Brechende Stoßwelle bestätigt alte Theorie
von Stefan Deiters astronews.com
15. Mai 2007
Das Sonden-Quartett Cluster war vor einigen Jahren
zur richtigen Zeit am richtigen Ort: Die Sonden registrierten eine sich
brechende und neu ordnende Stoßwelle. Die beobachtete Welle entsteht auf der
der Sonne zugewandten Seite der Erde, wo das Erdmagnetfeld eine natürliche
Barriere gegen den Partikelstrom der Sonne bildet. Der Fund dürfte auch
Auswirkungen auf die Analyse von Beobachtungen anderer astronomischer Objekte
haben.
Der Sonnenwind aus geladenen Partikeln (von
links) wird durch das Erdmagnetfeld (blau)
abgelenkt. Die Erde (Mitte, Pfeil) ist
geschützt. In Richtung Sonne bildet sich eine
Stoßwelle aus (Pfeil unten).
Bild:
ESA |
Es geschah am 24. Januar 2001: Die vier identischen Cluster-Sonden
flogen in Formation mit einem Abstand von 600 Kilometern in einer Höhe von rund
105.000 Kilometern. So näherten sie sich einer ganz besonderen - und für unsere
Existenz äußerst wichtigen - Region: dem Bereich, wo die geladenen Teilchen des
Sonnenwindes auf das Erdmagnetfeld treffen und von diesem um die Erde herum
abgelenkt werden. Ähnlich wie bei einem Schiff, das durchs Wasser fährt, bildet
sich auch bei der Erde eine Art Bugwelle aus. Diese Stoßwelle liegt auf der der
Sonne zugewandten Seite und umgibt die Erde bogenförmig.
Wegen des geringen Abstands von nur 600 Kilometern zwischen den einzelnen
Sonden hatten die Wissenschaftler auf der Erde eigentlich erwartet, dass alle
Sonden in etwa die gleichen Daten über die Stoßwellen-Region zur Erde funken
würden. Doch es kam anders: Die Messwerte widersprachen sich teilweise und es
gab große Schwankungen bei den elektrischen und magnetischen Feldern in der
Umgebung der Sonden. Außerdem meldeten die Sonden eine unterschiedliche Rate von
Partikeln, die durch die Stoßwelle wieder zurück zur Sonne reflektiert wurden.
"Was wir aus den Daten der Sonden aus drei verschiedenen Experimenten
herauslesen konnten, war der erste überzeugende Beweis für eine Theorie über
Stoßwellen, die vorhersagt, dass sich diese neu ordnen können", erläutert Vasili
Lobzin vom Centre National de la Recherche Scientifique im
französischen Orléans, der die Forschungen leitete und jetzt auch einen
Fachartikel zum Thema veröffentlicht hat. Sein Kollege, Vladimir Krasnoselskikh,
der auch an dem Projekt beteiligt war, hatte dieses Modell bereits im Jahr 1985
entwickelt. Es ähnelt ein wenig den Vorgängen am Meeresstrand, wo sich hohe
Wellenberge bilden, die dann am Strand brechen, um sich schließlich weiter
draußen erneut zu bilden.
Die Entdeckung hat nicht nur Auswirkungen auf das Verständnis des
Schutzschildes der Erde: Stoßwellen, wie sie sich bei der Erde beobachten
lassen, finden sich bei vielen astronomischen Objekten, etwa bei explodierenden
Sternen oder jungen Sonnen mit heftigem Sternenwind. Sich neu ordnende
Stoßwellen können außerdem Teilchen auf sehr hohe Geschwindigkeiten
beschleunigen und ins All schleudern.
Rund um die Erde herrschen wohl nur sehr selten Bedingungen, die eine
Umordnung der Stoßwellen ermöglichen, bei anderen Objekten ist das allerdings
anders: "Unter astrophysikalischen Gegebenheiten sind die Bedingungen, die für
eine Stoßwelle vorhanden sein müssen, um zu brechen und sich neu zu ordnen fast
immer gegeben", so Krasnoselskikh. Die Cluster-Messungen seien daher
eine einmalige Gelegenheit, weit entfernte astrophysikalische Prozesse vor der
eigenen Haustür zu studieren.
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