Zehn Jahre Erdschwerefeld im Visier
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ astronews.com
19. März 2012
Seit zehn Jahren umrunden die Satellitenzwillinge der Mission
GRACE die Erde. Die beiden Sonden Tom und Jerry haben
dabei das Schwerefeld unseres Heimatplaneten mit hoher Genauigkeit
vermessen. Die Daten liefern den Forschern auch wichtige Informationen über den
Klimawandel, etwa den damit verbundenen Rückgang des Gletschereises auf
Grönland.
Das
Satellitenduo GRACE umkreist seit zehn Jahren die
Erde und erfasst dabei das Schwerefeld des
Planeten mit großer Genauigkeit.
Bild: GFZ / Astrium |
Der Gletscherschwund auf Grönland konnte jetzt erstmals mit hoher
Genauigkeit aus dem All gemessen werden. Pünktlich zum zehnten
Geburtstag der Zwillingssatelliten GRACE (Gravity Recovery and
Climate Experiment) ergibt sich ein scharfes Bild, das auch die
räumliche Verteilung der Gletscherschmelze präzisiert. Bis zu 240
Gigatonnen Massenverlust musste der grönländische Eisschild zwischen
2002 und 2011 verkraften. Das entspricht einem Meeresspiegelanstieg von
etwa 0,7 mm pro Jahr. Möglich wurden diese Aussagen durch die
hochgenauen Messungen der GRACE-Mission, deren Datensatz ein bisher
unerreicht genaues Bild der Erdanziehungskraft ergeben.
"Ändert sich die Eismasse Grönlands, so ändert sich dort auch die
Anziehungskraft", erläutert Dr. Frank Flechtner vom Deutschen
GeoForschungsZentrum GFZ. "Die GRACE-Schwerefeldmessungen geben uns
daher Auskunft über Massenänderungen, auch die klimabedingten". Aber
nicht nur das. Die ungleichmäßige Massenverteilung auf und in unserem
Planeten führt dazu, dass aufgrund der dadurch entstehenden Variabilität
der Erdanziehung die Erde eine unregelmäßige Form hat, die von der
Kugelgestalt deutlich abweicht. Als "Potsdamer Schwerekartoffel" hat das
so genannte Geoid globale Bekanntheit erreicht.
Aber auch diese Kartoffelform unterliegt zeitlichen Wandlungen. Während
der letzten Eiszeit lag ein kilometerdicker Eispanzer über Nordamerika
und Skandinavien. Seit dem Wegschmelzen dieser Eismassen hebt sich hier
die von der Eislast befreite Erdkruste bis heute in die Höhe, was dazu
führt, dass im Erdinnern, im Mantel, Masse nachfließt. Mit GRACE lässt
sich diese glazial-isostatische Anpassung erstmals als Änderung der
Geoidhöhe global präzise erfassen: Eiszeiten wirken lange nach, bis
heute, besonders deutlich unter Nordamerika und Skandinavien.
Am 17. März 2012 waren die beiden GRACE-Zwillingssatelliten genau zehn
Jahre im Orbit. Tom und Jerry haben die
Wissenschaftler sie getauft, weil sie auf exakt der gleichen Bahn
hintereinander her um die Erde kreisen. Seit ihrem Start vom russischen
Weltraumbahnhof in Plesetsk haben die beiden Satelliten die Erde mehr
als 55.000-mal auf einer polnahen Bahn in etwa 450 bis 500 Kilometer
Höhe und einem Abstand von etwa 220 Kilometer umrundet und dabei
kontinuierlich Messdaten gesammelt. GRACE ist ein gemeinsames Projekt
der amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA und des Deutschen Zentrums für
Luft- und Raumfahrt (DLR). Mit GRACE beauftragte die NASA erstmals ein
nicht-amerikanisches Unternehmen zum Bau von Satelliten. Astrium in
Friedrichshafen, die auch den Satelliten CHAMP des GFZ gebaut hatten,
baute das Satellitenduo.
