Milchstraße massereicher als gedacht
von Stefan Deiters astronews.com
6. Januar 2009
Mithilfe des Very Long Baseline Array (VLBA),
einer Zusammenschaltung von Radioteleskopen, haben Astronomen nun festgestellt,
dass die Milchstraße deutlich schneller rotiert als angenommen. Dadurch ergibt
sich für unsere Heimatgalaxie auch eine größere Masse, was wiederum Kollisionen
mit anderen Galaxien in der Umgebung wahrscheinlicher macht.
Künstlerische
Darstellung der Milchstraße. Die Punkte geben an,
wo die Astronomen Entfernungen bestimmt haben.
Bild: Robert Hurt (IPAC) / Mark Reid (CfA)
/ NRAO / AUI / NSF |
Die jetzt festgestellte höhere Rotationsgeschwindigkeit der
Milchstraße bedeutet gleichzeitig, dass unsere Heimatgalaxie eine etwa 50
Prozent höhere Masse hat als bislang vermutet worden war und damit mit der
Andromeda-Galaxie gleichzieht. "Wir sollten uns unsere Milchstraße nicht länger
als kleine Schwester der Andromeda-Galaxie vorstellen", meint auch Mark Reid vom
Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics, der an den Untersuchungen
beteiligt war. Die größere Masse würde zudem dazu führen, dass unsere
Milchstraße eine stärkere gravitative Anziehungskraft hat, was die
Wahrscheinlichkeit einer Kollision mit anderen Galaxien in unserer Umgebung
größer werden lässt.
Unser Sonnensystem - und damit auch die Erde - befindet sich rund
28.000 Lichtjahre vom Zentrum der Milchstraße entfernt. Hier kreist es
nach den neuen Untersuchungen mit einer Geschwindigkeit von etwa 960.000
Kilometern pro Stunde auf seinem galaktischen Orbit - zuvor war man von
einer Bahngeschwindigkeit von "nur" rund 800.000 Kilometern pro Stunde
ausgegangen.
Die Ergebnisse verdanken die Wissenschaftler neuen Messungen mit dem Very
Long Baseline Array (VLBA), einer Zusammenschaltung von Radioteleskopen,
die über den gesamten nordamerikanischen Kontinent verteilt sind. Dies
ermöglicht einen ausgesprochen detaillierten Blick ins All. Die Astronomen
nutzen das VLBA schon seit einiger Zeit, um damit eine möglichst genaue Karte
der Entfernungen und Bewegungen in unserer Heimatgalaxie zu erstellen und
präsentierten ihre Ergebnisse jetzt auf einem Treffen der Amerikanischen
Astronomischen Gesellschaft im kalifornischen Long Beach.
Die Astronomen beobachteten mit dem VLBA bestimmte Sternentstehungsgebiete,
in denen sogenannte kosmische Maser (Microwave Amplification by Stimulated
Emission of Radiation), also dem Laser vergleichbare Verstärker von
Radiowellen, vorkommen. Durch wiederholte Beobachtungen der Objekte zu Zeiten,
in denen sich die Erde möglichst auf gegenüberliegenden Teilen ihrer Bahn um die
Sonne befindet, können die winzigen scheinbaren Positionsänderungen der Maser
vor dem Hintergrund der weiter entfernten Objekte festgestellt werden.
"Die neuen VLBA-Beobachtungen der Milchstraße liefern sehr genaue Messungen
von Entfernungen und Geschwindigkeiten", erläutert Teammitglied Karl Menten vom
Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn. "Dabei nutzt man die
traditionelle Methode der Triangulation und braucht keine weiteren Annahmen
beispielsweise über die Helligkeit wie bei anderen Verfahren."
So stellten die Wissenschaftler fest, dass sich ihre direkten
Entfernungsmessungen von früheren, mit anderen Verfahren ermittelten
Entfernungen teilweise bis zu einem Faktor zwei unterschieden. Die beobachteten
Sternentstehungsregionen sind aber für unsere Vorstellung vom Aussehen der
Milchstraße von besonderer Bedeutung, da sie die Position der Spiralarme
markieren.
"Diese Messungen verändern unsere Vorstellung von der Struktur und den
Bewegungsabläufen in der Galaxie", so Menten. "Da wir uns selbst in der
Milchstraße befinden, ist es nicht gerade leicht, die Struktur der Milchstraße
zu bestimmen. Bei anderen Galaxien kann man die Struktur einfach beobachten,
aber diese Vogelperspektive haben wir für die Milchstraße nicht. Deswegen müssen
wir durch genaues Kartieren und Vermessen etwas über ihre Struktur lernen."
Die neuen Daten lieferten noch weitere Überraschungen: So scheinen
sich die untersuchten Sternentstehungsgebiete nicht auf kreisförmigen
Bahnen um das Zentrum der Milchstraße zu bewegen, sondern auf
elliptischen - und dies langsamer als andere Bereiche. Die Astronomen
führen dies auf Prozesse bei der Entstehung der Spiralstruktur zurück.
Zudem fanden sie Hinweise darauf, dass unsere Milchstraße vielleicht
nicht nur zwei, sondern vier Spiralarme hat, in denen Sterne entstehen.
Doch seien noch detaillierter Daten nötig, um hier weitere Aussagen
machen zu können. Untersuchungen mit dem Infrarot-Weltraumteleskop
Spitzer hatten im Sommer des vergangenen Jahres darauf hingedeutet,
dass die Milchstraße nur zwei große Spiralarme hat (astronews.com
berichtete).
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