Sonnenzyklus beeinflusst lokales Klima
Redaktion
/ Pressemitteilung der Universität Mainz astronews.com
27. August 2012
Welchen Einfluss hat der elfjährige Aktivitätszyklus der
Sonne auf das Erdklima? Um darüber eine belastbare Aussage machen zu können,
fehlte Wissenschaftlern bislang eine ausreichende Datenbasis. Ein Mainzer
Forscher hat diese nun praktisch vor seiner Haustür entdeckt - in Form des
Rheins. Die Analyse ergab, dass strenge Winter in Mitteleuropa oft während einer
nur geringen Sonnenaktivität auftraten.
Der gefrorene
Rhein bei Mainz im Winter 1962/1963 mit der
Mainzer Eisenbahnbrücke im Hintergrund.
Bild: Universität Mainz / Frank Sirocko |
Wissenschaftler haben lange vermutet, dass der Elf-Jahres-Zyklus der Sonne
Einfluss auf das Klima bestimmter Regionen der Welt haben könnte. Allerdings
reichen die Temperaturaufzeichnung häufig nicht weit genug zurück, um eindeutige
Muster aufzeigen zu können. Jetzt hat ein internationales Team von Forschern
einen neuen Ansatz gefunden, der genau diese Vermutung bestätigt. Sie zeigten
nicht nur, dass ungewöhnlich kalte Winter in Mitteleuropa während Phasen
geringer Sonnenaktivität vorkamen, sondern auch dass die Anzahl der
Sonnenflecken zu dieser Zeit auf ein Minimum reduziert war. Der Schlüssel zu
dieser Forschung ist Deutschlands größter Fluss: der Rhein.
Obwohl die Erdoberfläche in ihrer Gesamtheit derzeit eine Erwärmung aufweist,
zeigen die neuen Daten eine Verbindung zwischen Perioden geringer Aktivität der
Sonne und extremen Kälteereignissen in Mitteleuropa, insbesondere konzentriert
auf die Regionen des Rheins. "Der Rhein ist als Forschungsobjekt ideal für
unsere Arbeit", so Prof. Dr. Frank Sirocko vom Forschungszentrum Geocycles der
Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). "Wir nutzen die Eisbedeckung in der
Vergangenheit als Proxy, also einen indirekten Hinweis auf die klimatischen
Verhältnisse der jeweiligen Zeit. Es ist ein sehr simpler, aber zuverlässiger
Hinweis: Entweder es gab Eis, oder es gab keins."
Doch wie bekommt man diese Information? Die Antwort ist einfach: Seit dem 18.
Jahrhundert nutzen Flussschiffer den Rhein als Transportweg. Die Verlade- und
Anlegestellen entlang des Flusses führten jährlich Buch darüber, wann
Eisbedeckung die Rheinschifffahrt behinderte oder sogar unmöglich machte. Die
Wissenschaftler bestimmten anhand dieser und weiterer historischer Unterlagen
die Anzahl der Jahre, in denen der Rhein vollständig zugefroren war und fanden
heraus, dass zwischen 1780 und 1963 der Rhein 14 Mal an verschiedenen Stellen
zufror. "Allein die schiere Größe des Rheins bedeutet, dass es für ein solches
Ereignis extreme Kälte braucht, was die Eisbedeckung zu einem sehr guten Proxy
macht", erklärt Sirocko.
Das Team trug nun den Zeitpunkt dieser Kälteereignisse gegen den regelmäßigen
Elf-Jahres-Zyklus der Sonnenfleckenaktivität auf. Sie fanden heraus, dass 10 der
14 Kälteereignisse gleichzeitig mit einem geringen Vorkommen der Sonnenflecken
auftraten. "Damit zeigen wir erstmals anhand robuster Daten, dass auffallend
kalte Winter in Mitteleuropa während der letzten 230 Jahre auf eine gemeinsame
Ursache zurückgeführt werden können", so Sirocko.