Das primäre wissenschaftliche Ziel der GRACE-Satellitenmission ist, das
Schwerefeld der Erde und seine zeitlichen Veränderungen im globalen
Maßstab mit nie da gewesener Genauigkeit zu vermessen. Wäre die Erde
eine homogen aufgebaute Kugel, würden die beiden Satelliten auf exakten
Ellipsenbahnen um die Erde kreisen. Doch die ungleiche Massenverteilung
verursacht Bahnstörungen. "Deren Analyse ermöglicht umgekehrt, die
unregelmäßige Struktur des Erdschwerefeldes abzuleiten", erklärt
Flechtner. "Dazu müssen die Satellitenbahnen allerdings hochpräzise
vermessen werden. Jeder der beiden GRACE-Satelliten ist daher mit einem
GPS-Empfänger zur Positionsbestimmung, einem Beschleunigungsmesser zur
Korrektur von Störkräften durch die Restatmosphäre und die
Sonneneinstrahlung sowie zwei Sternsensoren zur Bestimmung der
Satellitenlage im Raum ausgerüstet."
Herzstück ist jedoch das am Jet Propulsion Laboratory der NASA entwickelte ultrapräzise
Abstandsmesssystem, welches es erlaubt, den gegenseitigen Abstand der
beiden Satelliten kontinuierlich mit einer Präzision von einer
Zehntel-Haaresbreite zu vermessen. Aus dem variierenden Abstand der
beiden Satelliten leiten Wissenschaftler des GFZ das Schwerefeld der
Erde ab. Etwa alle 30 Tage hat das Satellitenpaar dabei genug Daten für
eine vollständige globale Karte gesammelt. Diese monatliche Vermessung
der Erdanziehung ist mindestens 100-mal genauer als jedes andere
Vorgängermodell und damit für die Forschung am GFZ und für die
internationale Nutzergemeinschaft Gold wert. "Viele Prozesse im
Klimageschehen unseres Planeten sind nämlich von großräumigen
Wassermassenumverteilungen begleitet, die im Schwerefeld sichtbar
werden", weiß Flechtner.
Auch die seit 1995 entstandene "Potsdamer Schwerekartoffel" wurde mit
GRACE entscheidend genauer. Diese ist keine Spielerei, sondern wird
benötigt, um beispielsweise die Bahnen von geodätischen Satelliten zu
verbessern und daraus präzise globale Referenzsysteme abzuleiten - eine
unabdingbare Voraussetzung für die Kombination und Auswertung
verschiedener globaler Sensorsysteme wie dem Global Positioning System
(GPS).
Ein weiteres wissenschaftliches Ziel der GRACE-Mission ist, täglich etwa
150 global verteilte vertikale Temperatur- und Wasserdampfprofile aus
GPS-Daten abzuleiten. Diese Daten werden vom GFZ mit einer eigenen
Empfangsstation in Ny Ålesund auf Spitzbergen empfangen und innerhalb
von maximal zwei Stunden den weltweiten Wetterzentren zur Verbesserung
globaler Vorhersagen bereitgestellt. Zusätzlich werden diese Daten für
Untersuchungen zu klimabedingten Veränderungen der Erdatmosphäre
genutzt.
GRACE war von Beginn an als internationales Programm geplant. "Zum
zehnten Geburtstag haben sich die Forscher des GFZ ein besonderes
Geschenk für die weltweit mehr als 3000 Nutzer ausgedacht", freut sich
Professor Reinhard Hüttl, der Vorstandsvorsitzende des GFZ. "Die gesamte
Mission wurde nochmals mit verbesserten Korrekturmodellen,
Instrumentendaten und Prozessierungsmethoden durchgerechnet." Erste
Analysen zeigen, dass die Genauigkeit der Schwerefeldmodelle nochmals um
den Faktor Zwei verbessert werden konnte. Diese neuen Modelle wurden
über das Information System and Data Center (ISDC) des GFZ an die
globalen Nutzer am 17. März freigegeben.
GRACE arbeitet wie seine Vorgängermission CHAMP am 17. März bereits
doppelt so lang wie ursprünglich geplant. Ein Ende der Mission ist
allerdings absehbar, weshalb das GFZ gemeinsam mit den US-Kollegen
bereits eine Nachfolgemission auf den Weg gebracht hat. "Wir hoffen,
dass Weihnachten 2016 zwei GRACE-FO (Follow-on) Satelliten um die Erde
kreisen, denn nur lange Zeitreihen können zuverlässige Aussagen über
globale Trends im Klimageschehen liefern", zeigt sich Hüttl
zuversichtlich.
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