16 Supernovae in 13 Millionen Jahren
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Technischen Universität Berlin astronews.com
7. April 2016
Die Untersuchung des Vorkommens eines bestimmten
Eisenisotops kombiniert mit theoretischen Modellrechnungen lieferte jetzt neue
Informationen darüber, wo es in jüngerer Vergangenheit Supernovae-Explosionen in
der Nähe der Sonne gab. Die nächstgelegenen Explosionen ereigneten sich
danach vor über eine Million Jahren in mehr als 250 Lichtjahren Entfernung.

Wie viele Supernova-Explosionen
ereigneten sich in der jüngeren Vergangenheit in
der Nähe des Sonnensystem? Ein bestimmtes
Eisenisotop half nun, diese Frage zu beantworten. Bild:
ESO / M. Kornmesser [Großansicht] |
Wann und wo sind Sterne in jüngster Vergangenheit in der Nähe des Sonnensystems
explodiert? Diese Frage glauben Wissenschaftler jetzt geklärt zu haben: Mithilfe
ausgefeilter Modellrechnungen konnte ein Forscherteam zeigen, dass in den
vergangenen 13 Millionen Jahren 16 Supernovae nahe der Erde stattfanden.
Die Forscher unter Leitung von Prof. Dr. Dieter Breitschwerdt von der
Technischen Universität Berlin nutzten für ihre Untersuchungen 60Fe,
ein radioaktives Eisenisotop, das nur in Riesensternen und Supernovae erzeugt
wird. Das Isotop diente als Indikator für die Entfernung und den Zeitpunkt der
Explosionen. Eine andere Forschergruppe der Australian National University
hat ergänzend dazu genaue Messungen von 60Fe an mehreren Stellen im
Ozeanboden vorgenommen, die die These unterstützen.
Am Ende ihres Lebens produzieren massereiche Sterne viele neue Elemente, unter
anderem auch langlebige radioaktive Isotope, die über Millionen von Jahren
zerfallen. Dazu gehört 60Fe. Dieses Eisenisotop hat eine Halbwertzeit
von 2,6 Millionen Jahren und kommt auf der Erde praktisch nicht natürlich vor.
Wenn solche Sterne mit mehr als der achtfachen Masse unserer Sonne schließlich
sterben, dann in einer gewaltigen Explosion, einer sogenannten Supernova.
Dabei wird so viel Energie in Form von Strahlung und Teilchen freigesetzt, dass
alle Sterne in einer Galaxie für kurze Zeit überstrahlt werden. In den ersten
Wochen strahlt eine solche Supernova, die in unserer Nähe stattfindet, so hell
wie der Vollmond und kann dann sogar am Taghimmel beobachtet werden.
Massereiche Sterne sind die Chemiefabriken des Universums, die durch Kernfusion
alle Elemente synthetisieren, die schwerer sind als Helium. Auch das radioaktive
Eisenisotop 60Fe wird bei der Explosion in den interstellaren Raum
geschleudert. Geschieht dies nahe genug an unserem Sonnensystem können Teile
davon auch auf die Erde gelangen.
Bereits 1999 erbrachten Wissenschaftler den Nachweis dafür, dass sich
extraterrestrisches 60Fe auf unserem Planeten befindet, und zwar - in
geringen Konzentrationen - in Mangankrusten auf dem Grund des Pazifischen
Ozeans. Diese Manganknollen verändern sich sehr langsam. Die aufgewachsenen
Schichten geben, wie Baumringe, eine zeitliche Verteilung des 60Fe wieder. 2004
zeigte eine genauere Messung ein sehr deutliches Signal, dessen Entstehung 2,2
Millionen Jahre zurückliegt.
Das Forscherteam um Breitschwerdt und seinen wissenschaftlichen Mitarbeitern Dr.
Jenny Feige und Dr. Michael Schulreich sowie Prof. Dr. Miguel Avillez von der
Universität im portugiesischen Evora und Christian Dettbarn und Prof. Dr.
Burkhard Fuchs vom Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg beschäftigt
sich schon seit mehreren Jahren mit der Entstehung der sogenannten "Lokalen
Blase". Dabei handelt es sich um eine Region, in die unser Sonnensystem
eingebettet ist, die mit heißem Gas gefüllt ist und die weiche Röntgenstrahlung
emittiert.
In dieser Blase, die eine Ausdehnung von etwa 600 mal 600 mal 1.200 Lichtjahren
hat, herrschen Temperaturen zwischen 100.000 und mehreren Millionen Grad
Celsius. Die Röntgenstrahlung, die die Erde erreicht, wird schon in den oberen
Schichten der Atmosphäre absorbiert und ist daher völlig ungefährlich. In ihrer
Untersuchung stellen die Forscher erstmalig quantitativ einen Zusammenhang
zwischen der Entstehung der "Lokalen Blase" durch Supernovae und dem auf dem
Ozeanboden gefundenen 60Fe her.
