Fragiler Schutthaufen aus zwei Gesteinstypen
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
23. August 2019
Seit etwas mehr als einem Jahr begleitet Hayabusa2
den Asteroiden Ryugu, im Oktober wurde eine kleine Landesonde abgesetzt, die
Untersuchungen auf der Oberfläche des rund 900 Meter durchmessenden Brockens
durchführte. Ryugu präsentierte sich dabei als fragiler Schutthaufen aus zwei
verschiedenen fast schwarzen Gesteinstypen.

Ryugu bei Nacht: "Blumenkohlfelsen" mit
hellen Mineralen.
Bild: MASCOT / DLR / JAXA [Großansicht] |
Im Sommer 2018 bekam der nur 900 Meter große Asteroid Ryugu Besuch von der
japanischen Raumsonde Hayabusa2. An Bord: die zehn Kilogramm schwere
deutsch-französische Landesonde MASCOT (Mobile Asteroid Surface Scout), nur so
groß wie eine Mikrowelle und bestückt mit vier Instrumenten. Am 3. Oktober wurde
MASCOT, gesteuert aus dem Kölner Kontrollzentrum des Deutschen Zentrums für
Luft- und Raumfahrt (DLR), aus 41 Metern Höhe von der Muttersonde abgetrennt,
berührte nach sechs Minuten zum ersten Mal die Asteroidenoberfläche und kam elf
Minuten später wie ein Würfel auf einem Spielbrett in Zeitlupe zum Stillstand.
Inmitten von groben Steinblöcken führte MASCOT über 17 Stunden und an
verschiedenen Stellen seine Experimente aus. Die Auswertung von Bilddaten der
DLR-Kamera MASCam vom Abstieg und auf Ryugus Oberfläche zeigen nun im Detail
einen fragilen "Schutthaufen" aus zwei verschiedenen, fast schwarzen
Gesteinstypen mit geringem inneren Zusammenhalt.
"Würde Ryugu oder ein ähnlicher Asteroid der Erde einmal tatsächlich
gefährlich nahe kommen und wir müssten versuchen, ihn abzulenken, dann sollten
wir sehr vorsichtig mit ihm umgehen. Denn wenn wir zu fest auf ihn 'draufhauen'
zerfällt der ganze, eine halbe Milliarde Tonnen schwere Asteroid in unzählige
Bruchstücke. Dann prasseln lauter tonnenschwere Einzelteile auf die Erde",
interpretiert Prof. Ralf Jaumann, verantwortlich für das Experiment MASCam
(MASCOT Camera), vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof, die
Beobachtungen.
Der Asteroid hat offensichtlich große Ähnlichkeit mit kohlenstoffhaltigen,
4,5 Milliarden Jahre alten Meteoriten in den irdischen Sammlungen. Mit einer
durchschnittlichen Dichte von nur 1,2 Gramm pro Kubikzentimeter ist Ryugu nur
wenig 'schwerer' als Wassereis. Da der Asteroid aber aus unzähligen
unterschiedlich großen Gesteinsbrocken zusammengefügt ist, bedeutet dies, dass
ein großer Teil seines Volumens von Hohlräumen durchzogen sein muss, die den
diamantenförmigen Körper vermutlich extrem zerbrechlich machen. Darauf deuten
auch Messungen hin, die mit dem DLR-Radiometerexperiment MARA auf MASCOT
durchgeführt und vor kurzem veröffentlicht wurden.
"Das sind hochinteressante Ergebnisse, die wir jetzt durch die Auswertung der
MASCOT-Experimente sehen. Es ist faszinierend, was diese kleine Hightech-Box in
300 Millionen Kilometer Entfernung von der Erde auf Ryugu geleistet hat", freut
sich Prof. Hansjörg Dittus, DLR-Vorstand für Raumfahrtforschung und
-technologie. "Gemeinsam mit unseren japanischen und französischen Kollegen
haben wir mit MASCOT ein kleines Kapitel Raumfahrtgeschichte geschrieben."
MASCOT bewegte sich mit einem eingebauten Schwungarm über die Oberfläche.
"Nach der Landung und ersten Ruheposition musste MASCOT eine Lagekorrektur
durchführen, um die wissenschaftlichen Experimente passend auf die
Asteroidenoberfläche auszurichten", erklärt MASCOT-Projektleiterin Dr. Tra-Mi Ho
vom DLR-Institut für Raumfahrtsysteme in Bremen. "Danach folgten drei weitere
Positionsänderungen mit nachfolgenden Messungen."
Auf den Bildern, die während des Abstiegs von MASCOT und auf der Oberfläche
mit der Kamera aufgenommen wurden, sind hauptsächlich dunkle dezimeter- bis
metergroße kantige, manchmal aber auch glatte Felsblöcke zu sehen. Felsblöcke
mit glatten Bruchflächen und scharfen Kanten sind dabei etwas heller als Brocken
mit einer unregelmäßigeren, blumenkohlartigen und teilweise krümeligen
Oberfläche. Ryugu reflektiert nur viereinhalb Prozent des Sonnenlichts,
vergleichbar mit Holzkohle, und er gehört damit zu den dunkelsten Objekten im
Sonnensystem.