Prof. Thomas Crowley, einer der internationalen bekanntesten US-Forscher zur
Klimageschichte der letzten 1.000 Jahre und Direktor der Scottish Alliance
for Geoscience, Environment & Society, bestätigt: "Der Einfluss von
Sonnenflecken auf die verschiedenen Ebenen des Klimasystems ist bei Weitem noch
nicht verstanden und gibt immer wieder Anlass zu erhitzten Debatten. Die Studie
wird helfen, diese Debatten nun statistisch fundierter zu führen."
Wenn die Anzahl an Sonnenflecken gering ist, gibt die Sonne weniger Strahlung
im Ultraviolett-Bereich ab. Weniger UV-Strahlung bedeutet eine geringere
Aufwärmung der Erdatmosphäre und führt damit zu Veränderungen in den
Zirkulationsmustern der untersten atmosphärischen Schichten, der Troposphäre und
der Stratosphäre. Diese Veränderungen beeinflussen wiederum die sogenannte
Nordatlantische Oszillation, ein Luftdruck-Phänomen über dem Nordatlantik, das
das Wettergeschehen in Europa stark bestimmt. So kann eine Veränderung dieser
atmosphärischen Strömungen gleichzeitig zu einer Abkühlung in Mitteleuropa, aber
einer Erwärmung in anderen Teilen des Kontinents wie etwa in Island führen.
"Dieses Beispiel zeigt", so Stephan Pfahl von der ETH Zürich und einer der
Co-Autoren der Studie, "dass die Aktivität von Sonnenflecken nicht zwingend den
gesamten Globus gleich betrifft, sondern Auswirkungen wie extreme Kälte vielmehr
sehr regional beschränkt sein können." In der Tat erklärten vorherige Studien
die sehr kalten Winter 2010 und 2011 mit Veränderungen der NAO, die durch die
jetzt vorgelegte Studie mit der geringen Aktivität der Sonnenflecken in
Zusammenhang gebracht werden kann.
Die Temperaturen in diesen Jahren waren derart gering, das in manchen Ländern
neue Kälterekorde für den Monat November aufgestellt wurden. Skeptiker führen
Beispiele wie dieses gern an, um gegen die Theorie des vom Menschen verursachten
Klimawandels und eine Erwärmung des Planeten zu argumentieren. Das Klimasystem
ist allerdings sehr komplex, die Zusammenhänge vielschichtig. Ein kurzzeitiges,
regionales Abfallen der Temperaturen maskiert nur den Effekt einer Erwärmung.
"Das Klima-System wird nicht nur durch einen einzigen Faktor gesteuert",
erläutert Sirocko. "In der Tat sind es mindestens fünf oder sechs verschiedene
Faktoren. Der durch Kohlendioxid verursachte Treibhauseffekt ist sicherlich
einer davon, mit Sicherheit die Sonnenaktivität aber ein weiterer." Die Autoren
der Studie betonen zudem, dass trotz der Aussicht auf extreme Winter in einem
Elf-Jahres-Zyklus die Durchschnittstemperaturen in den Wintern der letzten drei
Jahrzehnte kontinuierlich angestiegen sind. Dass der Rhein im Winter 1962/1963
das letzte Mal zufror, sei zumindest in Teilen dem Klimawandel geschuldet.
Es war allerdings nicht der Rhein, der Sirocko auf die Idee brachte, den
Zusammenhang zwischen Kälteextremen und Sonnenflecken zu suchen. Es war vielmehr
ein Schlittschuhrennen über 125 Kilometer gefrorener Flussläufe in den
Niederlanden, an dem er vor 20 Jahren teilnahm. "Die Eisläufer konnten nur alle
zehn bis elf Jahre zu diesem Rennen antreten, da nur dann die Flüsse ausreichend
zugefroren waren", erinnert er sich. "Ich dachte, hierfür müsste es doch einen
Grund geben und gab das Thema als Semesterarbeit an meinen Diplomanden Heiko
Brunck. Und tatsächlich: Es gibt diesen Grund." Daraufhin wurde der
verantwortliche Zusammenhang gemeinsam von Wissenschaftlern der Johannes
Gutenberg-Universität Mainz sowie dem Institut für Atmosphären- und
Klimaforschung an der ETH Zürich weiter untersucht. Die Studie wurde jetzt in
der Fachzeitschrift Geophysical Research Letters veröffentlicht.
|