Sensoren aus Glas für das Einstein-Teleskop
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Optik und
Feinmechanik IOF astronews.com
17. März 2025
Mitten in Europa soll ab voraussichtlich 2035 das
Einstein-Teleskop Gravitationswellen mit einer bisher ungekannten Genauigkeit
erforschen. Dafür entwickelt man schon jetzt jede Menge an Technologie, wie
beispielsweise hochempfindliche Sensoren, die erstmals komplett aus Glas
hergestellt wurden. Die Verfahren könnten sich auch anderweitig nutzen lassen.

Der monolithische Glasresonator mit
hauchdünnen Blattfedern wird durch ein spezielles
Fügeverfahren hergestellt.
Bild: Fraunhofer IOF [Großansicht] |
Gravitationswellen sind Verzerrungen der Raumzeit, die durch extreme
astrophysikalische Ereignisse, wie den Zusammenstoß von Schwarzen Löchern,
verursacht werden. Diese Wellen breiten sich mit Lichtgeschwindigkeit aus und
tragen wertvolle Informationen über solche Ereignisse durch das Universum. Das
Einstein-Teleskop soll diese Wellen in Zukunft mit beispielloser Präzision
messen und damit ein weltweit führendes Messinstrument zum Nachweis von
Gravitationswellen werden.
Um Störungen der Messungen zu minimieren, soll das Teleskop bis zu 300 Meter
tief unter der Erde gebaut werden. Doch selbst dort gibt es noch mechanische
Schwingungen, verursacht etwa von weit entfernten Erdbeben oder dem
oberirdischen Straßenverkehr. Hochempfindliche Schwingungssensoren sollen diese
verbleibenden Vibrationen messen. Forschende des Fraunhofer-Instituts für
Angewandte Optik und Feinmechanik IOF aus Jena haben in Zusammenarbeit mit dem
Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut AEI) aus
Hannover diese Schwingungssensoren für das Einstein-Teleskop entwickelt und
gebaut.
"Ein solcher Schwingungssensor besteht aus zwei Kernkomponenten: einem
beweglichen Resonator und einem Laser, der die Bewegung des Resonators
ausliest", erklärt Dr. Pascal Birckigt, zuständiger Teilprojektleiter am
Fraunhofer IOF in Jena. Der Resonator wurde in Jena gebaut, der Laser in
Hannover ergänzt. "Der mechanische Resonator ist der Teil des Sensors, der die
Schwingungen aus der Umwelt in eine messbare Bewegung umwandelt, ähnlich wie
eine Stimmgabel." Dabei haben die Forschenden des Fraunhofer IOF etwas
geschaffen, das es so bisher noch nie gab: einen filigranen mechanischen
Resonator, der aus reinem Kieselglas besteht. Er vereint zugleich eine geringe
Eigenfrequenz von 15 Hertz mit einem hohen Gütefaktor und einer kompakten
Baugröße von gerade mal fünf Zentimetern im Durchmesser.
"Die Schwingungssensoren sollen künftig in unmittelbarer Umgebung der etwa
200 Kilogramm schweren Spiegel in den Gravitationswellendetektoren des
Einstein-Teleskops platziert werden", erklärt Birckigt weiter. Pro Spiegel wird
es drei Sensoren geben. "Die Empfindlichkeit der Sensoren wird dank unserer
Resonatoren so hoch sein, dass sie die Wasserwellen im perspektivisch 200
Kilometer vom Standort des Teleskops entfernten Atlantik als Spitzen in den
seismischen Spektren deutlich sichtbar machen können."
Die vollständige Herstellung der Resonatoren aus Glas ergibt sich aus den
komplexen Anforderungen an den Sensor: "Im Einstein-Teleskop steht nur wenig
Platz für die Sensoren zur Verfügung", erläutert Birckigt. "Gleichzeitig müssen
die Sensoren besonders leistungsstark sein." Nur mit Glas als Werkstoff ließen
sich die Anforderungen an Kompaktheit und niedrige Eigenfrequenz bei
gleichzeitig hoher Empfindlichkeit vereinbaren. Grund dafür sind die sogenannten
Blattfedern im Inneren des Resonators. Die Blattfedern sind das Herzstück des
Resonators. Sie ermöglichen dessen niedrige Eigenfrequenz, also jene Frequenz,
bei der das System auf Schwingungen zu reagieren beginnt. Die ist notwendig,
denn das Einstein-Teleskop will niedrigfrequente Wellen im Bereich zwischen 3
und 30 Hertz messen.