Die Forscher konnten aus Daten des Astrometrie-Satelliten Hipparcos und
einem Katalog für Radialgeschwindigkeiten, kompiliert am Astronomischen
Rechen-Institut, die vollständige Raumbewegung aller Sterne in einem Volumen von
1.200 Lichtjahren Durchmesser berechnen. So fanden sie eine Bewegungsgruppe von
Sternen, in der in den letzten 13 Millionen Jahren Supernovae explodiert sind.
Dazu benutzten die Wissenschaftler ein empirisches aus Beobachtungen
abgeleitetes Gesetz, aus dem man die bereits explodierten Sterne und deren Masse
berechnen kann, und zwar anhand der Anzahl der noch vorhandenen Sterne in der
Gruppe. Ferner weiß man, dass Sterne in einer solchen Gruppe gemeinsam
entstanden und daher gleich alt sind. Das Alter der Sternassoziation selbst
lässt sich aus Sternentwicklungsrechnungen ableiten; das Alter der einzelnen
Sterne korreliert mit ihrer Masse, wodurch die Explosionszeiten der Supernovae
berechnet werden konnten.
Die Explosionssorte bestimmten die Wissenschaftler aus der Raumbewegung (unter
Berücksichtigung von Ungenauigkeiten der Messung in den Hipparcos-Daten) der
Bewegungsgruppe zurück in die Vergangenheit von ihrem heutigen Aufenthaltsort,
der in der Scorpius-Centaurus-Assoziation liegt.
Dies war der Ausgangspunkt der mehrjährigen Forschungsarbeit des Teams, das
sowohl analytische als auch hochaufgelöste numerische Rechnungen der Entstehung
der "Lokalen Blase" sowie des 60Fe-Transports von seinem jeweiligen
Ursprungsort der betreffenden Supernova bis zur Erde durchgeführt hat.
Insbesondere in den aufwendigen numerischen Simulationen, in die auch die
Entwicklung der Nachbarblase Loop I sowie ein komplettes interstellares Medium
mit einer dreidimensionalen Ausdehnung von nahezu 10.000 Lichtjahren mit weiter
entfernten Supernovae miteinbezogen wurden, konnten sehr viele Details der
Entstehung der "Lokalen Blase" und des 60Fe-Transports zur Erde
berechnet werden.
Die Forscher konnten zeigen, dass etwa 16 Supernovae in den letzten 13 Millionen
Jahren die "Lokale Blase" erzeugt haben. Sie sind auch für das 60Feverantwortlich,
das auf dem Ozeanboden gefunden wurde. Die Simulationen ergaben, dass etwa die
Hälfte des gemessenen 60Fe von zwei Supernovae stammt, die vor 2,3
beziehungsweise 1,5 Millionen Jahren in den heutigen Sternbildern Wolf und Waage
explodiert sind. Die andere Hälfte trugen 14 Sternexplosionen bei, die weiter
weg stattfanden. Die beiden nächstgelegenen Supernovae, deren Urspungssterne
etwa das Neunfache der Sonnenmasse hatten, fanden 270 beziehungsweise 300
Lichtjahre entfernt statt – weit genug, dass daraus keine direkte Schädigung der
Biosphäre entsteht.
Auch die zweite Untersuchung eines internationalen Forscherteam aus Australien,
Deutschland, Österreich, Israel und Japan zeigt, dass das gemessene 60Fe
aus mehreren Supernova-Explosionen stammt. Das Team, geleitet von Dr. Anton
Wallner von der Australian National University, untersuchte dafür den
Isotopengehalt und das Alter von mehreren Tiefseeproben von Sedimenten,
Manganknollen und -krusten aus Pazifik, Südatlantik und Indischem Ozean.
Es konnte so nachgewiesen werden, dass in all diesen Tiefseearchiven 60Fe-Isotope
in bestimmten Altersschichten stecken. Das Alter der Schichten wiederum wurde
mit Hilfe der terrestrischen Radioisotope 10Be und
26Al bestimmt. In mehreren
Altersschichten fanden sich 60Fe-Atome, und zwar in 1,7 bis 3,2
Millionen Jahre alten Schichten sowie in solche, die 6,5 bis 8,7 Millionen Jahre
alt sind.
Man könne davon ausgehen, so Breitschwerdt, dass das 60Fe global
vorkommt, da es in Proben aus verschiedenen Fundorten in den Ozeanen gemessen
wurde. Vor allem zeigten die beiden Studien, dass man mit präzisen
Labormessungen von langlebigen radioaktiven Isotopen und theoretischen
Modellrechnungen galaktische Archäologie in der Umgebung unseres Sonnensystems
betreiben kann.
Die Ergebnisse der beiden Studien wurden jetzt in zwei Fachartikeln
veröffentlicht, die in der Wissenschaftszeitschrift Nature erschienen
sind.
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