Blick in die
Sonne in Echtzeit
Redaktion
/ Pressemitteilung der TU München astronews.com
20. August 2007
In jeder Sekunde durchdringen etwa 70 Milliarden Neutrinos
aus dem Innern der Sonne eine Fläche von der Größe unseres Daumennagels. Die
Geisterteilchen lassen sich jedoch schwer beobachten. So war es bisher
unmöglich, Neutrinos mit niedriger Energie in Echtzeit nachzuweisen. Eine
Kollaboration aus internationalen Forschern hat jetzt erstmals mit dem
Borexino-Detektor Sonnenneutrinos beobachtet und somit neue Signale des
Sterns entschlüsselt. Die Teilchen berichteten wie kleine Sonden über die
Prozesse im Kern der Sonne.

Neutrinos auf der Durchreise: Der Blick in den
Borexino-Detektor. Im Innern einer Kugel, die 14
Meter durchmisst, treffen die Geisterteilchen
aus der Sonne auf 300 Tonnen einer speziellen
Flüssigkeit und erzeugen dort kleine
Lichtblitze.
Bild: Borexino Kollaboration
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Ein Leben auf der Erde ist ohne die Sonne nicht denkbar, sie
spendet Licht und Wärme. Die Energie dafür entsteht im Innern des Sterns: Bei
etwa 15 Millionen Grad Celsius fusionieren hier die Kerne verschiedener Atome.
Dabei senden sie stetig unterschiedliche Strahlung und Partikel aus - einige
davon sind die Neutrinos. Die Elementarteilchen bekommen durch die verschiedenen
Prozesse im Sonneninneren unterschiedlich viel Energie mit auf ihren Weg durch
die Sonne und quer durch das All.
Hochenergetische Neutrinos konnten Forscher bereits in der Vergangenheit in
Echtzeit beobachten. Diese stammen aber aus Prozessen in der Sonne, die nur
einen kleinen Bruchteil der Energie erzeugen. Die am häufigsten stattfindenden
Reaktionen setzen dagegen Neutrinos mit geringer Energie frei.
Ein Team aus internationalen Forschern, darunter Wissenschaftler der
Technischen Universität München und des Max-Planck-Instituts für Kernphysik,
haben jetzt erstmals diese niedrigenergetischen Neutrinos in Echtzeit
beobachtet. Diese neutralen Elementarteilchen stammen aus dem radioaktiven
Zerfall von Beryllium im Sonnenkern. Wenn die Forscher diese dann auf der Erde
registrieren, können sie live beobachten, wie Energie im Sonneninneren
freigesetzt wird. "Das war bisher nicht möglich, da wir in unserem ersten
Sonnenneutrinoexperiment dieser Art, Gallex/GNO, niederenergetische
Neutrinos nur über die Zeit gemittelt gemessen haben. Noch ganz andere
Beobachtungen der Sonne weisen wiederum meist nur Lichtteilchen von ihrer
Oberfläche nach", sagt Franz von Feilitzsch von der Technischen Universität
München.
Diese Photonen brauchen nämlich mindestens 100 000 Jahre, um vom Sonnenkern
zur Oberfläche zu wandern. Neutrinos hingegen flitzen ungehindert durch den
Gasball. "Die Neutrinoforschung berichtet somit in Echtzeit über den
Energieausstoß der Sonne", erklärt Stefan Schönert vom Max-Planck-Institut für
Kernphysik: "Sie hat allerdings auch ihre Tücken, denn wir müssen erstmal die
Neutrinos messen und wirklich auch nur diese."
Die Herausforderung für die Neutrinoforschung ist nicht, dass es zu wenig
Neutrinos gibt. Ganz im Gegenteil: Bis zu 70 Milliarden Neutrinos durchqueren im
Sekundentakt einen Quadratzentimeter der Erdoberfläche. Sie haben allerdings
unterschiedliche Energie und sind nur ein Bestandteil eines ganzen
Strahlenschwarms. Auf die Detektoren der Wissenschaftler hagelt außer Neutrinos
auch ein ganzer Schwall von anderen Teilchen und Strahlung ein. Das Borexino-Team
