Planetenentstehung um Doppelstern
von Stefan Deiters astronews.com
15. Februar 2016
Mithilfe des Radioteleskopverbunds ALMA ist Astronomen ein
detaillierter Blick auf eine ausgedehnte Staubscheibe um ein junges
Doppelsternsystem gelungen. Dabei fiel den Wissenschaftlern eine Region auf, in
der es praktisch kein Gas mehr zu geben scheint. Die Beobachtung könnte
helfen, die Vorgänge bei der Entstehung von Planeten um Doppelsterne besser zu
verstehen.

ALMA-Beobachtung der Scheibe um HD 142527.
Blaue und grüne Bereiche zeigen das Vorkommen von
Kohlenmonoxid-Gas. Der rote Bereich ist praktisch
gasfrei. In der Bildmitte wurden die Bahnen der
beiden Zentralsterne einmontiert.
Bild: Andrea Isella / Rice University; B.
Saxton (NRAO / AUI / NSF); ALMA (NRAO / ESO /
NAOJ) [Großansicht] |
Doppel- und Mehrfachsternsysteme sind in unserer Milchstraße nicht etwa die
Ausnahme, sondern eher die Regel: Viele Sonnen entstehen als Doppelsterne
und umrunden einander. Da stellt sich natürlich die Frage, ob sich um solche
Doppelsterne auch Planeten bilden und über einen längeren Zeitraum existieren
können.
Lange hielt man dies für eher unwahrscheinlich: Die durch die sich
umrundenden Sonnen entstehenden Gegebenheiten dürfte die Entstehung von Planeten
in bestimmten Regionen grundsätzlich ausschließen. Wenn diese aber entstehen, so die ersten
Modelle, dürften sie durch das gravitative Wechselspiel der Zentralsterne auf
sehr exotische Bahnen geraten und eventuell sogar aus dem System hinausgekickt
werden.
Als man in den letzten Jahren immer mehr Planeten auch um Doppelsterne
entdeckte, musste man allerdings zur Kenntnis nehmen, dass diese sich offenbar
tatsächlich bilden können und ihre Zentralsterne auch nicht auf den exotischen
Bahnen umlaufen, die man eigentlich erwartet hatte. Im Gegenteil: Die Planeten
umrunden ihre Sonnen oft auf überraschend stabilen Orbits.
Um mehr über die Planetenentstehung in Doppelsternsystemen zu erfahren, haben
Astronomen jetzt mithilfe des Radioteleskopverbunds ALMA die ausgedehnte
protoplanetare Scheibe um den Doppelstern HD 142527 untersucht, der sich rund
450 Lichtjahre von der Erde entfernt in einer Ansammlung junger Sterne, der
sogenannten Scorpius-Centaurus Assoziation, befindet.
Das System besteht aus einem Stern mit etwas mehr als der doppelten Masse
unserer Sonne und einem kleineren Begleiter, der nur etwa ein Drittel der Masse
der Sonne aufweist. Die beiden Sterne sind etwa so weit voneinander entfernt,
wie der Ringplanet Saturn von der Sonne.
"Dieses Doppelsternsystem ist schon länger dafür bekannt, dass es von einem
Bereich aus Gas und Staub umgeben ist, in dem Planeten entstehen", erläutert
Andrea Isella von der Rice University in Houston. "Die neuen ALMA-Bilder zeigen
bislang unbekannte Details über die physikalischen Prozesse, die die Entstehung
von Planeten in diesem System beeinflussen - und vielleicht auch in vielen anderen
Doppelsternsystemen."
Planeten entstehen, so die Theorie der Astronomen, in Scheiben aus Gas und
Staub um junge Sterne. Es handelt sich dabei um Material, das von der Entstehung
der Sterne übrig geblieben ist. In dieser Scheibe verklumpen im Laufe der Zeit
Staubpartikel zu immer größeren Brocken, bis schließlich Asteroiden und Planeten
entstanden sind. Die Details jedoch sind noch nicht vollständig verstanden.
Durch detaillierte Beobachtungen ganz verschiedener protoplanetarer
Staubscheiben hoffen die Astronomen, neue Hinweise auf die beteiligten Prozesse
zu finden. Und dabei könnten sie in der Scheibe um HD 142527 eine interessante
Entdeckung gemacht haben: Diese Scheibe beginnt in einer Entfernung von den
Zentralsternen, die etwa der 50-fachen Entfernung der Erde von der Sonne
entspricht und besteht hauptsächlich aus Gas, darunter auch zwei Formen von
Kohlenmonoxid, die mit ALMA beobachtet wurden.
In einem großen hufeisenförmigen Bereich der Scheibe allerdings findet sich
praktisch kein Gas. Die Entstehung dieses Bereichs könnte das Ergebnis der speziellen gravitativen Begebenheiten in dem Doppelsternsystem sein und könnte, so Isella,
eventuell auch der Schlüssel zur Entstehung von Planeten in solchen Systemen
sein. So wäre es möglich, dass das Gas in diesen Regionen gefroren ist und die
vorhandenen Staubpartikel mit einer dünnen Eisschicht überzogen hat.
"Die Temperaturen sind so niedrig, dass das Gas zu Eis wird und am Staub
kleben bleibt", so Isella. "Man nimmt an, dass dieser Prozess die Fähigkeit von
Staubpartikeln, sich zu größeren Gebilden zu vereinen, verstärkt und damit ein
wichtiger Katalysator für die Entstehung von größeren Objekten und schließlich
auch von Planeten ist."
"Wir untersuchen protoplanetare Scheiben schon seit mindestens 20 Jahren",
erläutert Isella. "Es gibt einige Hunderte bis zu einigen Tausenden, die wir mit
ALMA noch einmal beobachten können und dann neue überraschende Details finden. Das
ist das Schöne an ALMA. Immer wenn man neue Daten erhält, ist das wie ein
Geschenk: Man weiß nicht, was drin ist."
Die Ergebnisse der Beobachtungen wurden am Wochenende auf der Jahrestagung
der American Association for the Advancement of Science in Washington
vorgestellt.
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