergebnisse
von Illustris markieren einen Umbruch in theoretischen Studien der
Galaxienentstehung."
Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler jetzt in der
Wissenschaftszeitschrift Nature.
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