Die Schwerkraft und der Klimawandel
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Deutschen GeoForschungsZentrums GFZ astronews.com
17. April 2019
Mit dem Satellitenduo GRACE wurde rund 15 Jahre lang das
Erdschwerefeld präzise kartiert. Dank dieser Messungen konnte man den irdischen
Wasserkreislauf, die Massenbilanz von Eisschilden und Gletschern oder die
Veränderung des Meeresspiegels gezielt verfolgen. Diese Daten sind auch für ein
besseres Verständnis des Klimawandels von Bedeutung.

Die Satelliten-Zwillinge GRACE mit dem
Schwerefeld der Erde.
Bild: AIRBUS/GFZ [Großansicht] |
Am 17. März 2002 startete das deutsch-US-amerikanische Satellitenduo GRACE
(Gravity Recovery and Climate Experiment), um das globale Erdschwerefeld so
präzise zu kartieren wie nie zuvor. Die Mission dauerte schließlich gut 15 Jahre
– und damit mehr als dreimal so lang wie erwartet. Als die beiden Satelliten
Ende 2017 beziehungsweise Anfang 2018 in der Erdatmosphäre verglühten, hatten
sie das Gravitationsfeld der Erde und dessen Veränderungen mit der Zeit in mehr
als 160 Monaten aufgezeichnet.
Diese sogenannte zeitaufgelöste Satellitengravimetrie ermöglicht es unter
anderem, den irdischen Wasserkreislauf, die Massenbilanz von Eisschilden und
Gletschern oder die Veränderung des Meeresspiegels zu überwachen und so die
Mechanismen des globalen Klimasystems besser zu verstehen, wichtige Trends
genauer zu bewerten und mögliche Folgen vorherzusagen.
GRACE erzeugte die erste direkte Messung des Eismassenverlustes von
Eisschilden und Gletschern überhaupt. Zuvor war es lediglich möglich gewesen,
die Massen und ihre Veränderungen über indirekte Methoden abzuschätzen. Bereits
innerhalb der ersten zwei Jahre der Mission gelang es, klare Signale des
Eismassenverlustes in Grönland und der Antarktis zu beobachten. Aus den
Messdaten ließ sich ableiten, dass 60 Prozent des Massenverlusts in Grönland auf
ein stärkeres Schmelzen aufgrund höherer Temperaturen zurückgehen, während sich
40 Prozent auf den Zufluss von Eis in die Ozeane zurückführen lassen.
Nach den GRACE-Daten hat zwischen April 2002 und Juni 2017 Grönland jährlich
etwa 260 Milliarden Tonnen Eis pro Jahr verloren, die Antarktis rund 140
Milliarden Tonnen. Neben langjährigen Trends liefern die Schwerefeld-Daten auch
Belege für die direkten Auswirkungen globaler Klimaphänomene wie "El Niño" auf
Eisschilde und Gletscher weltweit.
Zu den wirkungsmächtigsten Beiträgen der GRACE-Mission gehört die Enthüllung
der sich verändernden Süßwasserlandschaft der Erde. Diese Veränderungen haben
tiefgreifende Auswirkungen auf die Sicherheit der Wasser- und
Nahrungsmittelversorgung und somit auch die der Menschen. Globale Abschätzungen
der von GRACE offengelegten Trends deuten auf eine zunehmende Wasserspeicherung
in hohen und niederen Breitengraden hin, während die Speicherung in mittleren
Breiten abnimmt.
Obwohl die Aufzeichnungen von GRACE nur relativ kurz zurückreichen, war diese
Beobachtung weitreichender Veränderungen im globalen Wasserkreislauf eine
wichtige frühzeitige Bestätigung der von den Klimamodellen für das 21.
Jahrhundert vorhergesagten Veränderungen. Die GRACE-Daten helfen auch dabei, die
Höhe des Meeresspiegels genauer analysieren und beurteilen zu können, denn die
Speicherung von Süßwasser an Land ist über verschiedene Mechanismen mit der Höhe
des Meeresspiegels verbunden.