MASCam konnte sowohl tagsüber, als auch nachts Aufnahmen machen. Dafür war
das Kamerasystem mit Leuchtdioden ausgestattet, die ihre unmittelbare Umgebung
in verschiedenen, klar definierten Farbwellenlängen im sichtbaren Licht und
nahen Infrarot beleuchteten, um das Reflexionsverhalten der Umgebung in
unterschiedlichen Spektralkanälen aufzuzeichnen. Die beiden beobachteten
Felstypen sind zu etwa gleichen Teilen auf der Oberfläche auf Ryugu verteilt.
Daraus lassen sich zwei mögliche Entstehungsgeschichten ableiten: "Zum
einen", erklärt Jaumann, "könnte Ryugu nach der Kollision zweier Körper aus
unterschiedlichem Material entstanden sein, die dabei zerbrochen sind und die
Bruchstücke sich gravitativ zu einem neuen Körper mit den zwei unterschiedlichen
Felssorten zusammengefügt haben. Oder aber Ryugu ist das Überbleibsel eines
einzelnen Körpers, in dem es im Inneren Zonen verschiedene Temperatur- und
Druckbedingungen gab und so dort zwei Typen von Gesteinen entstanden sind."
Besonders staunten Prof. Ralf Jaumann und sein Team über das Fehlen von
Staub: "Die ganze Oberfläche von Ryugu ist von Gesteinsbrocken übersät, aber
nirgendwo haben wir Staub entdeckt! Der müsste wegen des Beschusses des
Asteroiden durch Mikrometeoriten über Milliarden von Jahren und deren
verwitternder Wirkung eigentlich vorhanden sein. Aber er ist entweder in
Hohlräumen verschwunden oder bei der geringen Schwerkraft von nur einem
Sechzigtausendstel der Erde ins All entwichen. Dies gibt einen Hinweis auf
komplexe geophysikalische Prozesse auf der Oberfläche dieses kleinen
Asteroiden."
Bisher sahen die MASCOT-Wissenschaftler bei Ryugu eher Ähnlichkeiten mit zwei
Meteoriten, die 1969 in Allende (Mexiko) und im australischen Murchison auf die
Erde fielen. Diese Meteoriten enthalten jedoch, vermutlich infolge der
verwitternden Wirkung von Kristallwasser, kaum helle Einsprengsel. Die jetzt
beobachteten hellen Inklusionen lassen die Wissenschaftler nun zu dem Ergebnis
kommen, dass die blumenkohlartigen Gesteine von Ryugu mehr Ähnlichkeiten mit
Meteoriten vom Tagish-See haben.
Am 18. Januar 2000 regneten nach der Explosion einer großen Feuerkugel über
Kanada hunderte kleine Meteoriten auf die Erde und zahlreiche Bruchstücke wurden
damals auf dem Eis des gefrorenen, namensgebenden Sees gefunden. Dabei handelt
es sich um sehr seltene Steinmeteoriten aus der Klasse der sogenannten CI-Chondriten.
Das C steht für das chemische Elements Kohlenstoff, und das 'I' für die
Ähnlichkeit mit dem Ivuna Meteoriten aus Tansania. Es sind mit die primitivsten
und ältesten Bestandteile des Sonnensystems, Überbleibsel der ersten festen
Körper, die in der stellaren Urwolke entstanden sind. Man nimmt an, dass sich
aus ihnen die Körper des Sonnensystems entwickelt haben.
Asteroid Ryugu gehört zu den 'Near-Earth Objects' (NEOs), also Asteroiden
oder Kometen, die der Erdbahn nahe kommen oder diese schneiden. Sie können
manchmal auch auf Kollisionskurs mit der Erde geraten. Die Bahn von Ryugu um die
Sonne verläuft nahezu parallel zur Erdbahn und nähert sich dieser – um 5,9 Grad
geneigt – bis auf eine Entfernung von etwa 100.000 Kilometer. Allerdings kommt
Ryugu dabei nie in unmittelbare Nähe der Erde. Trotzdem sind die Erkenntnisse zu
den Eigenschaften von Körpern der Art von Ryugu enorm wichtig für
Einschätzungen, wie solchen "Erdbahnkreuzern" im Fall der Fälle begegnet werden
könnte.
Während die Teilmission MASCOT abgeschlossen ist, führte Hayabusa2
zahlreiche weitere, zum Teil einzigartige Manöver durch, kartierte den
Asteroiden in hoher Auflösung und nahm durch Berührung der Asteroidenoberfläche
mit einem Rohr zur Probennahme Bestandteile von verschiedenen Punkten auf dem
urtümlichen Körper auf, die in einem Transportbehälter versiegelt mit der Sonde
Ende des Jahres zur Erde zurückfliegen wird, um in einer Landekapsel Ende 2020
zu landen.
Die Ergebnisse der MASCOT-Untersuchungen wurden jetzt in der Zeitschrift
Science veröffentlicht.
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