Der zentrale Balken der Milchstraße
Redaktion
/ Pressemitteilung des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam astronews.com
19. Juli 2019
Durch die Kombination der Ergebnisse der zweiten
Datenveröffentlichung der ESA-Mission Gaia mit ergänzenden
Beobachtungen haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine neue Karte
unserer Milchstraße erstellt, die deren zentrale Balkenstruktur zeigt. Möglichst
gemacht wurde dies durch die neue Bestimmung der Entfernungen zu etwa 150
Millionen Sternen.

Darstellung der Gaia-Daten kombiniert mit
anderen Durchmusterungen und StarHorse-Code über
einer Illustration der Milchstraße. Mittig ist
deutlich eine Balkenstruktur sichtbar.
Bild: NASA / JPL-Caltech / R. Hurt;
Starhorse Overlay: A. Khalatyan [Großansicht] |
Durch die Nutzung zusätzlicher Beobachtungen mit boden- und weltraumbasierten
Teleskopen im optischen und Infrarotbereich haben Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler des AIP und der Universität Barcelona kürzlich neue
Entfernungen, Sterneigenschaften und die interstellare Lichtabschwächung durch
Staub für etwa 150 Millionen Sterne in unserer Galaxie ermittelt. Dieser Ansatz
der Nutzung mehrerer Wellenlängenbereiche ermöglicht eine genauere Kartierung
der entferntesten Regionen der Milchstraße, erweitert ihre dreidimensionale
Ansicht über frühere Arbeiten hinaus und bildet erstmals den zentralen
galaktischen Balken deutlich ab.
"Wir haben uns insbesondere zwei der in den Gaia-Daten enthaltenen
Sternparameter angesehen: die Oberflächentemperatur der Sterne und die
Lichtabschwächung, die im Grunde genommen ein Maß dafür ist, wie viel Staub sich
zwischen uns und den Sternen befindet, ihr Licht verdeckt und es röter
erscheinen lässt", sagt Dr. Friedrich Anders von der Universität Barcelona.
"Diese beiden Parameter sind miteinander verbunden, aber wir können sie
unabhängig voneinander bewerten, indem wir zusätzliche Informationen hinzufügen,
die wir dadurch erhalten, dass wir mittels Infrarotbeobachtungen durch den Staub
hindurchschauen."
Das Team kombinierte die zweite Gaia-Datenveröffentlichung mit
mehreren Infrarot-Durchmusterungen unter Verwendung eines Computercodes namens
StarHorse, der von Anna Queiroz, Doktorandin in der Gruppe "Milchstraße und die
lokale Umgebung" am Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP),
mitentwickelt wurde. Der Code vergleicht die Beobachtungen mit Sternmodellen, um
die Oberflächentemperatur von Sternen, die Lichtabschwächung und eine
verbesserte Schätzung der Entfernung zu den Sternen zu bestimmen.
Dr. Arman Khalatyan, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Gruppe "Supercomputing
und E-Science" am AIP betont, dass "die Berechnung insgesamt 19 Jahre auf einem
einzigen Computer gedauert hätte. Mit der wachsenden Datenmenge werden in
Zukunft noch größere Anstrengungen erforderlich sein." Die Berechnungen wurden
in der Clusteranlage des AIP durchgeführt. Dadurch erreichten die Astronominnen
und Astronomen eine wesentlich bessere Bestimmung der Entfernungen zu etwa 150
Millionen Sternen – in einigen Fällen beträgt die Verbesserung bis zu 20 Prozent
oder mehr. Dies ermöglichte es ihnen, die Verteilung der Sterne über die
Milchstraße auf viel größere Entfernungen zu verfolgen, als dies nur mit den
ursprünglichen Gaia-Daten möglich war.
"Mit der zweiten Gaia-Datenveröffentlichung können wir einen Radius
um die Sonne von etwa 6500 Lichtjahren sondieren, aber mit unserem neuen Katalog
können wir diese 'Gaia-Kugel' um das Dreifache oder Vierfache erweitern, bis ins
Zentrum der Milchstraße", Dr. Cristina Chiappini, wissenschaftliche
Mitarbeiterin in der Gruppe "Milchstraße und die lokale Umgebung" am AIP. Dort,
im Zentrum unserer Galaxie, zeigen die Daten deutlich eine große, längliche
Struktur in der dreidimensionalen Verteilung der Sterne: der galaktischen
Balken.
"Wir wissen, dass die Milchstraße einen Balken hat, so wie andere
Balkenspiralgalaxien, aber bisher hatten wir nur indirekte Hinweise aus den
Bewegungen von Sternen und Gas oder aus der Sternenzählung in
Infrarotdurchmusterungen. Dies ist das erste Mal, dass wir den galaktischen
Balken im 3D-Raum sehen, basierend auf geometrischen Messungen von
Sternabständen", erläutert Anders.
"Wir interessieren uns letztendlich für Galaktische Archäologie: Wir wollen
rekonstruieren, wie sich die Milchstraße entwickelt hat, und dazu müssen wir die
Geschichte jedes einzelnen ihrer Bestandteile verstehen", ergänzt Chiappini. "Es
ist immer noch unklar, wie sich der Balken gebildet hat – eine große Menge an
Sternen und Gas, die sich starr um das Zentrum der Galaxie dreht – aber mit
Gaia und anderen bevorstehenden Durchmusterungen der nächsten Jahre sind
wir sicherlich auf dem richtigen Weg, dies herauszufinden."
Mit Blick auf die Zukunft freut sich Queiroz, dass "wir mit der nächsten
Gaia-Datenveröffentlichung, die auch niedrigauflösende Spektren für
Milliarden von Sternen beinhalten wird, noch bessere galaktische Karten
produzieren können, die möglicherweise bis zur anderen Seite der galaktischen
Scheibe reichen." Die dritte Gaia-Datenveröffentlichung, die derzeit für 2021
geplant ist, wird stark verbesserte Entfernungsbestimmungen für eine viel
größere Anzahl von Sternen beinhalten und soll Fortschritte beim Verständnis der
komplexen Region im Zentrum der Milchstraße ermöglichen.
"Spektroskopische Folgeuntersuchungen mit speziellen erdgebundenen Teleskopen
werden ergänzende Informationen liefern, insbesondere detaillierte
Fingerabdrücke der chemischen Zusammensetzung für viele Millionen Sterne", so
Chiappini. "In Kombination mit Gaia werden diese Untersuchungen,
darunter das 4-Meter spektroskopische Multi-Objekt-Teleskop (4MOST) an der
europäischen Südsternwarte und die WEAVE-Durchmusterung am
William-Herschel-Teleskop in La Palma es uns ermöglichen, die
Entstehungsgeschichte der Milchstraße viel detaillierter darzustellen."
Über ihre Ergebnisse berichtet die Gruppe in einem Fachartikel, der in
der Zeitschrift Astronomy and Astrophysics erschienen ist.
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