ist deshalb mit seinem Experiment in den Untergrund geflüchtet - einen Kilometer
unter die Erdoberfläche. Im Untergrundlabor Gran Sasso in den italienischen
Abruzzen haben die Wissenschaftler eine riesige Neutrinofalle aufgebaut, die am
16. Mai dieses Jahres in Betrieb genommen wurde.
Das Herzstück des Borexino-Experiments ist sein Detektor, der 300
Tonnen Flüssigkeit enthält. "Wir fanden in den ersten Messungen heraus, dass
etwa 50 Neutrinos pro Tag aus dem Berylliumzerfall im Inneren des Detektors
Lichtblitze erzeugen", sagt Lothar Oberauer von der TUM. Rasen Neutrinos durch
diese Flüssigkeit, Szintillator genannt, dann prallen sie dort auf einzelne
Elektronen in den Atomen. Die Elektronen erhalten dabei einen Teil der Energie vom
Neutrino und übertragen diese auf benachbarte Moleküle. Deren Elektronen
klettern dann auf ein höheres Energieniveau - das Molekül ist dadurch in einem
angeregten Zustand. Die Elektronen schwingen unruhig auf ihren neuen Bahnen
umher und springen letztendlich auf ihre ursprünglichen Plätze zurück, aber
nicht ohne einen Preis dafür zu bezahlen: Sie müssen Energie abgeben, indem sie
Lichtteilchen aussenden.
2200 Sensoren beobachten dabei dieses Licht und senden die Signale an einen
Computer. Der zeichnet dann in Echtzeit auf, wie viel Energie die Lichtblitze
haben und woher sie kommen. Auf diese Weise machen die Forscher eine Art
Schnappschuss von den durchrasenden Neutrinos. Die Fotos zeigen mit einer
Genauigkeit von bis zu 13 Zentimetern an, woher die Lichtblitze aus dem 14 Meter
großen Detektor kommen.
Allerdings kann auch andere Strahlung wie natürliche Radioaktivität oder
Teilchen aus dem fernen Weltall diese Lichtblitze auslösen. "Daher sind wir in
den Untergrund gegangen und haben den Detektor wie eine Matrjoschka mit mehreren
Hüllen gebaut, um möglichst viel dieser Strahlung abzuschirmen", erklärt Stefan
Schönert. Im Kern des Detektors hält eine speziell angefertigte, nur 100
Mikrometer dünne Nylonschicht den Szintillator in Form. Weitere
Flüssigkeitsschichten, die von einer Stahlhülle gestützt sind, schirmen
zusätzlich andere Einflüsse ab, etwa kosmische Strahlung oder das radioaktiv
zerfallene Radon. Alle Materialen wurden extra für das Borexino-Experiment
ausgewählt und auf ihre Reinheit hin untersucht.
Die Forscher nutzen aber auch einfache Mittel - Wasser höchster Reinheit zum
Beispiel. 2400 Tonnen Wasser wurden unter strengen Bedingungen gefiltert und
dienen als äußerer Strahlenpuffer. "Die größte Herausforderung war für uns aber,
vorher die Teile des Detektors von kleinsten Spuren natürlicher, radioaktiver
Verunreinigungen zu befreien", sagt Stefan Schönert. Die einzelnen Teile und die
Flüssigkeiten für den Detektor wurden unter strengster Qualitätskontrolle
produziert, gereinigt und montiert. Nur so können die Forscher ausschließen,
dass nicht etwa die Bauteile der Neutrinofalle das Szintillationslicht auslösen.
"Diese unerwünschten Effekte hätten es unmöglich gemacht Sonnenneutrinos zu
beobachten", sagt Oberauer.
Einige Teilchen jedoch, die nicht aus der Sonne oder dem All stammen, sind
willkommen: Die Forscher messen auch die Neutrinos aus den Kernreaktoren und
Teilchenbeschleunigern auf der Erde. Das CERN in Genf etwa schickt einen
Neutrinostrahl durch die Erde, der bereits mit Borexino beobachtet
wurde. Die Elementarteilchen müssen dafür über 732 Kilometer weit reisen.
Ähnlich weit sausen auch die Neutrinos aus europäischen Kernreaktoren in das
Untergrundlabor, bis sie in Borexino eine besondere Sequenz an
Lichtblitzen erzeugen. Aber auch die Erde selbst sendet Signale. Diese
Neutrinosignale zeigen zum Beispiel, wie verschiedene radioaktive Elemente in
der Erdkruste, dem Mantel und dem Kern verteilt sind. Und sie berichten, ebenso
wie ihre Verwandten aus der Sonne, über Prozesse, die dort Wärme erzeugen.
Die Messungen des Borexino-Experiments eröffnen somit einen neuen
Einblick in das Innerste der Erde und des Sterns. Die Daten sollen neue
Einsichten in die Astroteilchenphysik liefern und somit auch helfen, unser
Wissen über das All zu vertiefen. "Wir erwarten die kommenden Ergebnisse mit
großer Spannung und sind auf Überraschungen gefasst. Eine Supernovaexplosion in
unserer Galaxie und ihr Neutrinosignal würde unsere Arbeit krönen", sagt
Max-Planck-Forscher Schönert.
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