Analysen der GRACE-Daten haben zudem die ersten Abschätzungen von
Veränderungen der Grundwasserniveaus aus dem Weltraum ermöglicht. Sie bestätigen
eine übermäßige Grundwasserentnahme aus einzelnen Grundwasserleitern auf der
ganzen Erde. Die Daten zur irdischen Wasserspeicherung haben außerdem zur
Überprüfung und Verbesserung verschiedener Klimamodelle beigetragen.
Innerhalb dieses Jahrhunderts könnte sich der Anstieg des Meeresspiegels auf
10 Millimeter pro Jahr beschleunigen – ein in den vergangenen 5000 Jahre nie
erreichter Wert und eine tiefgreifende und direkte Folge eines sich erwärmenden
Klimas. Zwar gibt es seit Anfang der 1990er Jahre hochpräzise
Meeresspiegelmessungen, aber diese zeigen nur die absolute Höhenänderung der
Meeresoberfläche. In den 25 Jahren zwischen 1993 und 2017 stieg der
Meeresspiegel demnach jährlich um durchschnittlich 3,1 Millimeter. Um
herauszufinden, wie sich die wärmebedingte Ausdehnung des Wassers, schmelzendes
Eis und der Zufluss von Land jeweils auf den Meeresspiegel auswirken, muss man
aber die Massenverteilung des Wassers untersuchen.
Mithilfe von GRACE ließ sich feststellen, dass von dem durchschnittlichen
jährlichen Meeresspiegelanstieg um 3,8 Millimeter zwischen 2005 und 2017 2,5
Millimeter auf den Zufluss von Wasser oder anderer Masse zurückgehen und 1,1
Millimeter auf die Wärmeausdehnung des Wassers. Diese Zusammensetzung zu
entschlüsseln ist für Prognosen der Meeresspiegelhöhe wichtig. GRACE-Daten
liefern eine obere Schranke für die Veränderung der Ozeanmasse und somit
indirekt auch eine für die Energiebilanz der Erde, die ein grundlegendes
globales Maß des Klimawandels darstellt.
So konnte mithilfe von GRACE gezeigt werden, dass der Großteil der durch den
Temperaturanstieg freiwerdenden Wärme in den oberen 2000 Metern der Meere, die
die wichtigste Energiesenke des Klimawandels sind, verbleibt. GRACE trägt
außerdem dazu bei, die Dynamik und den Einfluss von Meeresströmungen besser zu
verstehen und entsprechende Modelle zu verfeinern, insbesondere für den
arktischen Ozean.
Das GFZ betrieb die GRACE-Mission zusammen mit dem Deutschen Zentrum für
Luft- und Raumfahrt und auf US-amerikanischer Seite mit dem Jet Propulsion
Laboratory der Raumfahrtbehörde NASA. Im Mai 2018 startete die
Nachfolgemission GRACE Follow-on (GRACE-FO). Erste monatliche Schwerefeldkarten
sollen Ende Juli dieses Jahres den internationalen Nutzern zur Verfügung stehen.
Unerwartete Schwierigkeiten sorgten für eine Verzögerung des Messbeginns.
"Ursache war der Ausfall einer Steuerungseinheit", erklärt Frank Flechtner vom
GFZ. "Das machte es notwendig, auf die für solche Szenarien eingebaute
Ersatzeinheit zu wechseln. Nun aber ist mit GRACE-FO eine mehr als zwei
Jahrzehnte lange Aufzeichnung der Massenveränderungen im System Erde in
Reichweite."
Die Highlights im Bereich Klimaforschung, die auf GRACE-Beobachtungen
beruhen, sind in einer jetzt erschienenen Übersichtsarbeit im Fachjournal
Nature Climate Change nachzulesen.
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