Neues vom solaren Fusionsreaktor
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Kernphysik astronews.com
16. September 2011
Die Borexino-Kollaboration hat mit ihrem
300-Tonnen-Neutrinodetektor im italienischen Gran-Sasso-Untergrundlabor neue
Einsichten in die Fusionsprozesse im Herzen der Sonne gewonnen. Dank
verbesserter Unterdrückung von störenden Hintergrundereignissen konnten jetzt
erstmals Neutrinos aus der seltenen Fusionsreaktion von zwei Protonen und einem
Elektron nachgewiesen werden.
Blick in den
Borexino-Detektor. Im Inneren einer Kugel, die 14
Meter durchmisst, treffen solare Neutrinos auf
300 Tonnen einer speziellen Flüssigkeit und
erzeugen dort Lichtblitze, die mit
Photovervielfachern aufgenommen werden.
Foto: Borexino-Kollaboration [Großansicht] |
Die scheinbar unerschöpfliche Energiequelle der Sonne, letztlich die
Grundlage allen Lebens auf unserem Planeten, hat Menschen seit Jahrhunderten
fasziniert. Spätestens seit der Erkenntnis, dass die Erde (und damit das
Sonnensystem) mehrere Milliarden Jahre alt ist, wurde klar, dass weder
herkömmliche chemische Prozesse noch die Gravitationsenergie einer schrumpfenden
Sonne als Energiequelle in Frage kommen, da sie viel zu rasch erschöpft wären.
Erst die kernphysikalische Forschung in den 1930er Jahren fand in der Kernfusion
von Wasserstoff zu Helium einen Prozess, der genügend ergiebig und nachhaltig
ist.
Die Sonne erwies sich damit in ihrem Kern als gigantischer Fusionsreaktor,
der durch seine eigene Schwerkraft stabilisiert wird. Dabei verschmelzen bei
einer Temperatur von rund 15 Millionen Grad netto jeweils vier Protonen
(Wasserstoffkerne) zu einem Heliumkern, bestehend aus zwei Neutronen und zwei
Protonen. In dieser Bilanz werden jeweils noch zwei Positronen (Antiteilchen des
Elektrons) und zwei Neutrinos freigesetzt. Die Neutrinos stellen dabei ideale
Sonden dar, um näheren Einblick in den solaren Fusionsofen zu gewinnen, da sie
dank ihrer schwachen Wechselwirkung mit Materie die Schichten der Sonne nahezu
ungehindert durchdringen und direkte Information über die Verhältnisse im
Zentrum liefern.
Von besonderem Interesse ist dabei die Energie der Neutrinos, welche
spezifisch für bestimmte Fusions-Reaktionszyklen sind. Forscher des Heidelberger
Max-Planck-Instituts für Kernphysik und der Technischen Universität München
haben nun zusammen mit ihren Kollegen der internationalen Borexino-Kollaboration
mit dem gleichnamigen Neutrinodetektor im italienischen Gran-Sasso-Untergrundlabor
neue Erkenntnisse über die solaren Fusionszyklen gewonnen. Nach dem gängigen
Sonnenmodell dominiert der so genannte Proton-Proton-Zyklus, der mit der
Verschmelzung zweier Protonen startet. Die hieraus entstehenden Neutrinos haben
recht niedrige Energie und waren daher lange Zeit schwer aufzuspüren. Borexino
hat aber in den letzten Jahren unter Einbeziehung der Vorgängerexperimente
Gallex/GNO den zugehörigen Neutrinofluss indirekt bestätigt und zwei weitere
Komponenten (7Be- und 8B-Neutrinos) aus diesem Fusionszyklus direkt
nachgewiesen.