"Damit das gelingen kann, stellen sich technisch zwei Möglichkeiten", erklärt
Birckigt. "Entweder wird im Inneren des Resonators eine große Testmasse verbaut,
die auf die äußeren Schwingungen reagiert, oder aber es werden lange, elastisch
verformbare Biegebalken, die sogenannten Blattfedern, an die Testmasse
angebracht." Eine große Testmasse kann es aufgrund der geforderten Kompaktheit
des Sensors nicht geben. Also blieb nur die Lösung mit den Blattfedern, die die
Forschenden aus Glas herstellen: "Glas zeichnet sich als Material durch seine
besonders hohe Steifigkeit aus", erklärt Birckigt. "Es zeigt praktisch keine
plastische Verformung. Daher ist es möglich, hauchdünne Blattfedern aus Glas
herzustellen." Hauchdünn heißt in diesem Fall: Eine einzelne Feder ist 0,1
Millimeter dick, sieben Zentimeter lang und wiegt gerade mal 34 Milligramm.
Insgesamt sechs solcher Federn halten im Inneren des Resonators die drei Gramm
schwere Testmasse stabil und ausgerichtet.
Die Herstellung eines solch filigranen und zugleich leistungsstarken
Resonators ist ein komplexer Prozess. Er umfasst Fräs- und Polierarbeiten sowie
Verfahren zur Laserbearbeitung. Weiterhin wird ein spezielles,
plasma-aktiviertes Fügeverfahren genutzt, um eine Bindung auf atomarer Ebene
zwischen den Glasoberflächen des Resonators herzustellen. "Die beiden
Einzelteile bilden damit fortan eine monolithische, also dauerhafte Einheit",
erklärt Birckigt, der im Projekt speziell die Fügeverfahren zur Herstellung des
Glasbauteils betreut hat. "Dadurch wird der Resonator extrem stabil und
präzise." Diese spezielle Methode, Glas ohne weitere Zwischenschicht zu fügen,
wollen die Forschenden des Fraunhofer IOF künftig weiterentwickeln. Ihr Ziel
sind noch komplexere, dreidimensionale Strukturen.
Anwendung können die neuen Glasresonatoren perspektivisch überall dort
finden, wo Anlagen mit einer Reihe von kompakten Beschleunigungs- oder
Lagesensoren überwacht werden müssen. Das ist neben der
Gravitationswellenforschung zum Beispiel bei Satelliten – etwa für die
Bestimmung ihrer Umlaufbahnen, die Vermessungen der Erdoberfläche oder die
Trägheitsnavigation – der Fall. Weiterhin können die Resonatoren genutzt werden,
um die Messgenauigkeit von Atom-Interferometern zu verbessern sowie in
EUV-Lithografie-Anlagen zur Bearbeitung von Halbleitern.
Das Einstein-Teleskop befindet sich seit 2008 in der fortwährenden
Entwicklung. Es ist ein hochsensibler Gravitationswellendetektor der
mittlerweile dritten Generation mit einer bis zu 10-fach höheren Empfindlichkeit
als derzeitige Detektoren. Der Baubeginn ist für 2026 geplant, seine
Beobachtungen soll das Teleskop ab 2035 aufnehmen. Als Standort für das Teleskop
ist nach aktueller Planung die Euregio Maas-Rhein im Ländereck von Deutschland,
Belgien und den Niederlanden vorgesehen. Die Entwicklung der Sensoren wurde von
Forschenden aus Jena und Hannover im Rahmen des Projektes "Glass Technologies
for the Einstein Telescope" (GT4ET) umgesetzt.
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