Offen blieb noch der Nachweis einer alternativen Startreaktion, bei der zwei
Protonen und ein Elektron zu einem Deuteriumkern unter Aussendung eines
Neutrinos verschmelzen, die sogenannte pep-Reaktion. Dieses Neutrino hat höhere
Energie und lässt sich besser nachweisen, jedoch ist diese Reaktion 400-mal
seltener, da sich hierfür drei Teilchen treffen müssen. Der zugehörige
Neutrinofluss ist von Interesse, da sich daraus der niederenergetische Fluss der
Proton-Proton-Reaktion indirekt ableiten lässt. Hinzu kam die Frage, wie stark
ein weiterer Fusionsprozess, der so genannte Bethe-Weizsäcker- oder CNO-Zyklus,
im Sonnenkern ist.
Die gängigen Sternmodelle gehen davon aus, dass dieser in der Sonne nur eine
marginale Rolle spielt, da er höhere Temperaturen benötigt, wie sie nur in
massereicheren Sternen herrschen. Eine Beobachtung dieses Prozesses in der Sonne
wäre der erste direkte Nachweis überhaupt und damit von erheblicher Bedeutung
für die Astrophysik. Zwar durchdringen jeden Quadratzentimeter von uns in jeder
Sekunde etwa 60 Milliarden solare Neutrinos, aber aufgrund ihres flüchtigen
Verhaltens sind sie wiederum sehr schwer nachzuweisen. Zugleich gilt es, einen
Neutrinodetektor vor störenden Strahlungen zu schützen.
Das Sonnenneutrino-Experiment Borexino befindet sich im
italienischen Gran-Sasso-Untergrundlabor, wo 1.500 Meter Gestein schon einmal
einen großen Teil der kosmischen Strahlung abschirmen. Ein schalenförmiger
Aufbau, der den inneren Teil von 300 Tonnen einer speziellen Flüssigkeit zum
Nachweis der Neutrinos umgibt, hilft, die Umgebungsstrahlung weiter zu
reduzieren. Dabei wird auf höchste Reinheit hinsichtlich radioaktiver Stoffe
geachtet, welche die Messungen ruinieren würden. Mit Borexino können täglich
etwa 50 solare Neutrinos beobachtet werden, aber für den Nachweis der gesuchten
pep-Neutrinos mussten die Forscher weitere Tricks anwenden.
Ein Problem war nämlich das radioaktive Kohlenstoff-Isotop C-11, das durch
Beschuss mit den wenigen restlichen Myonen aus der kosmischen Strahlung gebildet
wird und eine Halbwertszeit von etwa 20 Minuten hat. "Wir können den Ort eines
C-11-Kerns lokalisieren und diesen Bereich dann für eine gewisse Zeit von der
Datenaufnahme auszuschließen, bis das C-11 sicher zerfallen ist", so Werner
Maneschg, der diese Methode im Rahmen seiner Doktorarbeit am MPI für Kernphysik
mitentwickelt hat. "Das übrige Detektorvolumen steht dabei weiter zur
Verfügung".
Für die Identifizierung der C-11 Zerfälle ist es unabdingbar, jene kosmischen
Myonen zu erkennen, die diese Kerne erzeugen. Dazu dient ein sogenanntes
Myon-Veto, das den eigentlichen Borexino-Detektor vollständig umgibt.
Myonen, die das Veto durchqueren, erzeugen in ihm elektromagnetische
Cherenkov-Strahlung, die von Lichtsensoren nachgewiesen wird. Dieses
Detektorsystem wurde von Wissenschaftlern der TU München konzipiert und
realisiert. "Die Nachweiseffizienz von Borexino für Myonen liegt über
99,99 Prozent und dies ist die Voraussetzung für die erfolgreiche Identifikation
der pep-Neutrinos", so Quirin Meindl, Doktorand am Physik-Department der TU
München.
Den Forschern ist es so erstmals gelungen, Neutrinos aus der pep-Reaktion zu
sehen. Die beobachtete Häufigkeit stimmt dabei gut mit der Vorhersage aus dem
Sonnenmodell überein. Für den Nachweis von CNO-Neutrinos war das
Hintergrundrauschen noch etwas zu hoch, aber immerhin konnte daraus eine neue
Obergrenze für den CNO-Prozess ermittelt werden. Sollte es gelingen, weitere
noch störende Strahlungsquellen zu reduzieren, könnte aber auch deren Nachweis
gelingen.
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